Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge befindet sich im Umbruch: Was folgt, wenn der letzte deutsche Soldat im Ausland ein würdiges Grab hat?

Stuttgart - Kriegsgräberfürsorge, das klingt nach Volkstrauertag und tristem Novemberwetter, kaum geeignet, um auch nur einen Jugendlichen hinterm Ofen vorzulocken. Umso erstaunter konnte man dieser Tage verfolgen, wie in Ulm 27 junge Leute aus Europa und darüber hinaus Kriegsgräber aus den Weltkriegen pflegten. Dass zu solchen Treffen – es war eines von mehreren in Deutschland – auch ein üppiges Freizeitprogramm gehört, versteht sich von selbst. Doch offensichtlich lässt der Gedanke, dass Europa etwas mit Kriegsgräbern zu tun hat, auch die junge Generation nicht kalt.

 

Johannes Schmalzl, der Landesvorsitzende des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der das Ulmer Treffen organisiert hatte, zieht seine Bilanz denn auch mit viel Genugtuung. Und doch macht das aufgeraute Klima in der internationalen Politik auch vor der Jugendarbeit nicht Halt: „Sie ist nicht mehr so intensiv wie noch vor zehn Jahren“, sagt Schmalzl im Gespräch mit unserer Zeitung. Das Camp auf der Krim finde zum Beispiel nicht mehr statt – eine Folge der russischen Annexion der Halbinsel.

30 000 Umbettungen jedes Jahr

Im Grunde könnte der Volksbund solche Konflikte ja ausblenden. Sein Kernauftrag ist klar definiert, der 1919 gegründete Verein errichtet und pflegt deutsche Kriegsgräberstätten im Ausland, und dafür gibt es Gesetze und Verträge. Er betreut auch Angehörige und gestaltet das öffentliche Gedenken. Doch seit langem versteht sich die Organisation auch als Friedensorganisation, die in die Gesellschaft hineinwirkt: „Wir sind keine Friedhofsverwaltung, sondern haben einen gesellschaftspolitischen Auftrag“, sagt Schmalzl. Deshalb auch die Plakataktion an über 1200 Standorten („Darum Europa!“), die erstmals im Juli und jetzt wieder im September zu sehen sein wird.

Schmalzl, im Hauptberuf Ministerialdirektor im Bundesfinanzministerium und ab November neuer Hauptgeschäftsführer der IHK Region Stuttgart, sieht diese pädagogische und politische Arbeit in den nächsten Jahren noch wachsen. Das hat auch damit zu tun, dass die Kernaufgabe im Ausland irgendwann erledigt sein wird. Zwar betreut die Organisation mehr als 830 Kriegsgräberstätten in 46 Staaten und nimmt auch aktuell noch jedes Jahr fast 30 000 Umbettungen deutscher Soldaten vor. Vor allem in Osteuropa werde man noch rund 100 000 Gefallene bergen können, sagt Martin Lunitz, der Geschäftsführer des Landesverbands. Doch steuern kann man das nicht: „Wenn in Stalingrad ein Supermarkt gebaut wird, kommen Tote zum Vorschein“, beschreibt Schmalzl drastisch, wie die Arbeit des Volksbunds von Infrastrukturarbeiten abhängt.

Mit der App über den Friedhof

Irgendwann in naher Zukunft wird auch der letzte deutsche Soldat ein würdiges Grab erhalten, werden seine Angehörigen verstorben sein. Kriegsgräber, so sagt Schmalzl, werden dann endgültig zu Erinnerungsstätten über die persönliche Biografie hinaus. Auch hierbei sieht sich die Organisation als Vermittler. Schon jetzt macht die App „Digitaler Friedhof“ Kriegsgräberstätten zu digitalen Lernorten. Auf dem Smartphone lassen sich so Informationen über die militärischen Ereignisse und die dort bestatteten Toten erhalten.

Der Volksbund ist also auf dem Weg zu neuen Ufern – aber war nicht genau dies das Ziel, das auch der im vergangenen Oktober abgewählte Bundesvorsitzende Markus Meckel gehabt hatte? War der interne Führungsstreit, der die Organisation im vergangenen Jahr erschüttert hatte, überhaupt nötig? „Der Volksbund muss ein Akteur im erinnerungspolitischen Diskurs sein“, hatte der frühere SPD-Politiker (Meckel war der letzte Außenminister der DDR) postuliert. Will das nicht auch sein Nachfolger, Ex-General Wolfgang Schneiderhan? Und wollen das nicht auch Landesvorsitzende wie Johannes Schmalzl?

Meckel habe den Volksbund zwar gut repräsentiert, sagt Schmalzl, der Meckels Abwahl mitbetrieben hat, es habe ihm aber am Bewusstsein für die Differenziertheit des Verbands gefehlt. Nein, der Volksbund sei eben keine Friedensorganisation wie jede andere, sondern eng mit den Angehörigen gefallener Soldaten verbunden. Deshalb der kurze Draht zur Bundeswehr, die ihn unterstützt. Deshalb auch die Fürsorge für die Angehörigen der im Ausland gefallenen Bundeswehrsoldaten. Als Meckel, der auch wegen seines Führungsstils in der Kritik stand, schließlich warnte, der Organisation drohe mangels Spenden die Pleite, brach intern ein Proteststurm los, der ihn hinwegfegte. „Der Volksbund steht finanziell gut da“, sagt Schmalzl. Trotz nachlassender familiärer Bindungen zu den Gefallenen habe man im Land im vergangenen Jahr 4,4 Millionen Euro Einnahmen verbucht. Aus Spenden und Erbschaften bestreitet der Verband zwei Drittel seines Budgets, den Rest trägt der Bund. Der hat seinen Anteil jetzt für 2017 von 15 auf 18 Millionen Euro erhöht.