Ein kleiner Kettenhund in einer Karikatur in einem baden-württembergischen Schulbuch bringt den türkischen Präsidenten Erdogan auf die Barrikaden. Ministerpräsident Kretschmann findet, Erdogan hätte wichtigeres zu tun, als sich über Karikaturen aufzuregen.

Stuttgart - Ein kleiner Kettenhund am Rande einer kleinen Karikatur in einem Gemeinschaftskundebuch für die neunte und zehnte Klasse an Gymnasien droht zu internationalen Verwicklungen zu führen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan werde durch die Karikatur verunglimpft, in Deutschland lebende Türken würden beleidigt, empört sich das türkische Außenministerium. Der deutsche Botschafter wurde einbestellt – in Stuttgart traf sich die Spitze des Kultusministeriums mit dem türkischen Generalkonsulat. Zwei CDU-Bundestagsabgeordnete aus Nordrhein-Westfalen verlangten der Deutschen Presseagentur zufolge bei einem Besuch in Ankara, dass Baden-Württemberg das Schulbuch zurückziehe und sich bei der Türkei „angemessen entschuldigt“.

 

Davon ist Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) weit entfernt. „Eine Karikatur ist eine Karikatur und sie karikiert, darum heißt sie so und so sollte man Karikaturen auch bewerten“, sagte er vor Journalisten in Stuttgart. Es sei ihm „unerfindlich, wieso man sich darüber so echauffieren kann“, erklärte der Regierungschef. Allerdings wisse die Landesregierung wie Präsident Erdogan mit Kritikern umgehen könne „und das missfällt uns außerordentlich“, betonte Kretschmann. Die „hochgezogene“ Reaktion bewertet Kretschmann als Ablenkungsmanöver von Rechtsstaatsverletzungen in der Türkei.

„Erdogan hat im eigenen Land einiges zu tun“

„Ich empfehle ihm zu prüfen, wie er im eigenen Land mit Kritikern umgeht, und was angemessen ist“, sagte der Württemberger an die Adresse Erdogans und ergänzte, „er hat im eigenen Land einiges zu tun. Das ist wichtiger als sich bei uns über Karikaturen aufzuregen“. Speziell kritisierte der frühere Ethiklehrer Kretschmann, dass der türkische Präsident das Recht der Aleviten auf eigenen Religionsunterricht missachte.

Das von Andreas Stoch (SPD) geführte Kultusministerium reagiert vergleichsweise verhalten. Man habe die Kritik zur Kenntnis genommen und bedaure, dass die Darstellung zu Irritationen bei Teilen der türkischstämmigen Bevölkerung geführt habe. Das Buch jedoch, in dem die Karikatur erschien, sei gutachterlich geprüft und nicht beanstandet worden. Die Karikatur war zum ersten Mal im Jahr 2011 in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ abgedruckt worden. Das Ministerium habe den Verlag auf die Irritationen hingewiesen, vertraue aber auf seine Gemeinschaftskundelehrer. Diese würden das Thema Einwanderung nach Deutschland zweifellos differenziert diskutieren.

Dem Komplex Einwanderung nach Deutschland sind in den Buch „Team 2, Gemeinschaftskunde und Wirtschaft an Gymnasien“, erschienen im renommierten Schöningh-Verlag, 28 Seiten gewidmet.

Die viereinhalb Zentimeter hohe und knapp zwölf Zentimeter breite Karikatur zeigt eine bayerische Almhütte, die von einem türkischen Wirt bewirtschaftet wird. Sie steht auf einer Seite, die Diskussionsangebote macht zu der Frage „wie weit soll Integration gehen“.

Herausgeber findet Karikatur originell

Wolfgang Mattes, der Herausgeber des Bandes, hat angesichts der Irritationen eine ausführliche Erklärung abgegeben. Die Macher hätten die Karikatur ausgewählt, „weil sie auf besonders originelle Art den Prozess des fünfzigjährigen Zusammenlebens türkischer und deutscher Mitbürger aufs Korn nimmt“. Die beiden unverkennbar bayerischen Traditionalisten müssten es erdulden, wegen einer unklaren Bestellung ihrer Brotzeit vom türkischen Wirt angeschnauzt zu werden – „und das in zutiefst bayerischem Idiom“, beschreibt Mattes die Szene. Die Besucher bleiben sitzen, die Unterzeile heißt „50 Jahre Türken in Deutschland, eine Erfolgsgeschichte“. Der Herausgeber legt das so aus: „Verdeutlicht man sich die Normalität dieser Szenerie, kann man zweifellos Wirkungsabsicht auch dahingehend interpretieren“.

Der Hund und seine Hütte, sagt Mattes, nähmen nur einen kleinen Teil dieser Karikatur ein. Der Hund heiße Erdogan, die Absicht einer Beleidigung oder der Verletzung der persönlichen Ehre könne darin nicht gesehen werden. „Schon gar nicht liegt sie in der Absicht der Verfasser des Buches“, erläutert der Herausgeber. Alle Beteiligten seien davon überzeugt, dass das gesamte Buch und speziell das Kapitel, aus dem die Karikatur stamme, „einen wirksamen Beitrag zur Achtung von Demokratie und Menschenrechten leistet“.