Die Bilanz von Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) kann sich sehen lassen. Doch von dem ehrgeizigen Ziel, bis 2020 zehn Prozent des Strombedarfs mit Windenergie zu decken, ist man weit entfernt. Erst jetzt zeichnet sich ein starker Zubau von Windrädern ab.

Stuttgart - Was kann Landespolitik bewirken angesichts des globalen Problems Klimawandel, was beitragen zur Verringerung von klimaschädlichen Treibhausgasen und zum Umbau eines komplexen Energie- und Strommarktes mit wirtschaftlichen Abhängigkeiten? Sehr viel – das beschloss die 2011 gewählte grün-rote Regierung und setzte sich im Koalitionsvertrag hehre Ziele. Nachhaltigkeit wird als Grundsatz der Politik definiert und der Weg in eine „ökologisch-soziale Erneuerung“ des Landes vorgezeichnet. Der Ausstieg aus der Atomkraft, die Energiewende und der Ausbau der erneuerbaren Energien sollen als Chance begriffen werden, das Maschinenbauland Baden-Württemberg als Technologie- und Innovationsstandort zu stärken und zu einer „führenden Energie- und Klimaschutzregion“ zu machen. Die Weichen für eine Neuausrichtung der Energie- und Klimapolitik hat die Landesregierung mit Gesetzen, Vorgaben und Förderprogrammen gestellt.

 

So wurde im Mai 2012 das Landesplanungsgesetz novelliert. Damit sollte die von den Vorgängerregierungen betriebene Blockade der Windkraft gelöst und deren Ausbau beflügelt werden. Von dem ehrgeizigen Ziel, bis 2020 mindestens zehn Prozent des Strombedarfs aus „heimischer Windkraft“ zu decken, ist man jedoch weit entfernt, die Planungs- und Genehmigungsverfahren erwiesen sich als unerwartet langwierig. Seit 2012 dümpelt der Südwesten im Ländervergleich am unteren Ende der Rangliste (1,1 Prozent) und liegt mit dem für 2015 verkündeten „Rekordzubau“ von 53 Windrädern 2015 nun bei geschätzten 1,3 Prozent.

Harte Geduldsprobe für Umweltminister Untersteller

Umweltminister Franz Untersteller, von FDP-Fraktionschef im Landtag Hans-Ulrich Rülke als „Flautenfranz“ verspottet, sieht sich am Ende einer harten Geduldsprobe. Das Jahr 2016 wird den lang ersehnten Windkraftboom bringen: Drei Windparks mit 21 Windrädern sind allein im Januar ans Netz gegangen, hundert Anlagen seien im Bau, 200 Anträge auf Genehmigung liegen vor. Das Zehn-Prozent-Ziel, gibt sich Untersteller zuversichtlich, sei noch erreichbar. Dies verweist die CDU-/FDP-Opposition ins Reich der Utopie.

Seinen ersten Erfolg kann der Umweltminister im Juli 2013 vermelden. Das im Koalitionsvertrag als „zentrales Element“ angekündigte Klimaschutzgesetz hat auch die CDU-Opposition überzeugt. Das Gesetz, freut sich der Minister, sei ein „großer Schritt zu einer nachhaltigen Lebenswirklichkeit im Südwesten“. Der Klimaschutz hat somit Gesetzesrang, dem künftig der gleiche Stellenwert beigemessen werden muss wie etwa dem Naturschutz – das betrifft alle Vorhaben wie den Bau von Straßen, die Ausweisung von Gewerbeflächen oder auch Windkraftstandorte. Die Vorgabe: bis 2020 soll der Anteil der im Südwesten erzeugten klimaschädlichen Treibhausgase im Vergleich zum Referenzjahr 1990 um mindestens 25 Prozent gesenkt werden, bis 2050 um 90 Prozent.

Diesem Gesetz schickte die Regierung im Juli 2014 das „Integrierte Energie- und Klimaschutzkonzept (IEKK)“ hinterher, das 108 konkrete Maßnahmen aus den Handlungsfeldern Strom, Wärme, Verkehr, Landnutzung, Energieeffizienz, Modernisierung der Infrastruktur, Ausbau der Erneuerbaren auflistet.

Novellierung des Wärmegesetzes wichtiger Schritt

Eine weitere Weichenstellung erfolgte im März 2015 mit der Novellierung des Erneuerbare-Wärme-Gesetzes. Hierbei wurde der Anteil der erneuerbaren Energien beim Heizen von zehn auf fünfzehn Prozent erhöht, allerdings kann ein sogenannter Sanierungsfahrplan mit fünf Prozent auf diese Ökopflicht angerechnet werden. Nach wie vor ist Baden-Württemberg das einzige Bundesland mit einem Wärmegesetz. Bereits 2008 hatte dies die Vorgängerregierung ohne den Koalitionspartner FDP beschlossen, wohl aber mit den Stimmen der damaligen Grünen-Opposition. Die Novellierung 2015 trug die CDU nicht mit, auch wegen der Einbeziehung von Nichtwohngebäuden in die Ökopflicht. Sie greift, wenn bei älteren Gebäuden die Heizungsanlage erneuert werden muss.

All diese energiepolitischen Vorgaben haben den Südwesten Ende 2014 den zweiten Platz im Bund-Länder-Vergleich zum Ausbau erneuerbarer Energien beschert. Die Studie hatte die Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) beauftragt – als Gradmesser für das Gelingen der Energiewende. Die politischen Rahmenbedingen spielten eine entscheidende Rolle, das Ausbautempo, so der AEE-Geschäftsführer Philipp Vohrer damals, bestimmten nicht nur Bundesgesetze, sondern auch Regelungen auf Landesebene.

Suedlink-Trasse als „Flaschenhals der Energiewende“?

