Haben Abgeordnete sich der Untreue schuldig gemacht, weil sie im Wahlkampf vom Bundestag bezahlte Mitarbeiter einsetzten? Das prüft die Berliner Justiz – auch im Fall des Ludwigsburger CDU-Mannes Steffen Bilger. Der betont, er habe sich „nichts vorzuwerfen“.

Stuttgart - Wäre Steffen Bilger (CDU) so misstrauisch gewesen wie sein FDP-Kollege Pascal Kober, hätte er heute nicht den Staatsanwalt am Hals. Als im Bundestagswahlkampf 2013 das Fernsehteam des SWR anrückte, wehrte der Reutlinger Abgeordnete Kober sofort ab. „Machen Sie die Kamera aus“, befahl er barsch, „kein O-Ton ist freigegeben und kein Bild ist freigegeben.“ Dabei sei ein Drehtermin doch fest vereinbart gewesen, wunderten sich die Reporter.

 

Der Ludwigsburger Bilger und seine Mitarbeiter aber gaben den SWR-Leuten arglos Auskunft. Es sollte schließlich um „die Menschen hinter dem Abgeordneten“ gehen, das schien ihnen unverfänglich. Also berichtete die Leiterin des Wahlkreisbüros freimütig, dass sie derzeit „80 Prozent Wahlkampf und 20 Prozent Wahlkreisarbeit“ mache. Das Kernteam sei „nicht ehrenamtlich, das ist hier beschäftigt“. Und ihr Chef bestätigte offen, es sei im Wahlkampf „sicher ein Vorteil, jemand Erfahrenes dann auch als Hauptamtlichen zu haben“.

Belege für Wahlkampf auf Staatskosten?

Erst als der Beitrag kurz vor der Wahl in „Report Mainz“ lief, dämmerte es Bilger: Er hatte unfreiwillig Belege für die These geliefert, dass die Abgeordneten „Wahlkampf auf Staatskosten“ (so der Titel) machten. Quer durch die Parteien würden vom Bundestag bezahlte Mitarbeiter, die eigentlich nur die parlamentarische Arbeit unterstützen dürften, für die Kampagne eingesetzt, folgerte „Report“. Bis heute ist der CDU-Mann „fassungslos über diese Inszenierung“, die er dem Sender „nicht zugetraut“ hätte: Die vom SWR aufgesuchten Akteure seien „nur noch Statisten in einem vorab festgelegten Drehbuch“ gewesen.

Beim Publikum entstand indes ein anderer Eindruck. Viele Zuschauer waren empört über den dargestellten Missbrauch von Steuergeldern, quer durch die Republik wurden Strafanzeigen erstattet. Es liege der Tatbestand der Untreue nahe, hatte der Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim diagnostiziert. Tatsächlich kamen – das wird erst jetzt bekannt – Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Berlin in Gang. Man habe einen Anfangsverdacht auf Untreue gesehen, bestätigt ein Justizsprecher, das Verfahren richte sich gegen vier Abgeordnete. Namen werden offiziell nicht genannt, aber es sind die Protagonisten aus dem „Report“-Beitrag: der CDU-Mann Bilger, der Nürnberger SPD-Abgeordnete Martin Burkert und zwei ehemalige Abgeordnete von Grünen und Linken. Die Immunität der Betroffenen sei aufgehoben, heißt es, in den nächsten Wochen könnte es zu einem Abschluss kommen. Burkert möchte sich aktuell nicht zu den Vorwürfen äußern. Bereits 2013 hatte er von einer „rechtlichen Grauzone“ gesprochen und klare Regeln für den Einsatz von Mitarbeitern im Wahlkampf gefordert.

Auch Bilger hat bisher zu den Ermittlungen geschwiegen. Nun, gegenüber der Stuttgarter Zeitung, redet er erstmals. „Ich habe mir nichts, aber auch gar nichts vorzuwerfen”, sagt der Abgeordnete. Und das, glaubt er, werde ihm am Ende auch die Staatsanwaltschaft bescheinigen. Die Durchsicht der Akten stimme ihn da sehr zuversichtlich: Es gebe „keinen einzigen Punkt, bei dem ich den Ergebnissen der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in meiner Stellungnahme hätte widersprechen müssen“.

