Nirgendwo auf dem Alten Kontinent werden so viele Patente angemeldet wie in Deutschland. Das erfinderische Baden-Württemberg mischt ganz vorne mit. Aber bis mit dem lange angekündigten EU-Einheitspatent vieles einfacher und angeblich billiger wird, dauert es noch eine Weile.

München - An Ideen fehlt es in Deutschland nicht. Nirgendwo in Europa werden so viele Patente auf technische Erfindungen und Fortentwicklungen beantragt wie hier; dreimal so viele sind es wie bei Großbritannien, dem Zweitplatzierten, und die Zahl der Anmeldungen steigt unaufhörlich von Jahr zu Jahr. Die Prüfer im Deutschen Patent- und Markenamt in München, sagt dessen Präsidentin Cornelia Rudloff-Schäffer, wüssten schon gar nicht mehr, wo sie anfangen sollten. Allzu viele Ideen? „Nein, eine Frage der Personaldecke.“

 

An diesem Mittwoch ist Rudloff-Schäffer in Stuttgart zu Gast, wo sich beim „Tag der Gewerblichen Schutzrechte“ im Haus der Wirtschaft die in Deutschland führende Szene versammelt: Konzerne und Mittelständler, Patentfachleute, Existenzgründer. Aus Baden-Württemberg kommt fast ein Drittel aller von inländischen Erfindern beantragten Patente. Gut, an Innovationskraft ist der ewige Rivale Bayern noch um 1500 Anmeldungen pro Jahr stärker, aber umgelegt auf die Zahl der Einwohner – 132 Patente pro 100 000 Menschen – liegt der Südwesten ebenso eindeutig wie stabil an Deutschlands Spitze. Im Bereich der Unternehmen ist es mit weitem Abstand Bosch.

Erfinderboom bei E-Mobilität

In diesen aktuellen Zahlen bilde sich, sagt Rudloff-Schäffer, natürlich der Boom der E-Mobilität ab: Antriebe, Ladestationen, das ganze Drumherum – nachdem die Welle der Speichertechnologie für Solarzellen abgeklungen, beziehungsweise nach China weitergerollt ist. Und der Sektor „Transport“ steht aktuell sowieso an der Spitze des Erfindertums.

Anderswo hängt’s. Zwar hat der Bundestag im März per Gesetz den deutschen Weg zum EU-Einheitspatent freigemacht; dann aber hat das Bundesverfassungsgericht die Bremse gezogen. In Karlsruhe ist eine Verfassungsbeschwerde eingetroffen. Von wem, weiß man nicht. Auch über die Gründe wird bisher heftig spekuliert. Geht es nur um die Art der Abstimmung im Bundestag – nachts um halb zwei mit kaum drei Dutzend Abgeordneten? Oder um verfassungsrechtliche Bedenken im ganzen System? Jedenfall ist derzeit ungewiss, wann das Europäische Patentgericht seine Arbeit aufnehmen kann. Für die Praxis heißt das: Wer sich als Patentinhaber in seinen Schutzrechten verletzt sieht, der muss weiterhin, zeit-, geld- und nervenraubend, bei den einzelnen nationalen Gerichten klagen.

Großer Wurf – auch bei einem Brexit

Zwar ist sich auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nicht ganz sicher, ob der künftige europäisch einheitliche Justizweg mehr Rechtssicherheit garantiert – die vertraute BGH-Rechtsprechung entfalle, das Gericht der Zukunft werde in noch unvorhersehbarer Weise international zusammengesetzt –, aber Rudloff-Schäffer meint als Juristin, sie habe da keine Sorge: „Es hat auch beim Europäischen Gerichtshof ein paar Jahre gedauert, bis da eine gewisse Linie drin war. Das ist normal, ich glaube nicht, dass das der deutschen Wirtschaft wehtut.“ Insgesamt hält sie das Einheitspatent für einen „ganz neuen, bereichernden Wurf, der auch dem Wettbewerb um Qualität guttut. Und darum geht es ja.“

