Deutschland steigt aus der Kernenergie aus. Doch auf der Jahrestagung des Atomforums wird deutlich, dass Brüssel darauf nicht verzichten will.

Stuttgart - Ralf Güldner, der Präsident des Deutschen Atomforums, lässt bei seiner Ansprache auf der Jahrestagung der deutschen Kernkraftbranche in Stuttgart keinen Zweifel an der Haltung seiner Organisation: „Die deutschen Energieversorger nehmen die Energiewende in Deutschland in der ganzen Breite an und engagieren sich bei ihrer konsequenten Umsetzung.“ Investitionen in die Kernkraft hätten natürlich einen gesellschaftlichen, politischen und juristischen Rahmen. Und den setze jedes Land souverän selbst fest, räumt Güldner ein.

 

Dass der Energiemix europaweit in nationaler Verantwortung liege, betont auf der Tagung auch Peter Faross, der stellvertretende Generaldirektor für Kernenergie der Europäischen Kommission. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Brüssel seit 2009 europaweit für Energiepolitik zuständig ist. Und da hat die EU bekanntlich recht ehrgeizige Ziele gesetzt: Bis zum Jahr 2020 soll die Energieeffizienz um 20 Prozent erhöht, der CO2-Ausstoß um 20 Prozent verringert und der Anteil der erneuerbaren Energien um 20 Prozent gesteigert werden. Bei diesen Zielen sei man auch auf gutem Wege, sagt Faross. Lediglich bei der Energieeffizienz sieht man in Brüssel noch deutliche Defizite – vor allem bei der Gebäudesanierung und dem Verkehr.

Weiterhin sieht der EU-Fahrplan für die Energieversorgung der Zukunft bis zum Jahr 2050 eine Reduktion der CO2-Emissionen um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 vor. Dafür gebe es – neben einer höheren Energieeffizienz – drei Optionen, so Faross: die erneuerbaren Energien, die Kernkraft und die Verklappung von CO2 im Untergrund, die sogenannte CCS-Technik. Jeder Staat könne selbst den für ihn besten Weg bestimmen. Die EU selbst hat für diesen Energiefahrplan zwei „Trendszenarien“ entwickelt: das „Referenzszenario“ und „Aktuelle politische Initiativen“. Darüber hinaus wurden fünf „Szenarien zur Dekarbonisierung“ errechnet, bei denen die erwähnten Optionen unterschiedlich gewichtet wurden.

Dekarbonisierung ist machbar

Das wichtigste Fazit: die Dekarbonisierung, also das vollständige Zurückfahren aller CO2-Emissionen, ist machbar – technisch und wirtschaftlich. Dabei seien die Kosten für den Umbau der Energieversorgung ähnlich hoch wie das Weitermachen wie bisher, betont Faross. Man tausche lediglich Investitions- gegen Brennstoffkosten aus. So oder so wird nach den Prognosen der EU der Preis für Strom bis 2030 steigen. Danach wird er aber wieder fallen. Das liegt an dem derzeit hohen Investitionsbedarf bei der Stromerzeugung – wozu neben dem Ausbau der alternativen Energien auch der Ersatz alter Kraftwerke gehört – sowie den Kosten für neue Speicher und Netze.

Brüssel sieht in der Kernenergie sowie in der CO2-Speicherung zentrale Technologien für die Dekarbonisierung. Entsprechend tauchen diese auch – mehr oder weniger stark – in den Szenarien auf. So betont Faross mehrfach den hohen Beitrag der Kernenergie zur Versorgungssicherheit und zur CO2-Reduktion – sowie zur Bezahlbarkeit von Strom. Tenor: je weniger Kernkraft ein Szenario aufweise, desto höher sind nach den EU-Berechnungen die Kosten. Allerdings müssen etwa von 2035 an die etwa hundert europäischen Atomkraftwerke erneuert werden, die dann an ihrem Lebensende angekommen sein werden. Das wird viel kosten – sofern die Kernkraft auch dann noch einen Anteil am Energiemix der EU haben soll. Die meisten Szenarien zeigten aber, dass die „Kernenergie bis 2050 einen festen Platz in der EU haben wird“, sagt Faross auf der Jahrestagung der Kerntechniker.

Nach der Havarie der Atomreaktoren in Fukushima achtet die EU nun mehr als früher auf die Sicherheit der europäischen Meiler. Diese wurden nach dem Unglück ausgiebigen Stresstests unterzogen, deren Abschlussbericht im Herbst diesen Jahres vorliegen soll. Ein Ergebnis verkündet Faross aber schon jetzt: „Wir werden in Zukunft unser Augenmerk nicht mehr nur auf die Prävention richten, sondern verstärkt das Management von Unfällen in den Vordergrund rücken.“ Und man werde sehr genau überwachen, ob die aus den Stresstests abgeleiteten Empfehlungen auch eingehalten werden.