Auch wenn er im Dezember 89 Jahre alt wird – verstummt ist Erhard Eppler, der linke Vordenker der SPD, nicht. Am Freitag erscheint sein neues Buch „Links leben“, das der Propyläen-Verlag als Epplers politisches Vermächtnis bezeichnet.

Stuttgart - Langsam zieht sich Erhard Eppler aus dem Rampenlicht zurück. Im Dezember wird er 89 Jahre alt, im Januar wird er 60 Jahre bei der SPD sein. Vom Kirchentag verabschiedete sich dessen einstiger Präsident im Juni in Stuttgart unter minutenlangem Beifall der Besucher. Er sei „ein alter Mann, der weiß, dass seine Tage gezählt sind“, hatte der Vordenker der SPD erklärt. Auch zum Empfang der Partei anlässlich des Kirchentags war Eppler erschienen – sehr zur Freude seiner bewegten Genossen.

 

Epplers baden-württembergischer Heimatlandesverband schätzt den Querdenker, der fast 20 Jahre der Grundwertekommission vorsaß, nach wie vor hoch. Auch wenn das Verhältnis nicht ungetrübt ist. Dass der engagierte Ökologe vor und hinter den Kulissen sehr gegen das Projekt Stuttgart 21 war, nehmen ihm nicht wenige in der Partei krumm. Unvergessen sind Epplers nachdenkliche Auftritte bei Parteitagen. „Große Worte mit großer Wirkung“ bleiben da nicht wenigen Genossen anhaltend in Erinnerung. Den bisher letzten Bundesparteitag der SPD hat der Doyen 2013 in Augsburg besucht.

Epplers Worte werden gehört, versichert die Landespartei

Inzwischen schwankt die Gesundheit. Das Bild des mahnenden Übervaters strahlt nicht mehr ganz so hell, doch die Worte finden nach wie vor Gehör, versichert ein Sprecher der Landespartei. Auch wenn die SPD manches nicht so gerne hört, oder nicht umsetzen kann. Verstummt ist der Vordenker der Partei nicht. Am Freitag erscheint sein neues Buch, das der Propyläen-Verlag als Epplers politisches Vermächtnis bezeichnet. „Links leben“ heißt es und ergänzt die lange Reihe von Epplers Schriften um, so lautet der Untertitel, „Erinnerungen eines Wertkonservativen.“

Die SPD ist stets bemüht, ihre Wirtschaftskompetenz zu steigern. Eppler schreibt ihr ins Stammbuch, dass dieses Streben nicht die Rettung verheißt. Wachsende soziale Ungleichheit, die drohende Gefährdung des sozialen Friedens müssen die Themen der Sozialdemokratie sein, sagt ihr Programmatiker: „Mehr Miteinander und weniger Wettbewerb. Weniger Ellbogen und mehr offene Arme. Weniger Druck und mehr Ermutigung“. Natürlich komme es auch darauf an, wer die Botschaft vermittle, sagt Eppler und gesteht zu, die Willy Brandts wüchsen nicht auf der Wiese. Eppler schwebt eine moderne Politikerin vor. Eine, „die die Härte des politischen Geschäfts aushält“ und doch die soziale solidarische Programmatik ausstrahlt.

Die Ausrichtung Richtung Wirtschaft wird kritisch gesehen

Leichter gesagt als getan, seufzen manche Genossen. Sie geben Eppler recht, wann immer die Partei zu stark auf Wirtschaftskompetenz setzte, habe sie „null Komma null gewonnen“. „Zig mal“ sei widerlegt worden, dass die SPD mit Etatkonsolidierungen Wahlen gewinnen könne. Linkere Politik wäre der richtige Weg für die SPD, nur fehle es an überzeugenden Personen für diese Ausrichtung. In Bund und Land machen Epplers Anhänger überwiegend „große und kleine Sigmar Gabriels“ aus, die auf Wirtschaft setzen – und vermissen Figuren wie die 2001 verstorbene Sozialpolitikerin Regine Hildebrandt.

Dem begeisterten Entwicklungsminister und langjährigen Bundestagsabgeordneten Eppler ist sein Dasein als Landespolitiker von 1976 bis 1982 nur 14 der 330 Seiten seiner Erinnerungen wert. Die Zeit als Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion dürfte nicht zu seinen glücklichsten zählen. Dass der SPD-Spitzenkandidat 1976 sein Landtagswahlergebnis von 33,3 Prozent als „herben Rückschlag“ verbucht, muss führende Köpfe der heutigen SPD nachdenklich stimmen.

In aktuellen Umfragen rangiert die SPD bei 712 Prozent

Rührend mutet an, dass der Landesvorsitzende im Jahr 1980 Entschuldigungsschreiben von ehemaligen SPD-Wählern bekam, weil diese bei der Landtagswahl die neue grüne Partei gewählt hatten. Begründung: in der SPD gebe schließlich nicht der ökologisch geprägte Eppler, sondern der Kanzler Schmidt den Ton an. Bitter nennt es der Autor allerdings, dass nach seinem Verzicht auf Fraktions- und Landesvorsitz, sein Erbe „Stück für Stück abgebaut wurde“ – mit der Begründung, dass nun auf den Denker die Pragmatiker folgen, die alles besser machen würden. Da verkneift sich Eppler nicht den Hinweis, dass in Baden-Württemberg was die SPD angeht, inzwischen „bayerische Zustände“ herrschen. In aktuellen Umfragen rangiert die Landespartei bei 17 Prozent.

Lieber betrachtet der Politiker, der sich nicht als Intellektueller sieht, nach wie vor das Große Ganze. Dafür war und ist er bekannt. „Eppler hat immer global gedacht und kommende Entwicklungen erahnt“, lobt Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Eppler ermahnt Deutsche und Europäer zur Solidarität

Als unermüdlicher Kritiker des „Marktradikalismus“ lehnt Erhard Eppler den Wettbewerb als Prinzip des menschlichen Zusammenlebens ab. Der einstige Deutschlehrer unterstreicht den gewaltigen Unterschied zwischen Leistungsgesellschaft und Erfolgsgesellschaft. Deutsche wie Europäer ermahnt er in seinem „politischen Willen“ zur Solidarität. Wettbewerb könne keine Gemeinsamkeit schaffen.

Seit Jahren ist die Privatisierung der Gewalt ein Großthema Epplers. Er warnt davor, dass zerfallende Staaten ihr Gewaltmonopol verlieren und die Menschen „zu Spielbällen und Opfern privatisierter Gewalt macht“. Eppler gilt als „Putin-Versteher“, dieses Titels schämt der Weltkriegsteilnehmer sich nicht. Er will eine „Dämonisierung“ Putins verhindern. Die Ikone der Friedensbewegung rät zu verbaler Abrüstung und warnt davor, Russland in ein Bündnis mit China zu drängen.

Was bleibt darüber hinaus? Der Urgroßvater Eppler hofft, durch seine Erinnerungen „junge Menschen zu ermutigen, auf ihre Weise der Demokratie zu dienen“.