Bundespräsident Wulff ist zurückgetreten, weil die Staatsanwaltschaft Hannover ab Samstag gegen ihn ermitteln will. Bei einer Verurteilung droht ihm eine Haftstrafe.  

Hannover - Lange und auffällig hatte die Staatsanwaltschaft in Hannover gezögert, sogar so sehr, dass die Polizeigewerkschaft sich zur Ermahnung aufgerufen sah. Am späten Donnerstagabend dann kam die Wende: Die Justizbehörden aus Hannover, der niedersächsischen Landeshauptstadt, wollen gegen den zurückgetretenen Bundespräsidenten wegen des Verdachts der Vorteilsannahme ermitteln. Am Samstag will die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit im Fall Wulff aufnehmen. Das sagte ein Sprecher der Ermittlungsbehörde am Freitag auf dapd-Anfrage. Am Freitag sei das Staatsoberhaupt noch durch die Immunität geschützt. Man gehe aber davon aus, dass diese durch den Rücktritt am Samstag aufgehoben sei.

 

 Die Immunität des Staatsoberhauptes aufzuheben ist eine Entscheidung mit enormer Tragweite gewesen, sie kommt einem politischen Todesurteil gleich: In Deutschland pflegen Spitzenpolitiker zurückzutreten, sobald die Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelt.

Nun ist aber noch längst nicht klar, ob sich die Verdachtsmomente gegen Wulff auch erhärten. Aus dem mittlerweile zehn Wochen laufenden medialen Dauerfeuer gegen den ehemaligen Ministerpräsidenten aus Niedersachsen wird nun allerdings ein ernstes juristisches Problem. Es geht nicht mehr nur um Stilfragen oder darum, ob niedersächsische Landesgesetze verletzt wurden, deren Bruch keine Sanktionen nach sich zieht.

Eine Freiheitsstrafe ist möglich

Die neuen Vorwürfe gegen Wulff besagen, er habe gegen Paragraph 331 des Strafgesetzbuches verstoßen. Dieser verbietet Amträgern, für sich einen Vorteil zu fordern oder anzunehmen. Sollte sich der Verdacht erhärten, eine Anklage und spätere Verurteilung die Folge sein, so wäre eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe fällig. Davon ist Wulff noch weit entfernt, denn in der momentanen Debatte gibt es auch viele Hinweise, die ihn entlasten.

Ein Umstand ist merkwürdig an der Entscheidung. Es ist die Staatsanwaltschaft ausgerechnet in Hannover, die hier tätig wird. Sie ist in den vergangenen Wochen dazu durchaus gedrängt worden, es hat mehrere Beschwerden wegen angeblicher Untätigkeit gegeben. Aber der Name der niedersächsischen Hauptstadt wurde von manchen Kritikern auch schon in einem Atemzug mit dem Verdacht der Korruption gestellt. Bei einer angeblichen „Hannover-Connection“ geht es um den Vorwurf einer zu großen Nähe zwischen mächtigen Vertretern der Wirtschaft und Politikern. Die Namen des AWD-Gründers Carsten Maschmeyer und des RWE-Chefs Jürgen Großmann werden genannt. Beide zählten früher zu den „Freunden“ von Altkanzler Gerhard Schröder, dem immer wieder Kungelei unterstellt wurde, und sie werden jetzt von Wulff zu seinen Freunden gerechnet.

Nicht genügend Distanz

Tatsächlich spielt auch bei Wulff der Kernvorwurf eine große Rolle, es habe zwischen ihm als Politiker und mächtigen Wirtschaftsführern nicht genügend Distanz gegeben. Hatte es wegen des auffälligen Zögerns der Justizbehörden schon den Verdacht gegeben, auch die Staatsanwälte wären Teil einer „Hannover-Connection“ und würden Missstände stillschweigend ignorieren, so ist jetzt das Gegenteil belegt: Vier Ermittler aus der Landeshauptstadt, an der Spitze ein 41-jähriger, in Korruptionsfragen erfahrener Oberstaatsanwalt, wagen jetzt einen Vorstoß gegen das Staatsoberhaupt. Diese Entscheidung sei „unabhängig nach intensiver kollegialer Beratung“ getroffen worden, erklärt die Jusitzbehörde und fügt hinzu: „Weisungen vorgesetzter Behörden hat es nicht gegeben."

