Der kürzlich verstorbene Günter Grass war ein passionierter Pfeifenraucher. So wie der Autor unseres Artikels auch. Gemeinsam haben sie gefachsimpelt.

Stuttgart - Man mag es kaum glauben, aber bis zum Anfang der siebziger Jahre hat Günter Grass Zigaretten oder Zigarillos geraucht. Zum Pfeifenraucher wurde er erst, als ihm sein Schriftsteller-Kollege Max Frisch, der ein notorischer Pfeifenraucher war, aus seinem Bestand eines seiner Stücke schenkte. Der Erfolg war durchschlagend. Grass spürte sofort, dass ihm diese Art des Rauchens entgegenkam. Fortan war er nicht mehr ohne dieses Utensil zu sehen. Grass und die Pfeife gingen eine so große Symbiose ein, dass anlässlich seines Todes die Bild-Zeitung sich damit begnügen konnte, nur noch einen Pfeifenkopf abzubilden, und jedermann wusste, wer damit gemeint war.

 

Vor Jahren zog ich mich während einer Veranstaltung, deren Anlass ich vergessen habe, in eine Ecke zurück, um unbehelligt meine Pfeife zu rauchen. Günter Grass kam vorbei und fragte, ob er sich dazu setzen dürfe, denn, so sagte er, „gemeinsam raucht es sich besser“. Wir redeten nicht über Literatur oder Politik, sondern über den Pfeifenraucher und seine Mentalität. Das ist eine eigene Welt, über die es viel zu sagen gäbe, wenn das Interesse an dem Thema größer wäre. Aber Pfeifenraucher sind, zumal in Deutschland, eine schwindende Minderheit. In England und Skandinavien galt und gilt (vielleicht) noch die Tabakspfeife als Zeichen des freien Mannes. Dort trifft man am ehesten den Mann mit der Pfeife, die mehr ist als ein Rauchgerät.

Aus diesen Ländern kommen nach wie vor die besten Stücke namhafter Firmen wie Dunhill, Charatan oder Stanwell. Gefertigt werden sie aus der besonders harten Wurzel des Bruyère-Holzes, das nur am nördlichsten Mittelmeer wächst. Maschinell oder besser noch von Hand bearbeitet, tritt die Maserung hervor, die über die Qualität entscheidet. Eine gute Pfeife kostet mehrere hundert Euro. Ist die Maserung aber lupenrein, muss man bis zu dreißigtausend Euro zahlen. Dann wird die Pfeife zum Kultgegenstand, der besonderer Pflege bedarf. „Davon halte ich nichts“, sagt Grass, „für mich ist die Pfeife ein Gebrauchsgegenstand. Sie muss schmecken und mir liegen. Danach wähle ich sie aus.“

Auf das richtige Stopfen kommt es an

Offenbar hatte er seine Lieblingsstücke, denn ich sah, dass die Pfeife, die er in der Hand hielt, am oberen Rand verkohlt war, ein Zeichen intensiven Gebrauchs. Der pedantische Raucher lässt es so weit nicht kommen, sondern reinigt seine Stücke nach der Nutzung. Danach legt er sie für Tage oder gar Wochen zurück, damit sie „ruhen“ könne, weil das den Geschmack verbessert. Das ist auch der Grund, warum der auf vollkommenen Genuss bedachte Raucher mehrere Pfeifen besitzt. Das können bis zu fünfzig oder mehr sein, die er der Reihe nach auswählt. Nicht so Günter Grass. „Ich weiß nicht genau, wie viele Pfeifen ich besitze“, sagt er. „Manche bleiben liegen, andere rauche ich mehrmals am Tag, vor allem wenn ich unterwegs bin.“ Er gehöre nicht zu jenen, die mit speziellen Pfeifentaschen auf Reisen gehen, in denen man bis zu zehn Objekte unterbringen kann. „Das wäre mir viel zu lästig.“

Zum Pfeiferauchen gehört notgedrungen ein eigens dafür gefertigter Tabak, der sogenannte Grobschnitt. Feinschnitt, wie ihn die Zigaretten enthalten, würde viel zu rasch herunterbrennen und die Pfeife beschädigen. Ob er eine bestimmte Tabaksorte bevorzuge, frage ich ihn. „Zur Zeit bevorzuge ich „Early Morning Pipe“.“ Das ist die leichtere Version aus der nicht eben billigen Dunhill-Serie. „Unterwegs bevorzuge ich den „Navy Flake“, der nimmt nicht so viel Platz weg.“ Der Flake ist ein stark komprimierter Tabak in rechteckigen dünnen Scheiben. In kleinen Dosen verpackt, kann man ihn bequem in die Tasche stecken. Aber Grass wäre nicht Grass, wenn er hier festgelegt wäre. Er lasse sich vom Händler eigene Mischungen anfertigen oder probiere aus, was dieser ihm anbiete. „Hauptsache, er ist nicht gesoßt.“

