Fünf Monate nach ihrem Ausbruch in Westafrika ist die Ebola-Seuche außer Kontrolle. Sierra Leone hat den nationalen Notstand ausgerufen. Die Ärzte kämpfen nicht nur gegen die gefährliche Infektion, sondern auch gegen die Stigmatisierung der Kranken.

Johannesburg - Das Grab ist bereits ausgehoben. Es ist ein kleines Grab, kaum mehr als einen Meter lang. Vier Männer in grünen Schutzanzügen mit Mundmasken und Gummihandschuhen legen ein in Plastiksäcke gepacktes Bündel in die Grube: der Leichnam des vierjährigen Faya aus Guéckadou, einem Städtchen im äußersten Südosten Guineas. Keiner der Verwandten Fayas ist gekommen, um von dem Jungen Abschied zu nehmen: Sie haben alle Angst.

 

Faya ist der Ebola-Seuche zum Opfer gefallen, der gefährlichsten Infektionskrankheit der Welt. Sie tobt derzeit in Westafrika so verheerend wie bisher nirgendwo anders in der Welt – fast 1300 Menschen wurden bereits angesteckt. Und mehr als 700 sind gestorben. „Bis kurz vor seinem Tod war ich bei ihm“, sagt die guineische Krankenschwester Adele Millimouno, die für „Ärzte ohne Grenzen“ in der Ebola-Station von Guéckadou tätig ist: „Ich gab ihm Milch zu trinken und ging nur kurz hinaus. Als ich zurückkam, war er tot.“ Die Krankenschwester versteckte sich hinter dem Zelt, um mit ihrem Schluchzen die anderen Patienten nicht noch zusätzlich zu beunruhigen: „Ich war vollkommen fertig.“

Die meisten überleben die Infektion nicht

Weit mehr als jeder zweite Infizierte überlebt die Ansteckung mit dem Virus nicht: In Guéckadou, wo vor fünf Monaten der erste Ebola-Fall auftrat, wurden inzwischen 152 Infizierte behandelt. 111 haben es nicht überlebt. Die Pflege der vor allem in der Endphase ihres Lebens hochgradig ansteckenden Patienten ist mit erheblichen Risiken verbunden. Krankenschwestern und Ärzte müssen sich in Schutzanzüge hüllen, die den gesamten Körper bedecken. Sie tragen Motorradbrillen und Gummihandschuhe. Die Anzüge seien bei Temperaturen über 40 Grad nicht lang auszuhalten, sagt der Berliner Arzt Thomas Kratz, der für „Ärzte ohne Grenze“ in Sierra Leone tätig gewesen ist: Nach 45 Minuten sei man völlig erschöpft und müsse sich anschließend minutenlang mit einer Chlor-Lösung abspritzen lassen.

Doch die ausländischen Helfer müssen nicht nur gegen das mörderische Virus ankämpfen. Fast genauso schlimm sind die Angst und die Missverständnisse, die in der einheimischen Bevölkerung vorherrschen und einen schnellen Stopp der Ausbreitung der Epidemie behindern.

Der gefährliche Glaube an schwarze Magie

Nur wenige Kilometer von Guéckadou entfernt liegen Dörfer, welche die Helfer nicht betreten können: An ihren Zufahrtswegen stehen mit Schleudern bewaffnete Männer Schmiere, um Fremden den Zugang zu verwehren. Unter den Dorfbewohnern grassiert die Auffassung, dass es die Ausländer in ihren merkwürdigen Schutzanzügen sind, die die Menschen krank machen: Sie hätten es auf die Organe der Afrikaner abgesehen, glaubt die an Zauberei und schwarze Magie gewohnte Bevölkerung Westafrikas; manche vermuten sogar Kannibalismus in den Krankenhäusern. Hat die Krankheit nicht erst die schlimmsten Ausmaße angenommen, nachdem die Fremden ins Land gekommen waren?

So wichtig wie medizinisches Pflegepersonal sind für die „Ärzte ohne Grenzen“ deshalb Anthropologen und Psychologen: Sie sollen die Dorfbewohner überzeugen, dass es für alle besser ist, wenn sie ihre erkrankten Familienangehörigen zur Aufnahme in einer Isolierstation melden und auf Traditionen wie die sorgfältige Waschung ihrer Toten verzichten. Die Vorstellung, dass es die Europäer sind, die absichtlich Krankheiten einschleppen, um Afrikas Bevölkerung zu dezimieren, blühte bereits zu den Hochzeiten der Aids-Pandemie: ein Zeichen des noch immer hochproblematischen Verhältnisses der Bevölkerung zu den einstigen Kolonialherren.

Armut fördert die Ausbreitung des Erregers

Es ist – neben der dichten Besiedelung der westafrikanischen Küstenregion – diese Skepsis, die den jüngsten Ausbruch der Ebola-Seuche zum tödlichsten in der Geschichte macht. Fünf Monate nach dem ersten bekannt gewordenen Ebola-Fall hat Sierra Leone jetzt den Notstand ausgerufen. Ganze Gebiete im Osten des Landes sollen unter Quarantäne gestellt werden. „Die Lage ist außer Kontrolle“, sagt Mariano Lugli, Koordinator von „Ärzte ohne Grenzen“ in Genf. Das Virus sei nicht zu stoppen, lokale Gesundheitsbehörden seien überfordert. Liberia hat seine Landesgrenzen und Schulen geschlossen, Fluglinien beginnen damit, ihre Flüge in das Kata-strophengebiet zu stornieren.

Neben Guinea, Liberia und Sierra Leone hat die Epidemie jüngst mit Nigeria ihren vierten Staat erreicht. Weil der bislang einzige Ebola-Tote in Nigeria mit dem Flugzeug eingereist war, befürchten nun auch weit entfernt liegende Nationen wie Südafrika oder gar Großbritannien eine Ankunft des Virus in den eigenen Grenzen: eine theoretische Möglichkeit, die wegen der besseren Gesundheitssysteme in der Ersten Welt nicht wirklich besorgniserregend sei, sagt der Arzt Kratz. Eine Ausbreitung der Seuche wie in Westafrika sei in Europa undenkbar: Ebola ist auch eine Armutskrankheit.

Ignoranz der Pharmakonzerne

Außer Familienangehörigen, die mit den Ausscheidungen der auf schlimmste Weise verendenden Kranken in Berührung kommen, sind vor allem Pflegekräfte gefährdet. Mehr als 100 Krankenschwestern und Ärzte sind in Westafrika bereits infiziert, wovon rund 60 starben, teilt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit: Unter den Toten auch die beiden prominentesten Ebola-Ärzte Sierra Leones und Liberias, Sheik Umar Khan und Samuel Brisbane. Außerdem haben sich in Liberia zwei US-Mitarbeiter der Hilfsorganisation Samaritan’s Purse infiziert: Ihnen soll es jedoch schon wieder besser gehen.

Es sind die Überlebenden der Infektion, die Adele Millimouno nicht aufgeben lassen. „Wir haben schon 40 Menschen gerettet“, sagt die Krankenschwester: „Ich bin sehr stolz auf unsere Arbeit.“ Viel mehr als den Patienten Schmerztabletten zu geben und ihnen ab und zu die Hand zu halten, kann Millimouno allerdings nicht tun. Noch immer fehlt jedes Gegenmittel gegen das Virus – die lediglich alle paar Jahre in Afrika auftretende Krankheit macht die Forschung für Pharmakonzerne nicht lohnenswert. Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ rechnet nicht damit, dass die Epidemie in diesem Jahr beendet sein wird. Bis es endlich so weit ist, werden womöglich noch Hunderte von Menschen sterben.