Energiewende von unten: die 3000-Einwohner-Gemeinde Rainau will ihren Bedarf an Strom, Gas und Treibstoff selbst decken. Ein Dorfrundgang mit dem Bürgermeister Christoph Konle.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Rainau - Zum Besten, was die Gemeinde Rainau im Ostalbkreis zu bieten hat, gehört der handgemachte Zwetschenkuchen der Bäckerei Maier unweit des Rathauses. Man könnte sagen, das sei nicht schwer, weil der andere Bäckerladen im Ortsteil Buch im Juni notgedrungen schließen musste, aber der Bürgermeister Christoph Konle hat wirklich nicht zu viel versprochen. Das köstliche Streuselgebäck ist der Beweis, dass sich mit Rezepten von gestern auch morgen noch gut leben lässt – zumindest in Einzelfällen.

 

Die Rainauer zehren noch auf andere Weise von der Vergangenheit. Da ist vor allem das von einer mächtigen Glaskonstruktion überwölbte Limestor bei Dalkingen, ein wahrer Touristenmagnet. Interessant auch die Reste eines römischen Kastells oder der Bucher Stausee, ein Anziehungsort für Schwimmer, Segler, Angler und große Scharen seltener Wildgänse. Nebenher speist das Wasser eine alte Turbine, der Kalk lässt sie stottern, aber das wird sich durch ein neues Wartungskonzept bald ändern.

Christoph Konle, Bürgermeister von Rainau. Foto: Gottfried Stoppel
Vieles ändert sich in Rainau gerade, und das liegt an diesem neuen Bürgermeister, der im März ins Amt gewählt wurde. Er besitzt das Parteibuch der CDU, aber seine Visionen sind so grün wie die saftigen Wiesen, die sich zwischen den fünf Ortsteilen der Gemeinde bei Ellwangen erstrecken. „Wir wollen einen Masterplan für die Energiewende entwickeln“, sagt Christoph Konle. Die Gemeinde soll baldmöglichst den Energiebedarf der Einwohner selber produzieren, und zwar alle Energie: Wärme, Strom, Treibstoff für den Autoverkehr.

Reines Verwalten ist für Konle nichts

Leute gibt’s, die wissen schon früh, was sie werden wollen, und wenn nicht das, dann doch immerhin, dass sie was werden wollen. Konle, der mal Fußball gespielt hat und eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Fußballtrainer Klopp nicht ableugnen kann, ist so jemand. Früh wurde er Geschäftsstellenleiter einer Sparkassenfiliale, engagierte sich nebenher als Gemeinderat in Unterschneidheim, und im Alter von 30 packte er erneut etwas an und bewarb sich in Rainau als Bürgermeister. Zack, saß er auf dem Chefsessel. „Ich wollte schon immer was bewegen“, sagt Konle.

Der mittlerweile 31-Jährige könnte es gemächlich angehen lassen und wohlgefällig das Wirken und Werden seiner Gemeinde steuern. Die kommunalen Finanzen sind ordentlich bestellt. Hier vielleicht ein bisschen mehr Werbung für die Römerstätten, dort etwas Pep für die Gemeindehomepage, dazu ein wachsames Auge auf den anstehenden Bau von fünf Windrädern am Ostrand – das könnte ein hinlängliches Arbeitsprogramm für den Beginn sein.

Bloß: schon Konles Wahlkampf hat angedeutet, dass reines Verwalten nichts für ihn ist. Und jetzt sagt er es immer und immer wieder: „Wir wollen, dass die Energiewende gelingt. Wir wollen Mustergemeinde für die ganze Region werden.“

Wir, das sind vorläufig der Jungbürgermeister sowie die Wissenschaftlerin Martina Hoffmann, die Inhaberin des Lehrstuhls für Erneuerbare Energien an der Hochschule Aalen. Wenn sie über den verfahrenen Stand der Energiewende erzählt, bekommt ihre Stimme etwas Empörtes. Sie erzählt vom „Wildwuchs der EEG-Gesetzgebung“, von Windparks, die immer wieder abgeschaltet werden müssten, damit die Stromnetze nicht kollabierten; von getriebenen Energiekonzernen, die „nur am Netzausbauen sind“, die riesige neue Stromtrassen über Hunderte Kilometer zögen, während die Energiespeichertechnik voranschreite und die Trassen in ein paar Jahren wohl überflüssig mache.

Unterstützung von der Wissenschaft

Martina Hoffmann weiß noch, wie das war, als dieser Christoph Konle zu Beginn seines Wahlkampfs bei ihr anrief und fragte, ob sie ihm im Fall seines Sieges helfen wolle, und wie sie sofort dachte, diese Gemeinde Rainau könnte das Experimentierfeld werden, nach dem sie lange gesucht hat. Sie hat Studenten nach Rainau ausschwärmen lassen, Bachelorarbeiten vergeben, die Ergebnisse der ersten Bedarfsanalyse sind da.