Das klingt glaubwürdig, wenn es auch nicht die ganze Wahrheit sein dürfte. Tatsächlich war auch in der niedersächsischen Landespolitik in den vergangenen Wochen die Erwartungshaltung enorm angestiegen. Wenn schon kleine Bürgermeister oder Bauamtsleiter mit Ermittlungen zu tun haben, sobald der leiseste Verdacht einer Vorteilsannahme besteht, etwa bei einer Einladung zum Luxusurlaub durch ein heimisches Unternehmen, wieso wird dann nicht gegen den Bundespräsidenten ermittelt? Ist der „gleicher als gleich"? Die Staatsanwälte ließen sich durch derlei Hinweise, die von Rechtsexperten wie Politikern vorgetragen wurden, nicht aus der Ruhe bringen. Die Vermutung aber, die CDU/FDP-geführte Landesregierung wolle die Justizbehörden bremsen und den alten Parteifreund Wulff damit schützen, ist abwegig. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein - auch in der Landesregierung gab es manche, die sich wunderten über die auffällige Zurückhaltung der Staatsanwaltschaft, die nun erst in Ende hat.

"Film-Fonds"

Dass die Justiz aber erst jetzt tätig wird, hat auch einen Grund. Nicht die Berichte über einen günstigen Kredit für Wulff, über seine Nähe zum „väterlichen Freund“ Egon Geerkens oder über die enge Beziehung zwischen Wulffs früherem Sprecher Olaf Glaeseker und dem Eventmanager Manfred Schmidt gaben den Ausschlag. Dies sind alles problematische Vorgänge, aber den Verdacht einer Vorteilsannahme bei Wulff sehen die Ermittler hier - bisher - nicht. Entscheidend war ein anderer Fall, nämlich die Nähe vom Wulff zum Film-Manager David Groenewold, der „Film-Fonds“ betrieben hat. Groenewold lud Wulff und seine Frau, wie sich erst nach und nach herausschälte, zweimal zu Sylt-Urlauben ein, 2007 und 2008. Er legte das Geld auch aus, Wulffs Anwälte beteuern allerdings, der damalige Ministerpräsident habe die Beträge (mehr als 1500 Euro) bar erstattet. Außerdem leistete Groenewold verschiedene andere „Freundschaftsdienste“ für Wulff, er überließ ihm ein Handy, gab der CDU-Mitgliederzeitung auch eine teure Anzeige. Die Urlaube auf Sylt geschahen aber zu einer Zeit, als eine Firma Groenewolds eine Landesbürgschaft über vier Millionen Euro nutzen durfte. Vor der Bewilligung dieser Bürgschaft hatte Wulff das Vorhaben abgezeichnet.

Wie jetzt bekannt geworden ist, hatte Wulffs Staatskanzlei aber 2009 von weiteren Bürgschaften für „Film-Fonds“, wie Groenewold einen betreibt, abgeraten. Auf einen entsprechenden Vermerk soll Wulff im August 2009 geschrieben haben, er bitte „bei allen Aktivitäten im Zusammenhang mit Groenewold um äußerste Zurückhaltung“, denn es solle „jeglicher Anschein von Nähe vermieden“ werden. Den Rat seiner Fachleute aber, generell in diese Branche keine Bürgschaften mehr zu geben, lehnte Wulff in der Notiz ab. Dies sei „überzogen“ und „fundamental“. Dieser Vermerk könnte Wulff nun belasten, weil er als Anweisung für weitere Bürgschaften an Firmen wie die von Groenewold interpretiert werden kann.

Offenbar haben diese neuen Hinweise auf die Beziehung Wulffs zu Groenewold der Staatsanwaltschaft den entscheidenden Ruck gegeben, nun noch aktiv zu werden. In der CDU/FDP-Landesregierung wurde dies teilweise mit Erleichterung aufgenommen - war doch Wulff, der einstige Hoffnungsträger der Koalition in Hannover, längst schon zu einer Belastung geworden.