Bristol ist ein bisschen London im Miniaturformat. Die Stadt ist kreativ, spannend und die Heimat des Street-Art-Künstlers Banksy, den hier jeder zu kennen scheint.

Freizeit & Unterhaltung: Anja Wasserbäch (nja)

Bristol - England, 1817. In der Nähe von Bristol taucht eine Frau mit exotischer Kleidung auf. Sie spricht seltsam, teilt sich durch Handzeichen mit. In den kommenden Wochen vervollständigt sich dank eines Dolmetschers die Geschichte von Carabu, einer chinesisch-malaiischen Prinzessin, die von Piraten entführt wurde, über Bord sprang und an der Küste Südenglands angespült wurde. Carabu wird zum Star der feinen Leute. Eine Zeitung berichtet über sie. Mit Zeichnung. Da wird der Schwindel entlarvt, als eine Leserin ihre Untermieterin mit dem schlichten Namen Mary Baker und wenig spektakulärer Biografie wiedererkannte. Es ist eine der schönsten Geschichten, die die Menschen in Bristol erzählen. Und nur eine von vielen.

 

Bristol ist die Stadt der lustigen und der interessanten Erzählungen. Sie ist auch die Stadt der Straßenkunst. Sie ist die Heimat von Banksy, dem wohl bekanntesten, unbekanntesten Street-Art-Künstler, dessen wahre Identität immer noch nicht enthüllt ist, dessen Werke für Millionenbeträge verkauft werden. Manche vermuten neuerdings gar, hinter dem Pseudonym Banksy stecke eine Frau mit einer Truppe Helfern. Bristol ist immer ein bisschen anders als die anderen britischen Städte - und dabei doch sehr typisch britisch. Der Taxifahrer schimpft über London: „London ist zu laut, zu voll, zu hektisch, zu dreckig. Bristol ist anders.“ Und fügt ein „Love“ an, was man durchaus mit „Liebling“ übersetzen kann.

Ach, diese Engländer! Sie sind immer freundlich, auch wenn sie im Stau stehen. Bristol ist ein bisschen die kleine Ausgabe von London - nur ohne die ganzen schlechten Adjektive. Wie London ist Bristol eine Stadt, die aus Dörfern gewachsen ist. Sie liegt acht Kilometer entfernt von der Küste und ist eine Stadt dazwischen: zwischen Wales und Cornwall, zwischen den hübschen Cotswolds und dem bezaubernden Somerset, ganz nah zu dem fast zu hübschen Städtchen Bath, in dem die Römer so gern waren. Bristol ist ein guter Ausgangspunkt für England-Reisende. Ein guter Ort zum Bleiben aber auch. Ausgerechnet an einem späten Herbst-Wochenende präsentiert sich Bristol zu Fuß, auf dem schicken Vintage-Fahrrad oder auf dem Boot auf dem Fluss Avon von seiner besten Seite. Die Sonne scheint. Das macht sehr viel aus. Nicht nur auf Fotos.

Ein Apartment für 680.000 Euro

Am besten lernt man fremde Städte ja zu Fuß kennen, eignet sie sich an, macht die Straßen zu Bekannten. Spaziert von A nach B. Von der Altstadt den Berg hinauf ins schmucke Clifton, sozusagen dem Killesberg von Bristol. Mit den hübschen, sehr teuren Stadthäusern. Hierher auf den Hügel ist Reich und Schön gezogen, als es unten in der Stadt enger und lauter wurde. Als die Stadt im 18. Jahrhundert mit Sklavenhandel reich wurde. Eine dunkle Episode in der Geschichte Bristols. Aufschluss darüber, wie es einer Stadt so geht, geben auch immer die Immobilienpreise in den lokalen Zeitungen. So kostet ein Apartment mit zwei Schlafzimmern am Fluss ab 535 000 Pfund, umgerechnet rund 680 000 Euro. Hier an der Waterfront haben sich in ehemaligen Fabrikhallen, Firmen und Galerien Büros und Bars angesiedelt. Wo es mit ZaZa Bazar das größte Restaurants Englands gibt (1000 Sitzplätze!), wo seit ein paar Jahren auch Außenbestuhlung erlaubt ist und nicht mehr nur Raucher draußen stehen. Gleich da am Fluss, auf dem die Kinder reicher Eltern das Segeln beigebracht bekommen.

Da liegt auch das Schiff „Thekla“, das bis vor kurzem noch ein Banksy-Bild zierte und auf dem die Studenten - und von denen gibt es viele - ihre Partys feiern. Bristol möchte, dass das Geld in der Stadt bleibt, und hat deshalb den Bristol Pound eingeführt. Eine eigene Währung, die man eins zu eins umtauschen kann. In Bussen und in einigen Läden kann man damit zahlen. Wer die Währung annimmt, geht damit den Deal ein, das Geld wiederum nur in lokale Firmen zu investieren. Ja, Bristol ist eine Stadt voll von Überraschungen und kreativen Menschen. Wenn man so durch die Altstadt schlendert, kann es schon mal sein, dass man in einer Ausstellung an einem ungewöhnlichen Ort landet.

Die Fotografien hängen an den gekachelten Wänden einer öffentlichen Toilette. Es gibt viele schöne Ecken hier: Bei den Christmas Steps, einer schmalen Gasse, den schönen Pubs in der mit Pflastersteinen bedeckten King Street. 350 Jahre alt ist die eine Kneipe. Es soll hier gewesen sein, wo Robert Louis Stevenson zu seiner „Schatzinsel“ inspiriert worden war, wo „Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe seinen Anfang nahm. In derselben Straße ist das Old Vic Theatre, wo Jeremy Irons und Daniel Day-Lewis schon auf der Bühne standen und von dem es auch eine Ausgabe in London gibt. Ja, da sind sie immer wieder, die Parallelen zu London: die Stadt an der Themse. Hier in Bristol, der Stadt am Fluss Avon, gibt es alles auch, nur etwas kleiner.