Darin sind wir uns schnell einig, wir stehen auf der streng-herben englischen Richtung. Nicht wenige der angebotenen Pfeifentabake sind aromatisiert und schmecken süßlich. „Mit „Golden Mixture“ habe ich angefangen“, sage ich. „Den kenne ich auch“, sagt Grass, „aber da kann man auch Pudding in die Pfeife stecken.“ Eine Pfeife brennt nur dann ruhig und bedächtig nieder, wenn sie richtig gestopft ist. Unten locker und oben fest, damit eine breite Brandfläche beim Anzünden entsteht. Sonst muss man diesen Vorgang öfters wiederholen. Grass benutzt dazu, was er gerade zur Hand hat, Gasfeuerzeuge oder Zündhölzer. Die Zeit der Benzin-Feuerzeuge ist zum Glück vorbei, weil der Geschmack beim Rauchen durchschlug.

Allenfalls dem Tabakforum ist an den Daten gelegen, wie viele Minuten oder Stunden eine Pfeife brennen kann. Es ist eine Lobby-Gruppe, die mit dem Verband der deutschen Rauchtabak-Industrie zu tun hat und die sich über die Gesellschaftsfähigkeit des Rauchens den Kopf zerbricht. Regelmäßig kürt sie den „Pfeifenraucher des Jahres“. Im Jahr 2001 ist die Wahl auf Günter Grass gefallen. Ungeachtet des industriellen Hintergrunds hat Grass diese Wahl angenommen: „Man trifft nette Leute dort, mit denen man fachsimpeln kann.“ Pfeifenraucher des Jahres bilden eine stattliche Reihe, unter ihnen Personen, von denen die Öffentlichkeit gar nicht weiß, dass sie Pfeife rauchen. Das gilt für Thomas Gottschalk, den SPD-Politiker Joachim Poß oder den früheren Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf. Sie verhüllen ihre Neigung eher.

Unverbesserliche Pfeifenraucher

Als Pfeifenraucher von Format, die quasi mit ihrem Utensil verwachsen sind, konnten zuletzt nur noch Siegfried Lenz und Günter Grass gelten. Vom Typ her waren sie unterschiedlich. Lenz gehörte zu der eher leise schmauchenden Sorte, Grass eher zu der vulkanischen. Lenz war behaglicher und bescheidener und nicht so reizbar. Es ist bezeichnend, dass Lenz nicht nur Pfeifenraucher, sondern auch Angler war. Beides hat gemeinsam, dass es eine meditative Tätigkeit sein kann. Gleichwohl waren sie, die beide aus dem Osten stammten – Lenz aus Ostpreußen, Grass aus Danzig – enge Freunde. „Kürzlich“, sagte Grass, „war Lenz mit seiner Frau zu Besuch. Weil wir unverbesserliche Pfeifenraucher sind, haben wir zusammen ein Pfeifchen geschmaucht.“

Woher rührt dieses „Unverbesserliche“? Muss man die Antwort in der Psychoanalyse suchen? Ich erzählte Grass die Geschichte von dem Freud-Schüler, der in einer Arbeit das Rauchbedürfnis auf infantile Ursachen zurückführte. Sigmund Freud, ein notorischer Zigarrenraucher, schickte das Manuskript zurück und schrieb wutentbrannt an den Rand: „Schreiben Sie nie wieder so etwas!“ Wenn es sie selber betrifft, reagieren Analytiker ungnädig. Vor einiger Zeit hat der Psychiater Gerhard Reister die Raucher in Typen eingeteilt: Pfeifenraucher sind nachdenklich ruhig und zurückgezogen, Zigarettenraucher sind aktiv, bisweilen hektisch, und Zigarrenraucher sind durchsetzungswillige Machtmenschen wie Winston Churchill oder Fidel Castro. Nur – auf Grass passt die Charakterisierung nicht so recht, und der Machtmensch Stalin war ein Pfeifenraucher. So viel zur Psychologie.

Als 1964 aus den USA die Meldung kam, Zigaretten seien krebserregend, setzte ein wahrer Ansturm auf Pfeifen ein. Aber das hielt nicht vor, die meisten Zigarettenraucher kamen mit dem Gerät nicht zurecht. Mit dem Rauchverbot kam wiederum Grass nur schwer zurecht. „Ich bin gelegentlich auf der Flucht und komme nur schwer damit klar, dass sogar die Raucherabteile in den ICE-Zügen abgeschafft werden. Die Umsetzung der Nichtrauchergesetze treibt den Raucher an den Straßenrand.“ Als er sich verabschiedete, sagte er: „Der Zeitgeist ist ein Nichtraucher.“