Zwölf der 25 EU-Unterzeichnerstaaten haben dem Übereinkommen bereits zugestimmt; zum Inkrafttreten fehlt außer Deutschland nur noch Großbritannien. Ausgerechnet. Da aber das Einheitspatentgericht nicht als EU-Institution gilt, sondern auf einem zwischenstaatlichen Abkommen beruht, ist es vom Brexit zunächst unberührt. Theoretisch jedenfalls. Die Regierung in London hat ihre Unterschrift sogar versprochen und sich erst an diesem Donnerstag damit einverstanden erklärt, dass einzelne Bestimmungen schon vorläufig in Kraft treten: die zur Auswahl der Richter beispielsweise. Aber wie verlässlich ist das auf Dauer? „Ich setze jetzt mal auf die britischen Aussagen“, sagt Rudloff-Schäffer: „Die Briten haben ein Interesse, dabei zu sein; ihre ganze Industrie ist dafür. Das ist wirtschaftlich interessant für Großbritannien, in London bekommen sie einen interessanten Standort. Ich habe keine Glaskugel. Aber es wird eine Lösung geben.“

Patentverfahren künftig billiger?

Auch wenn das Einheitspatent samt Einheitsgericht kommt: das Patentrecht behält in Europa seine restliche Struktur bei. Weiterhin wird es das „ Bündelpatent “ geben, für das sich jeder Unternehmer je nach der Lage seiner Märkte und seiner Konkurrenten die Rechte in verschiedenen europäischen Staaten sichern kann. Ein „Bündelchen“ das nur drei oder vier Länder umfasst, könnte nach Einschätzung des BDI sogar billiger sein als das Einheitspatent, dessen Erfinder Kostenvorteile von bis zu 70 Prozent gegenüber den heutigen Prozeduren versprechen. Das „Bündelpatent“ wird, sagt Rudloff-Schäffer, auch deswegen nicht abgeschafft, weil Länder wie die Schweiz, die Türkei oder Norwegen gar nicht an der Einheitsregelung für das Gericht beteiligt sind, Spanien und Kroatien bisher auch nicht.

Erhalten bleiben außerdem – „in der Summe eine reizvolle Wahlmöglichkeit für Unternehmer“ – die nationalen Patente, und dass gerade das deutsche an Bedeutung verlieren könnte, sieht Rudloff-Schäffer ganz und gar nicht: „Das hat man auch bei der Einführung des europäischen Markenschutzes zunächst befürchtet. Dann haben aber auch die Anträge auf deutschen Markenschutz zugenommen.“

Das Deutsche Patent- und Markenamt in München hat dieser Tage seinen 140. Geburtstag gefeiert. Mit etwa 2600 Beschäftigten ist es das größte seiner Art in Europa. „Und auch darüber hinaus gelten wir als der Goldstandard“, sagt die Präsidentin. China zum Beispiel hat sich beim Aufbau des eigenen Patentwesens (bis hin zur Architektur des Amtsgebäudes) an Deutschland orientiert; es gibt auch einen Erfahrungsaustausch der Patentprüfer.

Die Suche nach Spezialisten

Und Deutschland muss sich einiges einfallen lassen, die nötige Anzahl dieser hochqualifizierten Spezialisten zu finden. Trotz umfangreichen Ausbaus der Informationstechnik – Rudloff-Schäffer sieht ihr Amt darin als einen „Leuchtturm“ im Meer der Bundesbehörden – lägen bei jedem Patentprüfer mehr als 200 offene Verfahren. Der Stellenmangel im Amt sei ein Hemmschuh gerade für junge Erfinder aus der boomenden Startup-Szene, das gibt die Präsidentin zu. „Das treibt mich um.“ Gut, es gebe als kleine, schnelle Alternative zum Patent die Eintragung einer Idee als „Gebrauchsmuster“; da sei die Urkunde innerhalb einer Woche fertig. Aber eben nicht geprüft und deshalb risikobehaftet oder gar von Löschung bedroht – falls ein Konkurrent irgendwo einen Zacken schneller war.

Um auch naturwissenschaftlich oder technisch studierte Frauen als Patentprüferinnen zu gewinnen – „anteilsmäßig wollen wir so viele, wie die Uni abschließen“ – hat Rudloff-Schäffers Amt die Arbeitsbedingungen sehr familienfreundlich gestaltet: zum Beispiel soll die Zahl der Telearbeitsplätze, heute schon 650, verdoppelt werden. Und es gibt eine eigene Kinderkrippe in dem riesigen Büro-Kasten gegenüber dem Deutschen Museum. Vielleicht lernen die patenten Kleinen dort auch schon, was sich Rudloff-Schäffer für den Nachwuchs in ganz Deutschland wünscht: basteln, experimentieren, Umgang mit Technik. „Da ist einiges nachzuholen. Das Land braucht Ingenieure, Forscher und Naturwissenschaftler.“