Hilfsgüter und Helfer gelangen oft nur auf Umwegen in das Land, die Regierung ist hoffnungslos überfordert. Tausende sind ohne Obdach.

Die vier Transportmaschinen der indischen Luftwaffe sind vollbepackt mit Trinkwasser, Milch, Nudeln, Sauerstofftanks und anderen Hilfsgütern. Doch als die Piloten über Kathmandu in der Warteschleife kreisen, warten sie vergeblich auf eine Landeerlaubnis. Der kleine Flughafen sechs Kilometer vor den Toren von Nepals Hauptstadt ist derart überlastet und der Luftraum so überfüllt, dass die Piloten schließlich abdrehen und unverrichteter Dinge zurück nach Delhi fliegen müssen. Ähnlich ergeht es Dutzenden von Flügen.

 

Der Tribhuvan International Airport, Nepals einziger internationaler Flughafen, wird zum Nadelöhr, das die benötigte Hilfe bremst. Der kleine, 1955 erbaute Flughafen hat nur eine, auf Sandboden gebaute Landebahn. Und selbst diese muss wegen Nachbeben und schlechten Wetters immer wieder schließen. Die Folgen sind dramatisch: Viele Helfer und Hilfsgüter schaffen es erst nach Irrfahrten bis nach Nepal. Ärzte ohne Grenzen schickte nun sogar Teams aus Indien über den Landweg los, der drei bis fünf Tage dauert.

Inzwischen wird mit über 10 000 Toten gerechnet

Auch am Boden herrscht Chaos. Tausende von Menschen, die meisten Touristen, belagern den Flughafen. Die Lage in der Region wird immer verzweifelter. Es gebe keinen Strom und kaum Trinkwasser, sagt Philips Ewert von der Organisation World Vision. Die Regierung rechnet inzwischen mit über 10 000 Toten. Sie rief drei Tage Staatstrauer aus. Bisher wurden über 4400 Leichen geborgen, unter den Opfern ist auch ein Professor der Göttinger Georg-August-Universität.

Über 8000 Menschen wurden verletzt. Nach Angaben der UN leben acht Millionen Menschen, fast ein Drittel der 28 Millionen Einwohner Nepals, in der Erdbebenregion. 1,4 Millionen von ihnen benötigen dringend Nahrungsmittel, Zehntausende sind obdachlos. Überdies sind bei einem Lawinenabgang am Dienstag möglicherweise rund 250 Menschen verschüttet worden. Die Lawine sei in Ghodatabela an der beliebten Trekking-Route Langtang ins Tal gerast, sagte ein Behördenvertreter.

Der Flüchtlingsstrom aus Kathmandu schwillt weiter an

Kathmandu gleicht einer Zeltstadt. Hunderttausende verbrachten bei Regen die dritte Nacht im Freien. Nachbeben schrecken die traumatisierten Menschen immer wieder auf. Banken und große Geschäfte sind dicht. Auf der Suche nach Wasser und Essen sind mehr als 70 000 Bewohner aus der Hauptstadt geflohen. Und weiterhin hält der Flüchtlingsstrom an. In Lastwagen, Bussen oder zu Fuß strömen die Menschen aus der Stadt.

Der bitterarme Bergstaat und seine Regierung sind mit der Katastrophe heillos überfordert. Fast die gesamte Armee mit ihren 100 000 Soldaten ist im Einsatz. Noch immer graben Menschen nach Überlebenden. „Wir haben nur unsere Hände”, sagt der 27-jährige Pradip Subba, der seit Tagen in den Trümmern des einst 60 Meter hohen Dharahara-Turms nach seinem verschütteten Bruder und seiner Schwägerin sucht. Über den Mund hat er ein Tuch gegen den Leichengeruch gebunden.

Spärlich sickern erste Informationen aus den Gebieten rund um Lamjung ein, wo das Epizentrum des Bebens lag. Sie lassen Schlimmstes befürchten. Hubschrauber begannen, über abgelegenen Dörfern Hilfspakete abzuwerfen und Schwerverletzte zu evakuieren. Im Dorf Barpak im Ghorka-Bezirk stünden von über 1450 Häusern nur noch 20, berichten Journalisten der „Mail Today”, die einen Erkundungsflug des indischen Militärs begleiteten. Der Geruch verwesender Leichen hänge über dem Dorf.

Die überlebenden Bergsteiger sind in Sicherheit

„Die Touristen liebten es, in unseren traditionellen Häusern aus Holz zu wohnen”, erzählt der Dorfälteste. „Aber die Häuser, die dem Beben standgehalten haben, waren die aus Zement.” Nun haben die Menschen die Wahl, die neuen Häuser aus Zement zu bauen und so die wichtigste Einkommensquelle, den Tourismus, zu verlieren – oder beim nächsten Beben wieder eine Katastrophe zu erleben.

Auch das Schicksal vieler Touristen ist unklar. Einige haben sich in die Botschaften ihrer Länder gerettet, andere schlagen sich auf den Straßen durch oder kampieren am Flughafen, in der Hoffnung, einen Flug zu ergattern. Immerhin scheinen die überlebenden Bergsteiger am Mount Everest fast alle in Sicherheit. Hubschrauber flogen mehr als 200 der Luxusabenteurer aus den höheren Camps ins Tal.