Eine Gruppe Plieninger fordert mehr Freiräume von der Stadt für ehrenamtliches Engagement – und mehr Eigeninitiative von ihren Mitbürgern. Die Bezirksvorsteherin versteht diese Wünsche nur bedingt.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Plieningen - Dieses Wort ist ein Zungenbrecher: Subsidiarität. Laut Duden ein „gesellschaftspolitisches Prinzip, nach dem übergeordnete gesellschaftliche Einheiten (besonders der Staat) nur solche Aufgaben an sich ziehen dürfen, zu deren Wahrnehmung untergeordnete Einheiten (besonders die Familie) nicht in der Lage sind“. Was das alles mit Plieningen zu tun hat, erklären Michael Wörner, Martin Selje und Thomas Plagemann beim Mittagstisch in der Unteren Körschmühle, in einer Nische bei Fleisch, Spätzle und Soß’. Claudia Horn von den Plieninger Landfrauen gehört eigentlich auch in die Runde, doch sie lässt sich entschuldigen, sie ist krank.

 

Politisch wären Wörner, Selje und Plagemann eine schwarz-grüne Koalition, aber um Parteipolitik geht es hier nicht. Hier geht es um Plieningen, um die Frage, wer den Stadtbezirk weiterentwickelt, ihm Gutes tut. „Wenn man möchte, dass was passiert, muss man selber was machen“, sagt Wörner. Beispiele haben er und die anderen einige auf Lager: Sei es, dass die Freiwillige Feuerwehr Plieningen beim Neubau des Magazins tatkräftig mitgeholfen hat oder dass Eltern bei Schulsanierungen Hand angelegt haben. Doch Michael Wörners Lieblingsbeispiel ist das Waaghäusle. Da haben Plieninger Bürger der Stadt den Rückbau des kleinen Anbaus der Zehntscheuer abgetrotzt. Sie haben das Waaghäusle in Eigenleistung wieder zu dem gemacht, was es vor der Sanierung gewesen ist. Das sei ein kleiner Präzedenzfall gewesen, die Stadt habe etwas aus der Hand gegeben, an engagierte Bürger.

Vertrauen zu den Bürgern

So etwas sollte öfters möglich sein, sagt Wörner. Er argumentiert am schärfsten von allen. „Die Stadt kann es nicht“, sagt er. „Die Bürger, die sich einbringen, verstehen etwas von der Sache.“ Plagemann sagt, die Stadt täte womöglich gut daran, „ein größeres Vertrauen zur Bevölkerung zu entwickeln. Vielleicht würde das den Stadtbezirk zusammenschweißen“.

Die Bezirksvorsteherin Andrea Lindel versteht die Kritik an der Stadt nicht. „Die Stadt lässt doch mit sich reden“, sagt sie. Dass die Ämter den Bürgern das mit dem Waaghäusle zugestanden haben, „das fand ich sehr großzügig“, sagt Lindel. „Die Leute sollen mit konkreten Ideen und Beispielen kommen.“ Ihren Job versteht sie als „Scharnierfunktion“, wie sie sagt. Einerseits ist sie das Gesicht des Bezirks, andererseits ist die Stadt ihr Arbeitgeber. Und für ihn wirbt sie um Verständnis, dass der Eigeninitiative bei allem guten Willen Grenzen gesetzt seien. Andrea Lindel nennt als Beispiel, „einen Spielplatz mit einer Schaukel aufzuhübschen“. Wenn sich ein Kind verletzt, „wer trägt dann die Verantwortung?“, gibt die Bezirksvorsteherin zu bedenken.

Wer würde mitmachen?

Dass Wörner, Plagemann und Selje von der Stadt mehr Freiräume fordern, ist die eine Seite. Denn selbst wenn sie diese tatsächlich einstreichen könnten, stellt sich sogleich die nächste Frage: Wer macht mit? Und da hapere es leider. „Die Meckerer machen meistens nichts“, sagt Michael Wörner. Wieder das Beispiel Waaghäusle: Für den Rückbau in Eigeninitiative haben etliche Leute unterschrieben, als es dann ums Spenden ging, blieben die meisten Geldbeutel zu.

Das bestätigt Claudia Horn, Vorsitzende der Landfrauen, später auf Anfrage. „Die Verwurzelung am Ort ist einfach nicht mehr so wie früher“, sagt sie. „Die Leute müssen flexibler sein.“ Da bleibe wenig Zeit für ehrenamtliches Engagement. Außerdem habe sich der Zeitgeist gewandelt. „Man tut erst mal was für sich und nicht für die anderen“, sagt Horn.

Auf dem Rücken weniger Leute

Martin Selje sagt, dass sich natürlich Leute fürs Gemeinwohl engagieren. Sei es in einer Kirchengemeinde, in Vereinen oder für die Flüchtlinge. Um die gehe es nicht. „Uns geht es um einen Aufruf, dass sich das Engagement nicht nur auf wenigen Rücken verteilt“, sagt Selje. Die evangelische Kirchengemeinde schrumpfe, sagt Selje, der selbst Kirchengemeinderat ist. Warum, fragt er, spenden sie die eingesparte Kirchensteuer nicht einem Projekt im Bezirk? „Es ist nicht gut, sich ganz aus dem Gemeinwesen zu verabschieden. Das wäre eine Entsolidarisierung.“ Und Wörner ergänzt: „Die inaktive Mehrheit kann dafür sorgen, dass die unterstützt werden, die was tun.“ Im Protokoll eines Gedankenaustausches steht: „Unser Dorf gehört allen, aber Eigentum verpflichtet!“ Das ist Subsidiarität oder das Plieninger Prinzip.