Gleichwohl sind es derzeit vor allem die Abhängigkeiten von der Bundespolitik, die dem baden-württembergischen Umweltminister Sorgen bereiten – so kommt der Netzausbau zur Stromübertragung nicht voran. Die Suedlink-Trasse, die Windstrom vom Norden in den Süden nach Baden-Württemberg und Bayern transportieren soll, wird sich wegen der jüngsten gesetzlichen Änderungen in Sachen Erdverkabelung, die jedoch mehr Akzeptanz bei der Bevölkerung bringt, erheblich verzögern. Suedlink, so Untersteller, könnte zum „Flaschenhals der Energiewende werden“.

Die Ökoenergien dürften jetzt nicht ausgebremst werden, ist ein weiteres Mantra des Umweltministers. Er fordert ehrgeizigere Ausbauziele auf Bundesebene – mindestens 50 Prozent bis zum Jahr 2025, das bisherige Ziel von 40 bis 45 Prozent bis 2025 sei deshalb „viel zu unambitioniert“. Im vergangenen Jahr hatten Wind-, Solar-, Wasser- und Bioenergie bereits einen Anteil von 32,5 Prozent am Stromverbrauch.

Beim Projekt Energiewende steht Baden-Württemberg, steht Deutschland noch ganz am Anfang. Der Umbau des Energiesystems ist eine Aufgabe von „historischer Tragweite“ , vergleichbar mit der „ersten industriellen Revolution“, so der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. So ein „Generationenprojekt“ sei in einer Regierungszeit nicht zu bewerkstelligen.

Nachgeprüft: der Energiesektor im Detail

Landesgebäude:

Der Sanierung landeseigener Gebäude wollen wir einen höheren Stellenwert einräumen“ – so steht es im Koalitionsvertrag. Im Klimaschutzgesetz legt die Regierung später nach und spricht von der „Vorbildfunktion der öffentlichen Hand“. Absatz 2 definiert: „Das Land setzt sich zum Ziel, bis zum Jahr 2040 die Landesverwaltung . . . weitgehend klimaneutral zu organisieren.“ Im November 2015 meldet der für die Landesliegenschaften zuständige Finanzminister Nils Schmid (SPD) einen ersten Erfolg: Die Vorgabe des Energie- und Klimaschutzkonzeptes für Landesgebäude, bis zum Jahr 2020 jene 40 Prozent (Vorgabe bis zum Jahr 2030: 60 Prozent) CO2-Emissionsminderung gegenüber dem Referenzjahr 1990 (666 000 Tonnen CO2) zu erreichen, wurde bereits 2014 mit 385 000 Tonnen CO2 mehr als erfüllt. Dieses Ergebnis, so der Finanzminister, sei durch umfangreiche energetische Maßnahmen und die Umstellung auf Ökostrom erreicht worden. Seit 2012 wurden 143 Millionen Euro für energetische Maßnahmen aufgewendet, was jährlich mehr als 14 Millionen Euro an Energiekosten einsparte.

Atom-Endlagersuchgesetz

„Wir halten es für erforderlich, dass für die hoch radioaktiven Abfälle baldmöglichst ein geeignetes Endlager zur Verfügung steht. Wir treten für ein ergebnisoffenes, bundesweites Suchverfahren ein.“ Der Atomausstieg wurde im Juli 2011 von der Bundesregierung endgültig besiegelt, doch die Lagerung des hoch radioaktiven Mülls blieb seit 1961, als das Versuchsatomkraftwerk Kahl bei Aschaffenburg erstmals Atomstrom ins Netz einspeiste, ungelöst. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte sich kurz nach seiner Wahl für einen Neustart bei der Suche nach einem Atom-Endlager starkgemacht, wohl wissend, dass auch Tongestein in Baden-Württemberg in Betracht gezogen werden könnte. Der Salzstock in Gorleben, seit Ende der 1970er als mögliches Endlager in der Prüfung, sei aus „politischem Kalkül“ bestimmt worden, sagte Kretschmann. Für eine sichere, hunderttausend Jahre dauernde Lagerung aber seien wissenschaftliche Kriterien notwendig. Im Juli 2013 gelang der „historische Moment“. Das Endlagersuchgesetz wurde verabschiedet. Als geeignet gelten Salz- und Tongestein, aber auch Granitformationen. Kein Bundesland ist von der Standortsuche ausgeschlossen.

Energieeffizienz

Das größte Energieeinsparpotenzial liegt bei Wohngebäuden. 40 Prozent des Endenergieverbrauchs entfallen auf Heizung und Warmwasseraufbereitung, der Anteil der CO2-Emissionen im Gebäudebereich liegt bei 25 bis 30 Prozent. Doch die energetische Sanierung der Häuser ist teuer – die jährliche Sanierungsquote liegt knapp unter einem Prozent.

Weil auf Bundesebene keine steuerliche Förderung von energetischen Sanierungen zustande kam, hat die Landesregierung gemeinsam mit der L-Bank Energieeffizienzprogramme aufgelegt, für private Hausbesitzer sowie kleine und mittelständische Unternehmen. Durch diese Zuschüsse werden die Förderprogramme der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) weiter verbilligt. Ein Erfolgsprogramm: rund 20 Prozent der deutschlandweiten KfW-Förderung wurden von Hausbesitzern im Südwesten abgerufen, rund ein Drittel der Bundesmittel von Unternehmen im Land. Seit dem Start der Energieeffizienzprogramme im April 2012 wurden Darlehen von insgesamt gut drei Milliarden beantragt, mit einem Investitionsvolumen von knapp 4,5 Milliarden Euro bis Ende 2015. Gut 282 000 Tonnen CO2 jährlich werden seit Ende 2015 jährlich eingespart.