Recep Tayyip Erdogan will angeblich in Deutschland für seine Demokratur werben. Der Tumult darum zeigt: Es braucht klare gesetzliche Regeln für Auslandswahlkämpfe. Ein Kommentar von Christopher Ziedler.

Berlin - Auf dem Papier gibt es kaum ein engeres Verhältnis: Deutschland und die Türkei garantieren sich in der Nato gegenseitig ihre Sicherheit; drei Millionen türkischstämmige Menschen leben in der Bundesrepublik, von denen die Hälfte einen türkischen Pass besitzt; es gibt EU-Beitrittsgespräche, regen Wirtschafts- und Kulturaustausch und mit dem Flüchtlingsabkommen die intensivste Kooperation mit einem Nicht-EU-Staat, um die Migrationskrise einzudämmen. Da müsste der türkische Staatspräsident doch willkommen sein. Doch hätte es eines Beweises bedurft, dass die Papierform nicht alles ist, liefert ihn die emotionale Debatte über den möglichen Deutschland-Auftritt Recep Tayyip Erdogans. Bestätigt ist er nicht. Wie sehr die Gemüter trotzdem hochgehen, verdeutlicht die neue Widersprüchlichkeit der deutsch-türkischen Beziehungen.

 

Sie kommt nicht von ungefähr. Systematisch geht Erdogan gegen politische Gegner vor, die Pressefreiheit ist zur hohlen Phrase verkommen. Nun soll das politische System dieser Realität angepasst werden: Im Verfassungsreferendum am 16. April stimmen die Türken, auch in Deutschland, über ein neues Präsidialsystem ab, de facto jedoch über eine Demokratur Erdogans. Dafür sollte er in Deutschland nicht noch werben dürfen. Ein solcher Propagandaauftritt ist weithin unerwünscht. Die entscheidende Frage lautet aber: Wie kann er, wenn er geplant sein sollte, verhindert werden?

Heikle politische Entscheidung

Es gibt juristische Möglichkeiten, wie ein Urteil zeigt, das aus der Versammlungs- und Meinungsfreiheit kein allumfassendes Recht ableitet, dabei auch ausländische Regierungsvertreter zu Wort kommen zu lassen. Vielmehr ist es eine politische Entscheidung der Bundesregierung, den Rahmen für deren Auftritte abzustecken beziehungsweise sie zu untersagen. Im Falle des Partnerlands Türkei ist das, auch wegen der Abhängigkeit von Europas Ersatzgrenzschützer Erdogan, besonders heikel. Ein lautes „Bleib weg!“ aus Berlin könnte politische Kollateralschäden verursachen. Umso wichtiger wäre es, Erdogan die Botschaft auf allen diplomatischen Kanälen unmissverständlich zu überbringen – wozu die Regierung in der Lage ist, weil sie den Gesprächsfaden eben nicht hat abreißen lassen. Sollte Erdogan die hinter den Kulissen ausgesendeten Signale nicht verstehen, käme die Regierung um eine Entscheidung nicht herum – mit allen delikaten Folgen.

Ein Ausweg aus dem Dilemma könnte sein, den Umgang mit Abstimmungen im Ausland grundsätzlich zu regeln. Gesetze, die für alle gelten, berauben Erdogan der Möglichkeit, in seine Paraderolle des politischen Märtyrers zu schlüpfen.

Viele Türken in Deutschland jubeln Erdogan zu

Kaum einer wird bestreiten, dass in Deutschland lebende und andernorts wahlberechtigte Ausländer gut informiert sein sollen, über wen oder worüber sie abstimmen. Die Deutschen interessieren sich ja bisweilen auch dafür, wie der Auftritt des US-Kandidaten Barack Obama 2008 an der Berliner Siegessäule gezeigt hat. Das gilt leider auch für den Auftritt der möglichen französischen Präsidentin Marine Le Pen, die sich kürzlich in Koblenz das Ende der EU herbeiwünschte – was sich nur in zweiter Linie an Auslandswähler richtete.

Wie also sollen sie umworben werden dürfen? Dass viele Türken in Deutschland einem Autokraten zujubeln, wirft integrationspolitische Fragen auf. Aber auch die viel sympathischere Werbung für ein Nein zu Erdogans Plänen, mit der die Türkische Gemeinde Deutschland nun beginnt, lässt sich hinterfragen. Wäre es nicht besser, da im Netz ohnehin Informationen zuhauf abrufbar sind, den physischen Auslandswahlkampf gesetzlich auf nüchterne Werbeformen zu beschränken? Auch ein Auftrittsverbot für die Protagonisten in den Wochen oder Monaten vor einer Wahl müsste verfassungsrechtlich möglich sein. Der Tumult um Erdogan zeigt, dass es an der Zeit ist, darüber nachzudenken.