Bilger: Ich habe mir nichts vorzuwerfen

Zusätzlich optimistisch stimmt ihn eine wenig beachtete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Erst im August hatten die Richter eine Klage der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) als unzulässig zurückgewiesen, in der es auch um die Abgeordneten-Mitarbeiter ging. Vertreten wurde die ÖDP in Karlsruhe von dem Verfassungsrechtler von Arnim. Er sieht die Chancen kleiner Parteien auch dadurch verletzt, dass die Parlamentarier über ein „Heer“ von staatlich bezahlten Mitarbeitern verfügen.

Bundestags-Helfer als Rückgrat der Partei

Die per Gesetz geforderte Trennung von parlamentarischer und parteipolitischer Arbeit sei reine Fiktion, längst bildeten die Helfer in den Regionen das „organisatorische Rückgrat“ der Parteien. Als Beispiel nennt er den südwürttembergischen Bundestagsabgeordneten Thomas Bareiß, wie Bilger einer der einflussreichen CDU-Bezirkschefs im Land. Gleich drei von dessen über den Bundestag beschäftigten Mitarbeiterinnen hätten Parteifunktionen – eine als Kreisgeschäftsführerin Zollernalb, eine weitere in gleicher Funktion in Sigmaringen, eine dritte als Sigmaringer Ortsvorsitzende. Stets würden solche Doppelverwendungen als „ehrenamtlich“ verbrämt.

Doch beim Verfassungsgericht drang von Arnim mit seinen Einwänden nicht durch. Als „Verbindungsglied“ zwischen Parlament und Volk gehöre es zu den Hauptaufgaben von Abgeordneten, „engen Kontakt mit der Partei, den Verbänden und nicht organisierten Bürgern zu halten“, befanden die Richter. Die Gelder des Bundestages stünden ausdrücklich auch für Mitarbeiter im Wahlkreis zur Verfügung. Natürlich wirke sich das Engagement vor Ort auf die Wahlchancen der jeweiligen Partei aus – so sei das nun mal in der Demokratie. Auch an Mitarbeitern mit Parteifunktionen störte sich das Gericht nicht: Allein daraus lasse sich nicht folgern, dass sie unzulässig mit Steuergeldern bezahlt würden. Allzu dünn fand da Gericht den Beleg für die Behauptung, im Wahlkampf würden massenhaft Mittel für Mitarbeiter „missbräuchlich verwendet“; da beschränkten sich die Kläger auf wenige Beispiele aus dem „Report“-Beitrag von 2013. Inhaltlich bewertete Karlsruhe diese nicht, weil die Klage auf die Haushaltsmittel für 2012 ziele.

Steffen Bilger ist mit der Entscheidung gleichwohl hoch zufrieden: „Ich kann nur begrüßen, dass wir Abgeordnete und nicht zuletzt unsere Mitarbeiter endlich mehr Klarheit haben.“ Nun hofft er nur noch, dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen, wie angekündigt, „zügig“ abschließt.

Bundestag

Seit Jahrzehnten erhalten die Bundestagsabgeordneten Geld, um Mitarbeiter zu bezahlen. Der Betrag hat sich laut dem Parteienkritiker von Hans Herbert von Arnim vervielfacht: von einst 1500 Mark auf knapp 15 000 Euro monatlich, samt Zusatzkosten 20 000 Euro. Die Ausgaben summierten sich heute auf mehr als 150 Millionen Euro pro Jahr – fast doppelt so viel wie die Zuschüsse an die Fraktionen und etwa so viel wie die gesamte Parteienfinanzierung.

Wahlkreis

Entsprechend stark stieg laut der Klageschrift von Arnims die Zahl der Mitarbeiter: von weniger als 400 auf etwa 6800. Jeder Abgeordnete habe damit im Durchschnitt zehn Helfer, von denen ein Drittel voll- und zwei Drittel teilzeitbeschäftigt seien. Der Anteil jener Mitarbeiter, die im Wahlkreis eingesetzt würden, habe sich über die Jahre massiv erhöht: waren es früher halb so viele wie im Bundestag, seien es heute gleich viele. Diesen Anstieg sah das Verfassungsgericht aber nicht kritisch.