Das Bundeswirtschaftsministerium will die Akzeptanz für die Energiewende vor Ort erhöhen und regionale Ökostromtarife für die Verbraucher ermöglichen. Doch das ist in Deutschland gar nicht so einfach.

Stuttgart - Der moderne Verbraucher wird gerne seiner Verantwortung gerecht. Wer Kinderarbeit ablehnt, kauft Kleider nicht beim Discounter, wer gegen Pestizide ist, geht zum Biomarkt, und wer sich für die Energiewende engagiert, schließt einen Ökostromvertrag ab. An Letzteren gab es in der Vergangenheit allerdings häufig Kritik: Denn für den Kunden ist schwer zu durchschauen, ob sein Engagement einen Effekt hat oder nur den Versorger bereichert.

 

Ökostrom wird in Deutschland über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert. Erzeuger von Grünstrom erhalten eine feste Vergütung, die über die EEG-Umlage von allen Verbrauchern bezahlt wird. Rein rechnerisch entfallen bei einem Versorger normalerweise rund 40 Prozent des Strombezugs auf EEG-geförderte Kilowattstunden. Ganz egal, ob er Atom-, Kohle- oder Windstrom einkauft: Diese knapp 40 Prozent kann er in seinem Energieträgermix (den jeder Versorger ausweisen muss) als Ökostrom bezeichnen und seinen Kunden einen – in der Regel leicht teureren – Grünstromtarif anbieten, ohne überhaupt eine Kilowattstunde grüner Elektrizität eingekauft zu haben. Ist der Versorger weniger trickreich, besorgt er sich zumindest Zertifikate, die nachweisen, dass Ökostrom erzeugt worden ist. Das kann aber genauso gut in Österreich oder Norwegen geschehen sein. Die wenigsten Versorger kaufen tatsächlich direkt Ökostrom ein, ihre Tarife sind merklich teurer.

Verbraucher sollen sich an der Energiewende vor Ort beteiligen können

Gleichzeitig wollen Verbraucher aber gerne ihren Beitrag zur Energiewende leisten, weswegen ihnen das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) im Zuge der EEG-Novellierung eine neue Regelung widmen möchte: die sogenannte regionale Grünstromkennzeichnung. Die Idee dahinter ist, dass sich Verbraucher an der Energiewende vor Ort beteiligen können, indem sie Strom von regionalen Ökostromerzeugern beziehen, weil, so das BMWI in einem entsprechenden Eckpunktepapier vom 11. März, „eine regionale Vermarktung von Grünstrom die Akzeptanz der Energiewende vor Ort fördern kann“.

Nun ist das rein physikalisch schwierig, denn es hieße, dass man eigene Stromleitungen von der Windkraftanlage oder dem Solarfeld zum Verbraucher legen müsste. Stattdessen setzt das BMWI auf Zertifikate, die nicht nur nachweisen, dass Ökostrom erzeugt worden ist, sondern auch in welchem Postleitzahlengebiet das geschehen ist. Für die Ausstellung wäre – wie bei allen sogenannten Herkunftsnachweisen für Strom – das Umweltbundesamt zuständig. Es stellt dem Erzeuger die Nachweise aus. Der kann diese Zertifikate dann gezielt an einen Stromanbieter verkaufen, der einen regionalen Ökostromtarif auflegen möchte. Eine direkte Lieferbeziehung zwischen dem Ökostromerzeuger und dem Stromtarifanbieter würde dabei nicht entstehen. Ganz im Gegenteil: Der Strom, den der Anbieter besorgt, kann auch aus Braunkohle- oder Atomkraftwerken stammen. Er erhält nur zusätzlich einen Aufkleber, der sicherstellt, dass in einer bestimmten Region tatsächlich Ökostrom produziert wurde, und die Kilowattstunden, die ein Kunde verbraucht, auch nur einem einzigen Endkunden geliefert wurden.

Eine außergewöhnlich breite Allianz kritisiert den Vorschlag aus Berlin

„Das ist ein unglaublicher Mehraufwand ohne Mehrwert für den Kunden oder die Energiewende“, sagt Christoph Pietsch, Referent Energiemärkte beim Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) in Berlin. Gemeinsam mit fünf weiteren Verbänden hat der BEE einen Brief an die in dieser Woche tagenden Mitglieder der Ausschüsse für Wirtschaft und Energie sowie Recht und Verbraucherschutz im Deutschen Bundestag geschrieben und sich energisch gegen das Modell der regionalen Grünstromkennzeichnung ausgesprochen. Mitunterzeichnet haben in außergewöhnlicher Allianz der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE), der Bundesverband der deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der Handelsverband Deutschland (HDE) und der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV).

In dem Brief heißt es, das bestehende System von Herkunftsnachweisen und Stromkennzeichnung sei schon heute für Unternehmen und Verbraucher „kaum nachvollziehbar“. Genau hier setze das Modell der regionalen Grünstromkennzeichnung aber an und verkompliziere dieses durch „Regionalnachweise“. Zugleich könne die Erwartung der Stromkunden, mit einem solchen Produkt einen spürbaren Beitrag zum Ausbau der erneuerbaren Energien vor Ort zu leisten, „durch dieses Modell nicht erfüllt werden“: „Der Akzeptanz der Energiewende wäre so nicht gedient“, schreiben die Verbände und bitten die Abgeordneten, „sich dafür einzusetzen, dass die regionale Grünstromkennzeichnung im EEG 2016 nicht eingeführt wird“.

Vorausgegangen ist dem Vorschlag ein langes Ringen um einen gangbaren Vorschlag. Das sogenannte Grünstrommarktmodell, das mehrere Unternehmen der Strombranche vorgeschlagen hatten und das eine direkte Lieferbeziehung ermöglicht hätte, hatte das BMWI mit Verweis auf europarechtliche Bedenken im Oktober vergangenen Jahres abgelehnt.

Auf der Suche nach Grünstrom

Grünstrom
Das Wort Grünstrom gab es schon einmal im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG): Bis 2014 gab es das sogenannte Grünstromprivileg, das Stromanbieter ganz oder teilweise von der Zahlung der EEG-Umlage befreite, wenn sie zu bestimmten Prozentsätzen Ökostrom direkt vom Erzeuger kauften und an den Endkunden lieferten. Mit der EEG-Novelle 2014 wurde diese Art der Direktvermarktung abgeschafft.

Direktvermarktung
Im Gegenzug zur Abschaffung des Grünstromprivilegs führte das EEG 14 die verpflichtende Direktvermarktung ein. Auf diesem Weg wird mittlerweile etwa die Hälfte des EEG-geförderten Stroms vermarktet. Dabei verkaufen Ökostromerzeuger ihren Strom selbst und erhalten zusätzlich Prämien. Das soll die Anlagenbetreiber dazu bringen, ihren Strom dann zu verkaufen, wenn er gebraucht wird – und die Marktpreise hoch sind. Durch die Förderung mit einer Prämie wird aus dem Ökostrom dabei allerdings sogenannter Graustrom.

Ersatz
Seither sucht die Energiewirtschaft nach einer Möglichkeit, grünen Strom direkt als Ökostrom an Kunden zu liefern. Eine entsprechende „Verordnungsermächtigung zur Einführung eines Grünstromvermarktungsmodells“ steht sogar im EEG 2014. Doch die Suche gestaltet sich schwierig, nicht zuletzt, weil die Lösungmit Europarecht kompatibel sein muss.