Fritz Kuhn hat vor der Neuwahl zum Stuttgarter Oberbürgermeister am 21. Oktober die bessere Ausgangsposition gegenüber Sebastian Turner – vorausgesetzt, die Mitbewerber Bettina Wilhelm und Hannes Rockenbauch erklären ihren Rückzug.

Stuttgart - Das Abschneiden ihres Kandidaten Fritz Kuhn bei der OB-Wahl weckt bei den Grünen die Hoffnung, von Januar 2013 an das erste Stadtoberhaupt mit grünem Parteibuch einer Metropole stellen zu können. Bliebe es bei dieser Reihenfolge – Kuhn vor dem von der CDU nominierten und von FDP und Freien Wählern unterstützten parteilosen Sebastian Turner – hätten die Christ-demokraten neben dem Posten des Ministerpräsidenten innerhalb von eineinhalb Jahren auch das zweitwichtigste Amt in Baden-Württemberg verloren. Da keiner der 14 Kandidaten die absolute Mehrheit erzielte, wird am 21. Oktober erneut gewählt. Dann genügt die einfache Mehrheit.

 

Es wird erwartet, dass die parteilose und von der SPD unterstützte Bewerberin Bettina Wilhelm aufgrund des Rückstandes zu Kuhn ebenso zurück ziehen wird wie Hannes Rockenbauch (SÖS). Ihre Wähler tendierten repräsentativen Umfragen zufolge überwiegend zu Fritz Kuhn und nur zu einem geringen Teil zu Turner.

Rund 415 000 Bürger waren aufgerufen, den Nachfolger des Amtsinhabers Wolfgang Schuster zu wählen, der nach 16 Jahren kein drittes Mal antreten wollte. Die Wahlbeteiligung lag mit 46,7 Prozent unwesentlich höher als beim ersten Durchgang vor acht Jahren (46 Prozent). Wesentliche Stimmenanteile bekamen nur vier Bewerber. Bester Einzelkandidat war Jens Loewe mit 1,1 Prozent. Hans Hermann von den Piraten kam lediglich auf 0,5 Prozent. Die übrigen acht erzielten gemeinsam 1,8 Prozent, „sonstige Personen“ kamen auf 0,1 Prozent.

Die Wahlbeteiligung war unwesentlich höher als 2004

Fritz Kuhn sagte in einer ersten Stellungnahme: „Ich habe den Eindruck, dass wir in 14 Tagen gewinnen.“ Er glaube aber nicht, dass es das schon gewesen sei. Er werde „deshalb weiter Gas geben“. Der Grünen-Kreisvorsitzende Philipp Franke erklärte: „Das ist ein Superergebnis und eine hervorragende Ausgangslage. Die Wähler wollen den Wechsel.“

Der Bundestagsabgeordnete Kuhn kommt auf 36,5 Prozent – das sind zwei Punkte mehr als das Rekordergebnis der Grünen bei der Landtagswahl 2011 und das beste Ergebnis eines grünen OB-Kandidaten im ersten Wahlgang (Rezzo Schlauch kam 1996 auf 30,9 Prozent). Kuhn punktete besonders in Mitte und Süd, aber auch in den CDU-Hochburgen ließ er sich von seinem Kontrahenten nicht abhängen. Sebastian Turner, der auf 34,5 Prozent kam, zeigte sich zufrieden. Es habe das erwartete Kopf-an-Kopf-Rennen gegeben, und er werde am 21. Oktober Oberbürgermeister.

Der CDU-Kreisvorsitzende Stefan Kaufmann zeigte sich eben so zuversichtlich wie die Freien Wähler Jürgen Zeeb (Fraktionschef) und Peter Aichinger (Kreisvorsitzender). Es gab am Abend auch skeptische Stimmen im Turner-Lager, die sich aber nur inoffiziell äußern wollten. Von einer „Katastrophe“ war die Rede – und davon, dass man nicht wisse, wie man in den nächsten 14 Tagen Wahlkampf machen solle, da der Verein zur Unterstützung des Bewerbers jetzt schon deutlich in den roten Zahlen sei. Unmut wurde laut, weil Turner „eine gewisse Beratungsresistenz“ auch gegenüber hochrangigen CDU-Vertretern an den Tag gelegt habe. Die Parole laute nun gewiss nicht mehr „Miteinander, sondern Attacke“.

Glücklich ist Hannes Rockenbauch

Beispielhaft für die Zerrissenheit der CDU wurde von Turner-Anhängern der Auftritt von Andreas Renner im Rathaus empfunden. Er erhielt spontanen Applaus von christdemokratischen Stadträten. Der ehemalige Singener OB war Turner im März in einem parteiinternen Auswahlverfahren unterlegen. Das Hauptargument für Turner lautete damals: Er könne als Parteiloser auch jenseits der bürgerlichen Mitte Wähler erreichen. Dies wurde unter anderen vom Ehrenmitglied der CDU, dem Ex-Minister Gerhard Mayer-Vorfelder, bezweifelt. Das aktuelle Ergebnis macht nach Ansicht von Renner-Freunden deutlich, dass Turner mit seinen 34,5 Prozent nicht einmal das eigene Lager voll hinter sich gebracht habe: CDU, FDP und Freie Wähler kamen bei der Kommunalwahl auf 45,5 Prozent und bei der Landtagswahl 2011 auf 37,6 Prozent.

Zum Vergleich: OB Schuster hatte 2004 im ersten Wahlgang 43,5 Prozent der Stimmen geholt, die SPD-Bewerberin Ute Kumpf (32,8) und Boris Palmer (Grüne) 21,5 Prozent. Bei der Neuwahl setzte sich der Amtsinhaber – nach dem Rückzug Palmers – mit 53,3 Prozent gegen Kumpf (45,2 Prozent) durch. Die SPD-Bundestagsabgeordnete hatte 60 Prozent der frei werdenden Stimmen erhalten, Schuster dagegen nur 40 Prozent.

Die von der SPD vorgeschlagene Erste Bürgermeisterin von Schwäbisch Hall, Bettina Wilhelm, landete auf Platz drei mit 15,1 Prozent – dem schlechtesten Abschneiden der Sozialdemokraten bei einer Wahl in Stuttgart. Selbst das bis zum Sonntag als Desaster empfundene Resultat von Rainer Brechtken 1996 mit 22,6 Prozent im ersten Wahlgang erscheint nun in einem anderen Licht. „Das ist sehr enttäuschend“, meinte Wilhelm. Obwohl sie aus Stuttgart-Rotenberg stammt, war sie als unbekannteste der drei aussichtsreichsten Kandidaten ins Rennen gegangen. Sie macht wie andere SPD-Vertreter die Umfragen verantwortlich, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen von Turner und Kuhn prognostiziert hatten. 2004 hatte Ute Kumpf für die SPD 32,8 Prozent geholt. Bei der Landtagswahl 2011 waren es 20,4 Prozent gewesen, bei der Kommunalwahl vor drei Jahren 17 Prozent.

Über ein „Superergebnis“ freute sich der SÖS-Kandidat, der 32-Jährige Hannes Rockenbauch. Der Stuttgart-21-Widerständler der ersten Stunde hat das Ergebnis seines parteifreien Bündnisses von der Kommunalwahl 2009 (damals 4,6 Prozent) mehr als verdoppelt. Jeder zweite seiner Wähler ist Gegner des Tiefbahnhofs. Wie viele davon zu Fritz Kuhn wandern, ist eine der spannenden Fragen, die am 21. Oktober beantwortet werden.