Der Mainstream und die Subkultur

Der St. Nicholas Market ist mit seinen Shops und Essensständen eine Mischung aus dem Londoner Camden und dem Borough Market. Hier gibt es Pizza und Pies, Pita und Würstel, alles bio, vieles glutenfrei. Noch mehr London: die kleinen Galerien, die keinen Eintritt kosten, und natürlich Einkaufszentren, wie das in die Jahre gekommene Broadmed Shopping Centre und den Cabot Circus, ein Shopping-Mall-Luxusdampfer, in dem auch Harvey Nichols und House Of Fraser - wieder so Londoner Marken - ihre Heimat haben. Erstaunlich aber ist, wie nah hier alles beieinander ist: der Mainstream und die Subkultur. Man braucht kein Tube-Ticket, keinen Bus. Die coole Gegend rund um die Straße Stokes Croft war früher Problemviertel, heute gibt es angesagte Bars und Läden, in denen man Secondhand-Möbel kaufen kann. Es ist auch dort, wo Banksy seine Karriere begann und wo viel bunte Graffiti-Kunst an den Fassaden zu bestaunen ist.

Und am Hamilton House ein echter Banksy: „The Mild Mild West“ lautet der Titel, zu sehen sind ein Teddybär, bewaffnet mit einem Molotowcocktail, gegenübergestellt Polizisten hinter Schutzschildern. Entstanden irgendwann in den neunziger Jahren. Heute im Jahr 2014 sorgt in dem Stadtteil die Skip Kitchen für Schlagzeilen: In dieser Lokalität wird das Essen aus Zutaten zubereitet, die im Supermarkt übrig blieben. Das Bezahlsystem ist simpel: Jeder gibt, so viel er kann. Vielleicht funktioniert so etwas ausgerechnet hier. Die Bristolians sind stolz auf ihre Stadt, auch auf ihren Ingenieur Isambar Kingdom Brunel, der die hübsche Suspension Bridge konstruierte, aber die Fertigstellung nicht mehr erleben durfte, und natürlich auf Banksy. Egal mit wem man über den Unbekannten spricht, jeder scheint ihn zu kennen. Oder kennt jemand, der jemand kennt, der mit ihm in der Schule, an der Universität, im Sandkasten war.

An der Bristol Cathedral Choir School, wo am Nachmittag adrette schuluniformierte Boys und Girls das Gebäude verlassen, soll er gewesen sein. Anscheinend noch in einem anderen Stadtteil (Redfield) leben. Auf dem Weg den Buckel hoch die Park Street entlang, wo es den bezaubernden Haushaltswaren-und-noch-viel-mehr-Laden Bristol Guild und einige Vintage-Retro- Sächelchen-Läden gibt, entdeckt man noch einen Banksy, weil die Touristen dort für ein Selfie-Bildchen stehen bleiben. Es zeigt eine Seitensprungsituation: Ein nackter Mann klammert sich am Sims fest: Aus dem Fenster schauen der gehörnte Mann und seine Frau im schwarzen BH. Das Bild befindet sich auf der Rückseite der Marie-Stopes-Klinik für sexuelle Gesundheit.

Infos zu Bristol

Anreise
Die Fluglinie BMI fliegt ab Frankfurt und München direkt ab rund 180 Euro, www.bmiregional.com .

Unterkunft
Das schöne Boutique-Hotel The Bristol Hotel ( www.doylecollection.com/bristol ) liegt perfekt, mitten in der Stadt und am Wasser. Das DZ kostet pro Nacht ab 125 Euro. Das Restaurant The River Frille ist sehr gut und bietet jeden Sonntag einen klassischen britischen Lunch an.

Außerdem empfehlenswert: The Clifton Hotel Bristol in dem schicken Stadtteil Clifton (ab 75 Euro pro Nacht; www.cliftonhotels.com )

Ausflüge/Sehenswert
Wer nicht lange in Bristol ist, sollte sich folgende Stationen nicht entgehen lassen: Im Arnolfini Arts Center, einem ehemaligen Teelagerhaus, gibt es zeitgenössische Kunst, www.arnolfini.org.uk

Spike Island ist ein großes Gebäude, in dem an die hundert Künstler ihre Ateliers haben. Außerdem gibt es wechselnde Ausstellungen, www.spikeisland.org.uk

Am Hafen gibt es jeden Sonntag den bezaubernden Harbourside Market, auf dem es Süßes und Salziges, schöne Bücher und Kunsthandwerk zu kaufen gibt. Der St. Nicholas Market ist jeden Tag geöffnet.

Wirklich eindrucksvoll ist der Besuch der „SS Great Britain“, ein Dampfschiff vom Konstrukteur Brunel. Auf dem Schiff wird Geschichte erlebbar gemacht: Inklusive Gestank im Tiertransportraum unter Deck, www.spikeisland.org.uk

Toll ist eine Rundfahrt mit dem Fahrrad. Buchbar unter www.cyclethecity.org .

Eine Street-Art-Tour zu Banksys Kunst und anderen schönen Graffiti lässt sich im Touristenbüro oder unter www.wherethewall.com buchen.

Literaturtipp
Im Reiseführer „Cornwall & Südwestengland“ von Petra Juling (Dumont) gibt es ein ausführliches Kapitel über Bristol.

Allgemeine Informationen
visitbristol.co.uk und www.visitbritain.com