Die Gemeinde könne in den nächsten fünf bis zehn Jahren komplett energieautark werden, verspricht die Professorin. Wenn das gelinge, könne die ganze Republik profitieren: „In Deutschland gibt es etwa 2000 Gemeinden mit dem gleichen Verhältnis von Fläche und Einwohnern.“

Die technischen Pläne für die Energiewende von Rainau sind im Prinzip fertig. Im Mittelpunkt steht eine Biogasanlage, aber keine, wie sie Landwirte schon hundertfach gebaut haben, sondern eine zweistufige. Maßgeschneidert werden solche Anlagen von der 2011 gegründeten Firma Snow Leopard Projects im bayerischen Reisbach. Bakterien übernehmen in der ersten Stufe eine Art „Vorverdauung“ des angelieferten Grünguts, erst danach bewirken weitere Bakterienkulturen die Methanisierung. Das entstandene Gas wird ins Gasnetz der Gemeinde eingespeist. Ein Vorteil der Anlage: sie kann Pflanzen aller Art verarbeiten, sogar Gülle oder Weintrester, ihr Betrieb hängt nicht vom Anbau von Maismonokulturen durch Landwirte ab. Alle Bürger der Gemeinde, so der Plan, können ihren Gartenschnitt anliefern – und hier auch ihre Gasautos an der kommunalen Gastankstelle betanken. Wer will, kann auch gleich hochwertigen Dünger mitnehmen, denn das sind die Gärreste, die nach der Methanisierung übrig bleiben.

Detaillierte Berechnungen

Die zweistufige Biogasanlage soll noch mehr können. Auch überschüssigen Strom aus den Fotovoltaik und Windkraftanlagen der Gemeinde soll sie in Erdgas verwandeln und zur Pufferung ins Gasnetz einspeisen. Bei dem Verfahren, bekannt unter dem Begriff „Power to Gas“, wird mit dem Strom zunächst Wasserstoff mittels Elektrolyse erzeugt. Anschließend folgt die Methanisierung. Simpel ausgedrückt: wenn die Sonne lange scheint und der Wind stark weht, geht die überschüssig erzeugte Energie nicht mehr in das phasenweise ohnehin überlastete Stromnetz, sondern wird als Gas gespeichert und steht zur Verfügung, wenn die Rainauer die Heizung aufdrehen oder eine Dusche nehmen.

Ist dieser lokale technische Kreislauf hergestellt, sagt Martina Hoffmann, dann werde er durch die zu erzielenden Kundenentgelte fast von selber auch wirtschaftlich. Rainau werde „nicht anderen auf der Tasche liegen“, die Gemeinde „die EEG-Fördermittel nicht brauchen“.

Wirtschaftswissenschaftler der Hochschule Aalen arbeiten bereits an detaillierten Berechnungen – wie überhaupt die Wissenschaft auf das Projekt Rainau angesprungen ist. Chemiker, Elektrotechniker und Messtechniker sind mit im Boot, nicht nur aus Aalen, sondern auch aus dem Zentrum für angewandte Forschung der Hochschule für Technik in Stuttgart. Sogar das Institut für Photonische Technologien in Jena will dabei sein. „Wir setzen das ganz groß auf“, sagt Martina Hofmann. Was in Rainau entstehe, sei nichts weniger als „die Energiewende von unten“. Ihre Stimme hat längst wieder etwas Sanftes. „Der Masterplan wird nicht von oben kommen.“

Die Bürger werden mitgenommen

Der Bürgermeister Konle ist dabei, die zweite Schwierigkeit des Großprojekts zu lösen, nämlich seine Rainauer auf die Herausforderung einzuschwören. Der Gemeinderat, in dem es übrigens keine Fraktionen gibt, ist schon lange begeistert, Anfang Oktober hat es die erste große Bürgerversammlung gegeben, an deren Ende erste Arbeitsgruppen gebildet wurden. Ohne die Begeisterung – oder wenigstens die Akzeptanz – der Einwohner könne das Projekt nichts werden, weiß der Bürgermeister. Die Leute müssten kapieren: „He, ich bin an einer Revolution beteiligt.“

Die Revolution besteht vordergründig in einem anderen Umgang mit Energie, auf der zweiten Ebene aber in der Stärkung des ländlichen Raums, in der Zukunftsfähigkeit der kleinen Gemeinde Rainau, die ohnmächtig die Jungen fortziehen sieht, weil sie glauben, in den Großstädten etwas Besseres zu finden als die ewige Rückschau auf die herrliche Römerzeit.

Fehlt zum Gelingen des Rainauer Masterplans eigentlich nur noch der Segen der Landespolitik, besser noch die Anschubhilfe aus Stuttgart. Aber siehe da, der so unverzagte Christoph Konle hat noch kein Ministerium kontaktiert und sich zunächst im CDU-Netzwerk ausgetauscht: mit dem Aalener Landrat Klaus Pavel und dem Bundestagsabgeordneten Roderich Kiesewetter aus dem Wahlkreis Aalen-Heidenheim. Bald wolle er den ersten Brief an den grünen Umweltminister richten, sagt Konle. Er hoffe doch, dass sein Parteibuch seinen Plänen nicht im Weg stehe.

Sollte dem so sein, mag die grün-roten Machthaber in Stuttgart beruhigen, dass der Bürgermeister von Rainau die Jahrzehnte gepflegte CDU-Parteidoktrin, wonach Atomkraftwerke unverzichtbar seien, noch nie geglaubt hat. „Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl durfte ich nicht mehr im Garten spielen. Das ist ein richtiges Kindheitstrauma.“ Ein Trauma, das der Urstoff für einen höchst spannenden Traum geworden ist.