Ennio Morricone ist ein König der Filmmusik. Bei seinem Auftritt in der Schleyerhalle in Stuttgart dirigiert der 86-Jährige sachlich und konzentriert. Doch nicht alle Musiker auf der Bühne sind so aufgeräumt.

Stuttgart - Ginge es mit rechten Dingen zu, hätte Ennio Morricone in Theodor W. Adorno einen Bewunderer gehabt. Denn in der vor mehr als siebzig Jahren zusammen mit Hanns Eisler verfassten Schrift „Komposition für den Film“ wetterte Adorno gegen „eines der verbreitetsten Vorurteile innerhalb der Filmindustrie, dass man die Musik nicht hören soll“. Der Philosoph forderte, dass der planmäßige Einsatz der Musik beim Drehbuch beginnen müsse. Tatsächlich ist Morricones Beitrag zur Musik im Film nach 1960, ähnlich dem etwas jüngeren Michel Legrand, ebenso neuartig wie originell und intelligent, nämlich meist dramaturgisch begründet. Andererseits hat der 1928 in Rom geborene Komponist die Popkultur mit Klangchiffren bereichert, die ihn auch denen bekannt machen, die nicht seinen Namen kennen.

 

Und so strömen derzeit Morricones Anhänger in die von ihm dirigierten Konzerte seiner Welttournee „My Life in Music“, die am 1. Februar im Amsterdam ihren Anfang nahm und fünf Stationen in Deutschland umfasst. Am Mittwochabend saßen 86 Musiker des Tschechischen National-Sinfonieorchesters und ein 75 Köpfe starker gemischter Chor auf einem schlichten schwarzen Podium in der Stuttgarter Schleyerhalle, flankiert von zwei Videowänden – das war’s. Keine Lichtshow, keine Gimmicks. Das einzig Bunte waren dezente farbige Blumen, die sich die Musikerinnen ins Haar oder ans Dekolleté gesteckt hatten. Nichts sollte ablenken von der Musik.

So bescheiden der Rahmen, so umstandslos der Beginn des Konzerts. Auftritt Morricone, schwarzer Rollkragenpullover, dunkler Anzug, die Brille mit einem Gummiband fixiert, knappe Verbeugung, ein Handschlag mit dem Konzertmeister. Kein Lächeln. Schon saß der Meister auf seinem Hocker, gab den Einsatz. In Zeiten aufgemöbelter, grimmassierender Stars geradezu eine Ansage: hier geht es um Kunst, allein um Kunst.

Das Konzert ist nach Genres und Themen strukturiert

Im ersten Teil des Abends waren mehrere Filmtitel in drei eigenständigen, quasi sinfonischen Sätzen zusammengefasst. Gebündelt wurden Genres und Themen. Der erste Satz hieß „Life and Legends“ mit Filmen, die zur Zeit der durch die europäischen Auswanderer geprägten USA in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielen: „Die Unbestechlichen“, „Es war einmal in Amerika“, „Die Legende vom Ozeanpianisten“. Morricones Zusammenarbeit mit den Regisseuren Brian de Palma, Sergio Leone, Giuseppe Tornatore hat beide Seiten ungewöhnlich inspiriert.

Schade, dass der Sound zwar deutlich zeichnend, aber die akustische Stofflichkeit so medioker war: dass etwa die Streicher zu direkt abgenommen waren und daher blechern klangen und es im Fortissimo generell grell wurde. Der Qualität des Orchestermagiers Morricones tat das wenig Abbruch. Ein erster Höhepunkt war die Passacaglia „Uno che grida amore“ aus dem Film „Love Circle“ von 1969 – hier spielt der Schüler von Goffredo Petrassi brillant mit A- und Bitonalität und schichtet das insistierende Thema zu einem Höhepunkt, um es darauf ins Nichts zu verebben zu lassen. Ein starkes und suggestives Stück fernab von allen melodischen Wonnen, die auch eine Seite des Meisterkomponisten sind. Im dritten Teil mit Sergio Leones Western-Klassikern „Zwei glorreiche Halunken“, „Spiel mir das Lied vom Tod“ und „Todesmelodie“ war diese vollsatte Emphase zu hören, wie in „Ecstasy of Gold“ aus dem Film „Il buono, il brutto, il cattivo“, so der Originaltitel der „Glorreichen Halunken“.

Damals, vor fünfzig Jahren, hatte Morricones Sopran-Muse Edda Dell’Orso die Tonspur eingesungen, wahrhaft unvergleichlich ekstatisch. Der italienische Musikwissenschaftler Sergio Miceli nannte ihre Stimme eine der „engelhaften Orgasmen“. Daran kam Susanna Rigacci nicht heran, obwohl sie sich furchtlos auf die hohen Cs stürzte. Wahrscheinlich weiß Morricone, dass Fans heikel reagieren, wenn seine ikonografischen Klangeinfälle einen Deut vom Original abweichen. In Stuttgart gehörte die unheimlich heulende Mundharmonika und die danach apokalyptisch dreinfahrende E-Gitarre aus „Spiel mir das Lied vom Tod“ vielleicht deshalb einfach nicht zum Programm.

Am Ende ein verhaltenes Lächeln

In diesem Film übrigens hat Leone am Set mit Morricones vorher aufgenommener Musik gearbeitet, den Bildrhythmus später im Schneideraum dem der Tonspur angepasst; ein hochmusikalisches Verfahren, wenngleich Morricone gern erzählt, dass Leone, der mit ihm auf die gleiche Grundschule gegangen war, ziemlich unmusikalisch gewesen sei. „Sergio konnte nicht nur nicht gut singen, es gelang ihm auch nicht einmal, eine Melodie schief zu singen. Wenn ich an den musikalischen Atem seiner Filme denke und an unsere intensive kreative Beziehung zueinander, dann scheint mir dies alles außergewöhnlich. Es rührt mich auch ein wenig“, sagte er in einem Interview.

Dieses die üblichen Produktionsweisen verkehrende Vorgehen verhindert, dass Morricones Musik additiv ist, nur nachäfft, was auf der Leinwand zu sehen ist. Das und ihre melodische Kraft wie auch der formale und instrumentale Reichtum machen sie so geeignet für Konzertaufführungen, selbst wenn man sich nach zwei Stunden wünscht, sie wieder als Teil des Gesamtkunstwerks Film zu erleben.

Der zweite Teil des Konzerts enthielt eine Folge aus sozialkritischen Filmen, darunter „Sacco und Vanzetti“ sowie Titel aus dem „Profi“, „Cinema Paradiso“, dem „Zauber von Malèna“ und zum Abschluss „The Mission“. Die Musiker des Tschechischen National-Sinfonieorchesters überraschten mit ausgezeichneten Soli von Trompete, Geige, Bratsche und Englischhorn und einer furchtlosen Sechser-Horngruppe – nur der Klarinettist phrasierte das Liebesthema aus „Cinema Paradiso“ etwas wenig liebesbebend.

Der Chor hatte manchmal seine liebe Not mit der Intonation, dann wurde aus vollem Halse losgelegt. Das Publikum in der gut gefüllten Schleyerhalle erhob sich gleichwohl schon nach dem ersten Teil zum Applaus und feierte den 86-Jährigen am Schluss mit Dankbarkeit. Und da endlich huschte ein verhaltenes Lächeln über das Antlitz des Maestros und nach der zweiten von drei Zugaben winkte er sogar ins Publikum – es wirkte wie der Segen des Papstes. Aber wenn schon nicht Papst, ein König der Filmmusik ist Ennio Morricone allemal.