Wolfgang Borgmann hat 18 Jahre Dialyse hinter sich, und lebt seit 20 Jahren mit einer Transplantniere. Die Dialyse hält er nicht für ein Joch, sondern für ein Privileg, das sich viele Patienten mit anderen chronischen Leiden wünschen würden.

Er bewundere die Patienten, die sich auf die Warteliste für eine Niere setzen lassen und die Dialyse so lange ertragen, bis sie – vielleicht – nach jahrelangem Warten eine Spenderniere übertragen bekommen, sagt Willi Germund. Diese Geduld habe er nicht gehabt und sich eine Niere auf dem internationalen Schwarzmarkt gekauft. Soweit die Geschichte des Autors Willi Germund, Journalist und Kollege und, wie sich jetzt herausstellt, Mitpatient. Seine Geschichte hat er Markus Lanz, dem „Stern“, und als Korrespondent auch der Stuttgarter Zeitung erzählt und zusätzlich in einem Buch ausgebreitet.

 

Aber was gibt es da zu bewundern, frage ich mich. In Deutschland verdanken der so genannten Blutwäsche über 70 000 Menschen ihr Leben. Und das ist eine beträchtliche Zahl. Sie haben im Vergleich zu anderen chronisch schwerkranken Leidensgenossen wie zum Beispiel Herzpatienten das Privileg, dass für sie die Dialyse als lang erprobte Ersatztherapie zur Verfügung steht – dreimal die Woche, vier bis fünf Stunden.

Ein Zuckerschlecken ist das nicht. Aber doch eine Chance zum Weiterleben, sicher beschwerlich, aber doch ein Leben, das nicht ein „Joch“ sein muss. Es kann so viel Lebensqualität bieten, dass viele damit Jahre, etliche einige Jahrzehnte und wenige dreißig, vierzig Jahre damit leben können. Jahre, in denen sie dieses Leben als Geschenk empfinden können. Erst dieser Tage hat ein befreundeter Mitpatient, dem ich die ersten hilfreichen Hinweise auf die Dialyse verdanke, sein viertes Jahrzehnt als Dialysepatient erreicht. Schwer genug, aber er liebt sein Leben.

Andere haben diese von Patienten und Ärzten gemeinsam hart erkämpfte Chance nicht. Nicht in vielen ärmeren Ländern, die sich eine solche Hochleistungsmedizin für alle gar nicht leisten können, nicht in von Katastrophen oder Krieg heimgesuchten Gebieten. Erst dieser Tage wurde bekannt, dass in der Ostukraine chronisch Nierenkranke um einen Platz an der Maschine bangen müssen, weil das Versorgungssystem zusammengebrochen ist. Und dabei geht es immer um Leben und Tod. Denn nur begrenzt, in der Regel wenige Tage, hält ein chronisch Nierenkranker ohne Dialyse aus, bevor Vergiftung und Überwässerung die Körperfunktionen nach und nach zum Erliegen bringen.

Der Kollege Germund hatte, wie viele andere, die Chance zum Überleben mit der Maschine. Dass er Monate lang dialysieren konnte, machte es erst möglich, dass er für seine Suche nach einer neuen Niere eine Frist bekam. Für ihn eine Art Gnadenfrist, um den Markt nach einem Spender zu sondieren. Seine persönliche Notlage kann ich nachvollziehen, die schwierige Situation als freier Korrespondent, der regelmäßig an die Maschine gebunden ist, auch. Aber ist sein bezahlter Ausweg der einzig Mögliche und Zwingende? Und was macht der Spender mit seinem erheblichen Risiko, das in der ungesicherten und oft lebenswichtigen medizinischen Nachsorge liegt? Wird das auch bezahlt?

Nun kann natürlich einer gut reden, der noch nie in eine solche existenzielle Notlage gekommen ist. Und natürlich kann auch dann jede Situation anders sein. Dabei sind die Grundlagen für jeden Nierenkranken gleich. Und die sehen so aus, dass auch nach einem Nierenversagen ein Weiterleben möglich ist. Die einen empfinden diese Möglichkeit als Chance, andere als große Last und warten ungeduldig auf eine Niere.

In der Regel ist es im Journalismus gute Sitte, die eigene Position und Person nicht in den Vordergrund zu schieben, die subjektive Meinung und Gefühlslage dem Bemühen um Objektivität unterzuordnen. Dass ich in diesem Fall das „Ich“ des Patienten und Journalisten benutze, hat etwas mit der eigenen Erfahrung zu tun, die nicht der einzige Maßstab ist, aber den Zugang zu diesem schweren Thema der Lebensverlängerung erheblich erleichtert. Meine Krankenakte verzeichnet 18 Jahre Dialyse und 20 Jahre Transplantniere.

Dabei hat Germund die medizinischen Fakten erklärt und die körperlichen Veränderungen ganz einfühlsam beschrieben. Und jeder Betroffene wird die Angst nachfühlen können, wenn die Nieren nach und nach ihren Dienst aufgeben, die Müdigkeit in den Körper kriecht und jeder Schritt extrem viel Kraft kostet, je näher man an den Punkt des endgültigen Nierenversagens herankommt. Nun wartet man heute nicht mehr zu lange, sondern bereitet den Patienten rechtzeitig auf die Dialyse vor, legt einen Daueranschluss (Shunt), meistens im Arm, und erklärt ihm, wo und wie oft er dialysieren kann, was grundsätzlich auch zu Hause möglich ist. Das sind alles Errungenschaften der modernen Medizin. Früher war das endgültige Nierenversagen das Todesurteil.

Doch Germund wollte das nicht, er wollte keinen Shunt gelegt bekommen, sondern nur einen notdürftigen Zugang als Übergang, weil er alles auf die Karte „Nierenkauf“ setzte. Dass er dann doch länger dialysieren musste, bis es soweit war, gehört zu seiner besonderen Geschichte. Die mit der „Nierenwäsche“ verbundenen Belastungen , die erheblichen Einschränkungen beim Essen und Trinken, die Abhängigkeit von festen Dialyseintervallen, die verminderte Leistungsfähigkeit – auch das kommt zur Sprache, allerdings in einem eher angstvollen Erzählton. Auch dass er die Nierenübertragung unter abenteuerlichen Umständen in Mexiko als Befreiung empfindet, werden viele Patienten nachempfinden können. Allerdings muss auch eine erfolgreiche Nierenübertragung nicht von Dauer sein. Sie ist mit Risiken verbunden und erfordert die Einhaltung eines strikten Medikamentenplans, um die Abstoßung des fremden Organs zu verhindern. Auch ein transplantierter Patient bleibt ein chronisch kranker Patient.

Was das im Leben eines Korrespondenten bedeuten kann, hat der langjährige Asien-Korrespondent und zeitweilige Nierenpatient Jürgen Dauth erlebt, der früher auch für die Stuttgarter Zeitung schrieb. Er hatte sich ganz regulär auf die Warteliste setzen lassen, wurde in Deutschland erfolgreich transplantiert und nachversorgt. Er verlor aber die Spenderniere, als er auf einer Reise in abgelegene Gebiete mit Schrecken feststellte, dass seine Tabletten für die Unterdrückung der Abstoßung nicht ausreichen würden – ein Albtraum für jeden Patienten mit einer fremden Niere. Jürgen Dauth verlor die gespendete Niere und starb im Jahr Januar 2000, dann wieder Dialysepatient, aber immer noch arbeitend, mit 59 Jahren in Hongkong.