Beim Fracking wird Erdgas mit giftigen Chemikalien aus dem Untergrund gefördert. Gelangen diese Substanzen ins Grundwasser? Forscher sehen bisher keine Belege.

Stuttgart - Die Förderung unkonventioneller Erdgasvorkommen, gefangen in den Spalten und Poren von Tongestein, erlebt in Nordamerika einen Boom. Die USA sind auf dem besten Weg, ihr Energieproblem zu lösen, haben sich dabei aber ein neues Umweltproblem eingehandelt – auf diese Formel kann man die Entwicklung der vergangenen Jahre bringen. Das Land produzierte 2010 schon so viel Erdgas wie Russland. Um das landläufig als „Schiefergas“ bezeichnete Gas zu fördern, werden in den USA jedes Jahr Tausende Löcher in die Erde gebohrt. Die Kehrseite der Medaille: vielerorts haben die möglichen Umweltrisiken Widerstand von Bürgern hervorgerufen. Wissenschaftler halten deren Bedenken aber nur teilweise für begründet.

 

„Hydraulisches Fracturing“ oder „Fracking“ heißt die Technik, derer sich die Firmen bedienen. Dazu macht der Bohrmeißel in 1000 bis 3000 Meter Tiefe eine 90-Grad-Kurve und schließt mit hohem Druck das gashaltige Tongestein in kilometerlangen horizontalen Gängen auf. Ein spezielles Flüssigkeitsgemisch wird mit dem tausendfachen Luftdruck hinabgepumpt. Es besteht aus Wasser, Quarzsand und Chemikalien und soll die entstehenden Risse im Gestein offen halten, sobald der Druck wieder gesenkt wird. Dann entweicht das Gas.

Es gibt Gefahren, aber sie liegen nicht im Fracking

Die Chemikalien machen ungefähr ein Prozent der Bohrspülung aus. Sie sollen Korrosion und Ablagerungen verhindern sowie das Wachstum von Bakterien hemmen. Typische Bestandteile der Mischung sind Glykole, Benzol, Naphtalin und Polyacrylamid; in den USA müssen allerdings nicht alle Inhaltsstoffe bekanntgegeben werden. Industrieunternehmen beteuern, das Fracking sei sicher. Aber viele Anwohner in der Nähe von Bohrlöchern haben Angst, dass die Chemikalien, die teilweise Krebs erregend sind, das Grundwasser verunreinigen – oder dass Erdgas sogar in ihre Häuser vordringt, bis hin zur Explosionsgefahr. Einzelne umstrittene Fälle, in denen just das Undenkbare passiert sein soll, haben die öffentliche Diskussion in den USA in letzter Zeit stark angefacht.

Laut einer neuen Studie von der Universität von Texas in Austin liegen die Umweltprobleme der Schiefergasförderung jedoch ganz woanders. Es gebe keine belegbaren Hinweise darauf, dass die Chemikalien ins Grundwasser gelangt seien, heißt es darin. Viele der Chemikalien seien ohnehin verbreitet im Einsatz und hätten sich darum schon in der Umwelt verteilt. Erdgas wiederum könne vielerorts auch auf natürlichem Wege an die Oberfläche gelangen.

Eine reale Umweltgefahr sehen die Autoren der Studie – es ist im Wesentlichen eine Durchsicht wissenschaftlicher Untersuchungen – in einem Problem, das auch bei der herkömmlichen Förderung von Erdgas und Öl auftreten kann: Wenn einzelne Bauteile wie etwa das Bohrrohr Mängel aufweisen und brechen, kann die Mischung an die Oberfläche emporschießen. „Viele Berichte über eine Kontamination können auf das Auslaufen der Flüssigkeit oder einer anderen falschen Handhabung des Wassers aus der Schiefergas-Bohrung herrühren – und nicht von dem hydraulischen Fracking selbst“, erklärt der Projektleiter Charles Groat. Die Autoren empfehlen, bestehende Vorschriften zu überarbeiten und wirksamer durchzusetzen.

Die Debatte ist noch lange nicht beendet

Der Geologe Hans-Martin Schulz vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam, der in einem europäischen Forschungsprojekt zum Schiefergas mitwirkt, hält die texanische Studie für solide. Besonders auf die Umwelt achten müsse man bei der Aufbewahrung und Aufbereitung der Flüssigkeit, die nach dem Fracking aus dem Bohrloch emporquillt. Denn darin seien nicht nur durch das Fracking eingebrachte Chemikalien, sondern auch aus dem Gestein gelöste Salze und Metalle enthalten, zum Beispiel Arsen. Forschung würde da weiterhelfen: Durch Laborexperimente und Computersimulationen könnte ermittelt werden, wie sich die Frackingflüssigkeit mit der Zeit verändert.

