Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Bahnkunden im Fall von Verspätungen aufgrund von höherer Gewalt entschädigt werden. Bus- und Fluggesellschaften müssen dagegen nicht zahlen.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Luxemburg - Bei längerer Verspätung von Zugreisen gibt es einen Teil des Fahrpreises zurück – unabhängig von den Ursachen. Das neue Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) schafft Klarheit, die Experten begrüßen. Bahnfahrer können damit nun bei allen Verspätungen von mindestens einer Stunde eine teilweise Rückerstattung verlangen (siehe Infokasten). Rechtsgrundlage für alle Ansprüche ist die EU-Verordnung, die direkt in allen EU-Ländern gilt. Bei Verspätungen von 60 bis 119 Minuten muss die Bahn demnach ein Viertel des Fahrpreises zurückzahlen, ab 120 Minuten mindestens die Hälfte.

 

Individuelle Schadenersatzansprüche wegen der Zugverspätung allerdings – zum Beispiel Folgeschäden durch eine verpasste Flug- oder Schiffsreise – bleiben bei höherer Gewalt weiterhin ausgeschlossen. Bahn- oder Flugunternehmen haften zwar nach EU-Recht den Passagieren für Schäden durch Verspätungen. Das gilt aber nur, wenn die Ursachen des Verzugs durch die Beförderungsbetriebe hätten vermieden werden können.

Auslöser des aktuellen EU-Urteils war die österreichische Bahnaufsicht, die vom dortigen Marktführer ÖBB verlangt hatte, den Ausschluss der Haftung bei höherer Gewalt aus dessen Beförderungsbedingungen zu streichen. Die ÖBB lehnte das ab. Der Streit landete schließlich vor dem Verwaltungsgerichtshof, der in Luxemburg um Klärung bat.

VCD sieht Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Bahn

Der ökologische Verkehrsclub VCD kritisiert, dass der Europäische Gerichtshof die Pflicht zur Entschädigung im Falle höherer Gewalt ausschließlich für den Bahnverkehr festlegt habe. In der Urteilsbegründung werde eine analoge Anwendung auf andere Verkehrsträger ausgeschlossen, kritisiert der Bundesvorsitzende Michael Ziesak. Das sei „eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des Eisenbahnverkehrs und zu Gunsten der anderen Verkehrsträger“.

Der VCD verweist auch darauf, dass zum Beispiel Unwetter oder Selbsttötungen im Schienenverkehr, die unter den Begriff „höhere Gewalt“ fallen, gesamtgesellschaftliche Probleme seien. Es sei auch deshalb schwer zu verstehen, dass allein die Bahnunternehmen für entstehende Mehrkosten durch Erstattungen aufkommen müssen. Zu befürchten sei, dass die Deutsche Bahn AG nun zum Fahrplanwechsel im Dezember die Fahrpreise anheben werde, um die Mehrkosten zu kompensieren.

Der VCD sieht – wie andere Experten auch – den Schienenverkehr nun gegenüber Flugzeug und Bus noch stärker benachteiligt. Denn im Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr bleiben Entschädigungen bei Verspätungen wegen höherer Gewalt in den Beförderungsbedingungen ausgeschlossen. Daran ändert sich nichts. Der Europäische Gerichtshof betont in seinem Urteil ausdrücklich, die Situation sei „nicht vergleichbar“ und die Nutzungsbedingungen seien „nicht austauschbar“. Im Flugverkehr erhielten Passagiere zum Beispiel eine pauschale Entschädigung unabhängig vom Ticketpreis, erläuterte ein EuGH-Sprecher auf Anfrage.

Ansprüche gegenüber Fluggesellschaften schwer durchzusetzen

Bei Airlines regelt die EU-Verordnung 261/2004 seit fast einem Jahrzehnt, dass Passagiere sich bei gestrichenen oder überbuchten Flügen den Ticketpreis erstatten oder einen Ersatzflug verlangen können. Zudem gibt es in solchen Fällen als Ausgleich 250 Euro (Flüge bis 1500 Kilometer), 400 Euro (bis 3500 Kilometer) oder sogar 600 Euro (Langstrecken). Auch bei Verspätungen, Kofferverlust, Falschinformationen und schlechtem Service können unter bestimmten Bedingungen Ersatzansprüche geltend gemacht werden, die erst nach drei Jahren verjähren.

Allerdings sind die Ansprüche häufig für Passagiere schwer durchzusetzen, weil Airlines versuchen, sich den Zahlungen zu entziehen. Auch der Teilnahme an Schlichtungsstellen haben sich viele Luftfahrtunternehmen über Jahre verweigert. Mittlerweile gibt es auch kommerzielle Unternehmen wie Flightright, die geschädigte Verbraucher professionell unterstützen.

Die Rechte von Schiffsreisenden sind seit Dezember 2012 im EU-Gesetz geregelt. Wenn das Schiff mehr als 90 Minuten zu spät ablegt oder die Fahrt gestrichen wird, bekommen Passagiere den Ticketpreis erstattet. Alternativ muss der Anbieter eine andere Transportmöglichkeit organisieren. Kleine Schiffe und kurze Strecken sind von der Regelung ausgenommen.