Gaildorf will ein neuartiges Naturstromkraftwerk: Eine Kombination aus Windkraft und Pumpspeicher. Im Jahr 2014 könnte es in Betrieb gehen.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Gaildorf - Die vier Windkraftanlagen werden, wenn ihre Rotoren in vertikaler Stellung stehen, annähernd so hoch wie der Stuttgarter Fernsehturm sein. Im Innern jedes der mächtigen, verdickten Masten können 40.000 Kubikmeter Wasser gespeichert werden. Von hier oben auf den Limpurger Bergen schießen die Wassermengen, so die Baupläne, über eine Turbine in ein 250 Meter tiefer gelegenes Unterbecken, das mit dem Fluss Kocher verbunden ist. Ist genug Wind da und laufen die Windrotoren mit ihrer vollen Leistung von je 4,5 Megawatt, werden die insgesamt 160.000 Kubikmeter Wasser wieder zurück in die Türme gepumpt.

 

In zwei bis drei Jahren könnte die weltweit erste Anlage dieser Art mit dem Betrieb beginnen. Noch nie ist eine Stromerzeugungsanlage gebaut worden, die einen Windpark mit einem Pumpspeicherkraftwerk so verbindet, dass Windtürme als Wasserspeicher dienen, also die bisher notwendigen Oberbecken ersetzen. Die Heidenheimer Firma Voith Hydro und der bayerische Baukonzern Max Bögl wollen die technischen Probleme so lösen, dass die Anlage später ohne Ausfälle arbeitet.

Der Gemeinderat ist begeistert

Mit Windkrafträdern, wie man sie in Baden-Württemberg kennt, haben die geplanten vier Türme mit einer Nabenhöhe von 150 Metern und einem Rotordurchmesser von 136 Metern nichts gemein. "Wir gehen in eine neue Dimension", sagt Alexander Schechner, Geschäftsführer der Naturstromspeicher GmbH Gaildorf. So einfach im Vorbeigehen hat sich das Projekt den 12.500 Einwohnern der Kleinstadt im Kreis Schwäbisch Hall nicht verkaufen lassen.

Der Gemeinderat zeigte sich nach Bekanntwerden erster Pläne imSeptember 2011 aber begeistert vom Naturstromspeicher, der einmal rund 10.000 Haushalte mit Strom versorgen soll. Allerdings wollten die Räte einen Beschluss von dieser Tragweite nicht fassen, ohne die Bürger abstimmen zu lassen. Im Anschluss an ein Beteiligungsverfahren, auch mittels eines eigenen Internetportals, kam es am 11. Dezember zum Urnengang. Die Mehrheit der Wahlberechtigten stimmte dafür, dass die Stadt kommunale Grundstücke für das Bauprojekt zur Verfügung stellt. Die Wahlbeteiligung hatte bei lediglich 45 Prozent gelegen.

Ein politischer Streit innerhalb der Stadt war damit entschieden. Eine Bürgerinitiative hatte sich vehement gegen das Kraftwerk gestemmt. Der von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Mindestabstand von zwei Kilometern zwischen Windkrafträdern und bewohnten Gebieten werde nicht eingehalten, so eines der Argumente; die riesigen Bauwerke, die Infraschall erzeugten und Menschen elektromagnetisch beeinflussen könnten, würden den Immobilienwert angrenzender Häuser und Wohnungen massiv verringern; seltene, geschützte Tiere wie der Rotmilan, Fledermäuse und der Siebenschläfer würden von den Höhenzügen bei Gaildorf vertrieben werden.

Die Finanzierung steht noch nicht

Tatsächlich muss die Projektgesellschaft noch viele Fragen beantworten. Ein Jahr veranschlagt Geschäftsführer Schechner für die Artenschutzuntersuchung, ein weiteres Jahr für alle Baugenehmigungen. "Wir werden nicht aufhören, Aufklärung zu betreiben", verspricht er. Ihm und dem Gemeinderat sei aber wichtig gewesen, erst die Mehrheit in der Bürgerschaft hinter das Projekt zu bringen, bevor Tatsachen geschaffen würden. 

Auch die Finanzierung steht noch nicht. Auf Gesamtkosten von 40 Millionen Euro ist das Kombikraftwerk veranschlagt. Sie soll mit Hilfe einer neu gegründeten Bürgergenossenschaft gestemmt werden. Ihre Mitglieder müssen laut Satzung im Landkreis Schwäbisch Hall oder einem angrenzenden Kreis wohnen. Die Einlage ist auf 500 Euro festgelegt, bis zu 100 Anteile können gekauft werden.

Wie Schechner sagt, halten er und seine Familie, die bereits vier kleinere Wasserkraftwerke entlang des Kochers betreibt, größere Anteile an der Genossenschaft. Schechner spricht von "größeren regionalen Investoren", die ebenfalls in Sicht seien, außerdem von Enstiegsoptionen sowohl der EnBW als auch der Stadt Gaildorf. Sechs bis zehn Prozent Rendite stellen die Projektentwickler den Genossenschaftsteilhabern nach einer Anlaufzeit in Aussicht.

Lediglich ein Kurzzeitspeicher

Das Kraftwerk soll jährlich 40 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen - genug nicht nur für Gaildorfs Haushalte und Wirtschaft, sondern auch für die Einspeisung ins überregionale Netz. Ein Perpetuum mobile, völlig unabhängig von der konventionellen Stromerzeugung in Atom- oder Kohlekraftwerken, wird die Gaildorfer Anlage aber nicht sein.

Das bei ausreichendem Wind aus eigener Kraft in die Türme gepumpte Wasser sei lediglich ein Kurzzeitspeicher, sagt Alexander Schechner. Sei diese Energie verbraucht, müsse eben auch auf das vorhandene örtliche Stromnetz zugegriffen werden. Bei mittlerer Leistung reicht das Speichervolumen nach geltenden Plänen, um für rund 20 Stunden etwa 35.000 Menschen mit Strom zu versorgen.

Die Entwicklung von Langzeitspeichern von Naturstrom ist eine Aufgabe, an deren Lösung sich viele auf Landes- und Bundesebene beteiligen müssen. Eine vielversprechende Technologie ist die Umwandlung von Windstrom in Gas, die sogenannte Methanisierung. Die Speicherfähigkeit im Gasnetz gilt als gut und ausbaufähig. Allerdings treten bei der Umwandlung relativ hohe Energieverluste auf, sie ist deshalb teuer. Mehr Kurzzeitspeicher wie Gaildorf, glaubt Schechner, könnten aber helfen, künftige Stromkosten maßvoller zu halten.