Wie nicht anders zu erwarten, hat die texanische Studie gleich Kritik auf sich gezogen. Viele Bürger misstrauen den Aussagen, da diese die Gasindustrie unkritisch zu entlasten scheinen. Hatte nicht sogar die amerikanische Umweltbehörde EPA im Dezember 2011 mitgeteilt, sie habe im Grundwasser nahe einer Frackingbohrung im US-Bundesstaat Wyoming Spuren eingesetzter Chemikalien gefunden? Das stimmt tatsächlich, aber die Funde hat die EPA in sehr tiefen Kontrollbrunnen gemacht, die nicht zur Wasserversorgung dienen. Die Gesundheit der Bevölkerung sei nicht in Gefahr, so die EPA; zur Vorsorge solle das Wasser aus umliegenden Brunnen aber trotzdem gemieden werden.

Die US-Umweltbehörde arbeitet an einem Bericht

Der Fall von Wyoming ist selbst umstritten und wird gerade überprüft. Immerhin wäre es der erste Nachweis, dass Frackingchemikalien durch Risse im Gestein ins Grundwasser vordringen könnten. Allgemein halten Fachleute das aber für sehr unwahrscheinlich. Obendrein ist Grundwasser nicht gleich Grundwasser: Zwischen der Gaslagerstätte und den normalerweise für die Bevölkerung angezapften Grundwasserschichten weiter oben liegen in der Regel viele Hundert Meter wasserundurchlässiges Gestein. Dennoch herrscht in der US-Öffentlichkeit die Auffassung, die Gefahr sei sehr real, dass das Grundwasser kontaminiert werden könnte. Der Kongress hat die EPA nun beauftragt, solche Fragen möglicher Umweltgefährdung durch Fracking durch eine groß angelegte Untersuchung zu klären. Dafür werden Prüfmessungen an mehreren Bohrstellen vorgenommen. Der erste vorläufige Bericht ist für Ende 2012 zu erwarten.

Wie die texanische und andere Studien zeigen, gehen mit dem Fracking noch weitere Umweltprobleme einher. Zum Beispiel werden viele Bohrstellen im Wald angelegt. Allein für das Marcellus Shale, die größte Schiefergaslagerstätte in den USA, rechnet man mit einer Abholzung von 140 bis 340 Quadratkilometern. Zusätzlich müssen womöglich 320 bis 810 Quadratkilometer Wald der Infrastruktur geopfert werden. Nicht zu vernachlässigen, gerade in trockenen Regionen, ist zudem der hohe Wasserverbrauch. Einen Vorteil sehen die meisten Fachleute hingegen im Hinblick auf das Klima, weil bei der Verbrennung des Gases deutlich weniger Kohlendioxid als im Fall der Steinkohle entsteht.

In Europa wird noch nicht so viel über die möglichen Umweltgefahren des Frackings diskutiert wie in den USA, schließlich steht die Förderung von Schiefergas hier erst am Anfang. Das Potenzial gilt als deutlich kleiner, weil die Vorkommen tiefer liegen und eine Infrastruktur wie in den USA für die Nutzung fehlt. In vielen dicht besiedelten europäischen Ländern, so auch in Deutschland, ist der Widerstand gegen die neue Fördertechnik aber mindestens so groß wie jenseits des Atlantiks.

Schiefergas in Deutschland

Vor allem in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wird nach sogenanntem Schiefergas gesucht. Aber auch für zwei Gebiete am Bodensee (Konstanz und Biberach) sind Genehmigungen erteilt worden. Die Explorationsfrist endet im Mai. Bisher sind in Deutschland nach Angaben des Umweltbundesamts noch keine Bewilligungen für die Erdgasförderung mittels Fracking erteilt worden.

Die Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke Bodensee/Rhein sieht im Fracking eine Gefahr für das Grundwasser und daher „Konflikte zwischen Energiegewinnung und Trinkwasserschutz“ auf die Region zukommen. Das Umweltbundesamt fordert in einer Stellungnahme vom Dezember, die Gasgewinnung kritisch zu überprüfen. (amd)amd