Das Münchner Start-up Freeletics hatte den Riecher für einen neuen Fitness-Trend: Auf dem Smartphone lassen sich Freizeitsportler zum Training antreiben. Sechs Millionen Menschen machen schon mit, auch wenn Experten vor Überanstrengung warnen.

München - Wer sagt eigentlich, dass Sport Spaß machen muss? „Leben beginnt am Ende der Komfortzone“, so lautet die Motivationsmitteilung am Smartphone. „Es ist besser, sich 30 Minuten am Tag schlecht zu fühlen als sein ganzes Leben lang“, ist ein weiterer Slogan. Und für denjenigen, der es noch deutlicher braucht, gibt es einen dritten Sinnspruch: „Weinen ist akzeptabel, Schmerz ist akzeptabel, aber Aufgeben ist nicht akzeptabel.“

 

Der Absender solcher Botschaften ist die Fitness-App Freeletics. Derart martialische Statements kommen an. Mitte 2013 wurde die Start-up-Firma von den drei Betriebswirtschaftsstudenten Andrej Matijczak, Joshua Cornelius und Mehmet Yilmaz in München gegründet. Jetzt hat sie die Marke von sechs Millionen Mitgliedern weltweit übersprungen. Geboten wird neben Motivation im Stil eines Drill-Sergeants ein Online-Fitnessprogramm, das in der Basisversion gratis ist und als individualisierte Version jährlich 80 Euro kostet.

Die Übungen selbst sind Klassiker und nichts Neues, wenn man von ihren Namen absieht. Liegestützen heißen Push-ups und Kniebeugen werden zu Squats. Trainiert wird stets am Anschlag. „Das ist eine Gratwanderung, ständig am Grenzbereich oder darüber hinaus“, sagt Michael Branke. Er ist Sportlehrer, pädagogischer Leiter der Deutschen Fitnesslehrer Vereinigung und selbst Freeletics-Mitglied.

Training durch Algorithmen

Trainiert wird man bei Freeletics ohne Geräte von einem Algorithmus. Die Software hat gut 700 verschiedene Übungskombinationen abgespeichert und treibt einen freien Athleten, wie die Firma ihre Kunden nennt, systematisch zur Höchstleistung. Für untrainierte oder ältere Menschen wäre ein Trainer aus Fleisch und Blut besser, sagt Branke. Der könne korrigierend eingreifen, wenn eine Übung unsauber ausgeführt wird, was die Gefahr von Verletzungen birgt. Mancher habe für seinen Körper wenig Gefühl oder er übertreibe es, warnt der Sportlehrer. Demonstrationsvideos, wie Freeletics sie anbietet, würden nur bedingt helfen.

Der Mitgründer Mehmet Yilmaz schlägt da schon andere Töne an: „Man fühlt sich wie ein Gott danach.“ Willenskraft könne man wie einen Muskel stählen, sagen die Gründer. Die drei Gründer sind in jeder Hinsicht alle selbst gut trainiert. Hochgezogen hat das Trio den Start-up völlig untypisch ohne Geldgeber, also komplett eigenfinanziert. Auch das macht Freeletics zum Star der hiesigen Gründerszene. „Unser ganzes Geld steckt in der Firma“, sagt Andrej Matijczak. Profitabel sei die App von Anfang an gewesen. Nach genauen Zahlen, auch für den Umsatz, fragt man vergeblich. Mehr als 80 Leute beschäftigt Freeletics mittlerweile. Für eine vor zwei Jahren gestartete App ist das beachtlich.

Motivationskünstler seien bei der Fitness-App aber schon am Werk, sagt der Fitnessexperte Branke. Er meint das Punktesystem, mit dem Übungen unterlegt werden, und vor allem die Vernetzung per Facebook. Das Training wird auf diese Weise öffentlich und im Erfolgsfall von digitalem Applaus begleitet. Man stachelt sich gegenseitig an. Das Internet ist voller Vorher-nachher-Fotos freier Athleten, die ihre Muskeln narzisstisch zur Schau tragen. Über Facebook verabreden sie sich auch offline in Parks zum Workout. Wenn jemand per App zum Sport gebracht wird und sich bewegt, sei das erst mal positiv, sagt Branke.

Wandel der Fitnessbranche

„Die Fitnessbranche befindet sich im Wandel“, sagt Gregor Hackfort. Er ist Sportwissenschaftler an der Bundeswehr-Hochschule in München und hat gerade eine Studie über digitale Fitnessangebote erstellt. Die werden bald mit großer Wahrscheinlichkeit für viele zum Alltag gehören, sagt er voraus. Getrieben sei das nicht von den Etablierten der Branche, sondern von Jungunternehmen, die Fitness-Studios nun einen ersten Schrecken einjagen. Gefragt seien vor allem Fitness-Apps.

So habe Europas größte Fitness-Kette McFit 1,2 Millionen Mitglieder, ein Newcomer wie Freeletic ein Mehrfaches. Wie viele der knapp sechs Millionen freien Athleten für die App zahlen und wie viele nur ihre Gratisversion nutzen oder gar inaktive Karteileichen sind, verrät Freeletics nicht. Etwa 30 Prozent aller Nutzer digitaler Fitnessangebote bezahlt laut Hackforts Studie dafür. Auf Freeletics übertragen wären das rund 1,8 Millionen Mitglieder. Derzeit melden sich beim Start-up täglich 10 000 Menschen neu an. Es bezeichnet sich deshalb als das am schnellsten wachsende Sportlifestyle-Unternehmen der Welt. Erklärtes Ziel ist, auf Augenhöhe mit Nike als weltgrößtem Sportartikler zu kommen.