Der Widerstand gegen Windräder scheint wie weggefegt. Bürger, Bauern, Bürgermeister – alle wollen verdienen. Im Land herrscht Goldgräberstimmung

Stuttgart - „Baden-Württemberg liegt nicht an der Nordsee.“ Am Wahrheitsgehalt dieser von der früheren CDU/FDP-Regierung gern zitierten Binse hat sich nichts geändert. Doch als Totschlagargument taugt dieses Mantra der Windkraftgegner nicht mehr. Der terminierte Atomausstieg setzt vor allem das Atomland Baden-Württemberg unter Druck, wo mehr als die Hälfte des Stroms in den beiden Kernkraftwerken Philippsburg II und Neckarwestheim II erzeugt wird. Dieser Anteil muss bis 2022 ersetzt werden, wenn als letztes Atomkraftwerk Neckarwestheim II vom Netz geht.

 

Auf das Binnenland Baden-Württemberg kommen also stürmische Zeiten zu. Die grün-rote Landesregierung will den Anteil der Windenergie an der Stromerzeugung zügig ausbauen, von derzeit knapp einem Prozent (und damit Schlusslicht im Bundesvergleich) auf zehn Prozent bis 2020. Das heißt, bis dahin müssten mindestens 125 Windräder jährlich errichtet werden. Eine schier unglaubliche Zahl, aber der deutlich kleinere Nachbar Rheinland-Pfalz habe dies 2011 erreicht, wird der grüne Umweltminister Franz Untersteller nicht müde zu erklären. Durch Gesetzesänderungen wird die alte Blockadepolitik aufgegeben, der Bau von Windkraftanlagen erleichtert.

Gesetzesankündigung löst Goldgräberstimmung aus

Noch ist das Gesetz im Anhörungsverfahren, doch allein die Ankündigung der politischen Kehrtwende hat wahre Goldgräberstimmung ausgelöst. Ganze Heerscharen von Projektentwicklern, Maklern, Investoren ziehen durchs Land, selbst aus dem fernen Spanien. Ihre Aufgabe: „Standortsicherung“. Um besonders ertragreiche Flächen kämpfen bis zu hundert Interessenten. „Bei vielen, die Grund und Boden haben, blinkt das Eurozeichen im Auge“, sagt Walter Döring, Vorstandsmitglied der Windreich AG. „Es herrscht Wildwest“, sagt er und verweist auf Pachtangebote von Standortmitbewerbern von bis zu 50 000 Euro jährlich.

Wichtigstes Hilfsmittel bei der Suche ist der Windatlas, den der damalige FDP-Wirtschaftsminister Ernst Pfister beauftragt hat. Auf 50 Meter genau lassen sich die ertragreichen Lagen – die finden sich insbesondere im Hohenlohischen und auf den Höhenlagen von Alb und Schwarzwald – identifizieren, die Eigentümer mit Hilfe der Grundbuchämter.

Investoren sichern sich Standorte

Ganz vorne mit dabei: die Mannheimer MVV Energie, die noch kein Windrad in Baden-Württemberg, wohl aber Windparks in anderen Bundesländern hat. Und der landeseigene Energiekonzern EnBW, der nach dem Aus für die Atomkraft verstärkt auf die erneuerbaren Energien setzt und bereits 13 Anlagen im Südwesten betreibt. 22 Standorte habe sich die EnBW bereits gesichert, weitere hundert mit einem Potenzial für bis zu 400 Windkraftanlagen würden geprüft, sagte der Vorstandsvorsitzende Hans-Peter Villis am Mittwoch in Schopfloch (Kreis Freudenstadt). Dort nahm die EnBW jetzt das höchste Windrad im Nordschwarzwald in Betrieb – Nabenhöhe 138, mitsamt Rotor knapp 180 Meter hoch.

