Die „Freunde der Weissenhofsiedlung“ jubeln über das Votum aus Istanbul. Gezittert wurde aber bis zum Schluss.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - So fühlen sich Titelgewinner: „Wir sind Welterbe“, jubeln die „Freunde der Weissenhofsiedlung“ um kurz vor halb elf am Sonntagvormittag. Gerade ist aus Istanbul die lang ersehnte Erfolgsmeldung gekommen: Das Welterbekomitee hat auf seiner Jahreskonferenz in der türkischen Metropole einem Sammelantrag von sieben Ländern auf drei Kontinenten, 17 verschiedene Bauten von Le Corbusier mit dem Welterbe-Titel zu ehren, zugestimmt. Damit dürfen sich fortan nun auch die beiden Wohnhäuser, die der Schweizer Architekt ganz am Anfang seiner internationalen Karriere 1927 für die Stuttgarter Weißenhofsiedlung schuf, mit dem Welterbe-Zeichen schmücken. Und noch wichtiger: Von sofort an stehen die Gebäude unter dem besonderen Bestandsschutz der Unesco, der Kultur- und Bildungsorganisation der Vereinten Nationen.

 

„Wir haben uns vor Glück in den Armen gelegen“, berichtet Suse Kletzin vom Vorstand der Freunde. Viele Jahre hat der Verein auf diesen Moment hingearbeitet; es gab viele Rückschläge – vor allem zwei frühere Ablehnungen von Anträgen bei der Unesco. Das Problem: Es geht beim Welterbe nicht einfach darum, große Architekten oder schöne Bauten zu adeln. Welterbe muss, so die Unesco, „herausragend und beispielhaft als gemeinsamer Besitz der Menschheit“ sein. Und hier gelang eine schlüssige Begründung, die auch die kritischen Denkmalschutz-Gutachter aus Paris überzeigte, erst im großen, geschlossen auftretenden Verbund mit anderen Le-Corbusier-Stätten in Frankreich, Japan, Argentinien und Indien.

Unsicherheit in Istanbul wegen der politischen Lage

Aufgrund aller Vorarbeiten war Friedemann Gschwind, der frühere Leiter des Stadtplanungsamtes Stuttgart-Mitte und heutiger Vorsitzender des Beirates der „Freunde“, vor einer guten Woche recht optimistisch zur Welterbe-Jahrestagung in Istanbul gereist. Die Abstimmungen über alle Neuanträge waren für dieses Wochenende angesetzt; am Freitag gab es schon erste Erfolgsmeldungen für Felsmalereien im Süden Chinas und die Ruinenstadt von Nalanda in Indien.

Und dann begann doch wieder das große Zittern – und zwar in vielerlei Beziehung: Der Militärputsch vom Freitagabend, vor allem die schweren Straßenkämpfe und die unübersichtliche Lage in Istanbul stellten natürlich auch den Fortgang der Welterbe-Konferenz infrage. „Friedemann Gschwind hat am Telefon erzählt, dass er Freitagabend noch mit Kollegen zum Essen im Restaurant war und erst gar nichts mitbekommen hatte von den Vorgängen“, erzählt Suse Kletzin. „Nachts im Hotel hat er dann große Unruhe und Schüsse in der Stadt gehört.“ Am Samstagmorgen heißt es dann lapidar auf der Webseite der Unesco, die Konferenz in Istanbul sei „ausgesetzt“ bis zur Klärung, wie es weitergehen könne. Tagsüber berichten Vertreter der Unesco, mindestens zwei Tage wolle man abwarten, wie sich die politische Lage entwickle.

Titel kam zur Eröffnung des Sommerfestes auf dem Killesberg

Am Samstagnachmittag aber besserten sich die Aussichten. „Unsere Freunde informierten uns, dass es am Sonntag beim Welterbe weitergehen solle und wir wahrscheinlich gleich am Vormittag dran sind“, berichtet Anja Krämer, die Chefin des Museums in der Weißenhofsiedlung und ebenfalls seit vielen Jahren Welterbe-Vorkämpferin. Die Unesco-Strategie: noch einmal alle Delegierten im Kongresszentrum zusammenholen, alle mehr oder weniger unstrittigen Anträge abarbeiten und die Tag ung dann am Sonntagabend vorzeitig beenden. Und der Corbusier-Antrag gehörte ja zum Glück inzwischen zu den unstreitigen. „Die aktuelle Lage in der Türkei trübt natürlich unseren Jubel“, sagt Kletzin. „Aber Friedemann Gschwind ist trotzdem unser Mister Welterbe-Antrag – jetzt erst recht.“

Die frohe Nachricht kam genau richtig zur festlichen Eröffnung des Sommerfestes am Killesberg. Die Freude war auch im Festsaal des Augustinums groß – die Kulturinstitutionen des Areals proben ja hier den kollegialen Zusammenschluss, von der Kunstakademie bis zum Theodor-Heuss-Haus, von der Brenzkirche bis zum Höhenpark. Ein bisschen Welterbe-Glanz strahlt da auf alle ab: „Nachher geht es gemeinsam mit den Kollegen zum Weißenhofmuseum, da steht der Sekt.“ Und Museumschefin Anja Krämer meint: „In Zukunft werden wohl noch ein paar Interessenten mehr den Weg zu uns finden.“

Zukunft der Siedlung soll gesichert werden

Am 27. Oktober feiert das Weissenhofmuseum seinen zehnten Geburtstag. Kletzin und Krämer hoffen sehr, dass zur Feier dann auch der Präsident der Fondacion Le Corbusier aus Paris kommen wird. Die Stiftung pflegt das Werk des Schweizer Meisterarchitekten, „natürlich sind wir durch die jahrelange Welterbe-Arbeit inzwischen eng miteinander verbunden“. Man merkt: An diesem Sonntag hüpft so manches Kulturfreunde-Herz in Stuttgart vor Freude, der Stolz ist groß. „Rückenwind“ spürt Suse Kletzin. „Schließlich müssen wir noch die Zukunft der ganzen Siedlung auf ein sicheres Fundament stellen.“