Diese modernen, leistungsstarken Energieriesen, höher als das Ulmer Münster mit 161 Metern, werden das Land prägen. Zumal hierzulande große Windgeschwindigkeiten von mehr als sechs Meter pro Sekunde erst in einer Höhe von 140 Metern über Grund auftreten. Die gigantischen Windräder dieser Klasse ermöglichen erst eine wirtschaftlichere Nutzung der Windkraft in den Wäldern, zumal sie auch die höchsten die Baumwipfel deutlich überragen. Da trifft es sich gut, dass mit dem Fortschritt Grün-Rot auch den Staatsforst aus der Tabuzone holt und Standorte dort „positiv begleiten“ will.

Waldfläche nicht mehr tabu für die Windräder

„Ohne die Waldflächen kann das Ausbauziel bei der Windenergie nicht erreicht werden“, sagt auch Jerg Hilt, Geschäftsführer der Forstkammer, die die kommunalen und privaten Waldbesitzer vertritt. Er ist gespannt darauf, wie „der Spagat zwischen der ökologischen Energiewende und den Naturschutzflächen im Wald“ gelingen wird. Für die Waldbesitzer tue sich jedenfalls eine attraktive Verdienstmöglichkeit auf. Man müsste, ausgehend von einer Fläche von zwei Hektar, „25 Jahre lang Holz machen“, um 20 000 Euro zu erzielen. Das ist die Summe, die ein Windrad jährlich etwa an Pacht abwirft. „Diversifizierung“ nennt das Raimund Friderichs, der Leiter des Geschäftsbereichs Forst des Hauses Hohenzollern, drittgrößter Waldbesitzer in Deutschland. Die Pacht als neue Nebeneinkunft könne das Überleben der Waldbauern sichern. Trotz der positiven Signale aus der Politik ist er aber nicht sicher, ob nicht doch „neue Hemmnisse über den Naturschutz“ aufgebaut würden. „Wir verlieren Zeit für die Energiewende“, sagt er, wenn für jeden Standort die Unbedenklichkeit nachgewiesen werden müsse.

Und auch Klaus Mack, Bürgermeister in Bad Wildbad, sieht seine Pläne zum Ausbau der Windenergie beschnitten. Einst hatte er Einspruch erhoben gegen den Windpark Simmersfeld. Heute will der CDU-Mann seine Kommune klimaneutral haben und auf Stadtgebiet Windräder aufstellen. Doch das Auerhuhn einerseits und die Suche nach einem möglichen Nationalparkgebiet behindern seine Pläne.

Dorffrieden in Gefahr

Horb, Schömberg, Zimmern ob Rottweil, Pfullendorf, Dischingen, Bad Peterstal-Griesbach – überall wollen Kommunen ihre neue Planungshoheit nutzen, die ihnen im Landesplanungsgesetz eingeräumt wird, das von 2013 an gelten soll. Es winken Pacht- und Gewerbesteuereinnahmen. Die Kommunen werden in den Flächennutzungsplänen Standorte ausweisen, in enger Abstimmung mit den bis jetzt allein zuständigen Regionalverbänden. Diese planen zurzeit neue und bessere Vorranggebiete für Rotoren. So mancher Bürgermeister macht bereits deutlich, dass die Gemeinde auf eigene Flächen bestehen will, sollten ihre Wunschstandorte nicht im Regionalplan auftauchen.

Viele Bürgermeister sehen auch den Dorffrieden in Gefahr, wenn einige Grundstücksbesitzer von der Standortsuche profitierten, andere leer ausgingen. Die Standorte sind derzeit weder rechtlich bestimmt noch auf die Anforderungen von Immissionsschutz, Abstand oder Naturschutz hin überprüft. Der Bürgermeister der Gemeinde Rot am See (Kreis Schwäbisch Hall) sah sich deshalb bereits genötigt, im Amtsblatt „eindringlich an alle Grundstückseigentümer“ zu appellieren, „derzeit keine Vorverträge irgendwelcher Art mit Betreibern von Windkraftanlagen zu unterzeichnen“.