Die Ermittlungen wegen Landesverrats haben „Netzpolitik.org“ neue Unterstützer und viele Spenden beschert. Doch für Markus Beckedahl und sein Team ist die Sache längst nicht ausgestanden.

Berlin - Das Telefon von Markus Beckedahl klingelt derzeit im Minutentakt. Der Gründer des Blogs „Netzpolitik.org“ steht im Zentrum eines unerwarteten Kampfs um die Pressefreiheit, seit er am vergangenen Donnerstag ein Schreiben des Generalbundesanwalts aus dem Briefkasten fischte. Gegen Beckedahl und Blog-Autor André Meister werde ermittelt, teilte ihm der Generalbundesanwalt darin mit. Der Vorwurf: Landesverrat.

 

„Das war ein komisches Gefühl zwischen Lottogewinn und so ein bisschen Irritation: Was ist eigentlich noch mal Landesverrat?“, erzählt Beckedahl. „Landesverrat“ musste er im Internet nachschlagen. „Wir haben das natürlich erstmal gebloggt. Und seitdem ist unser Leben ein wenig aus den Fugen geraten.“

Seit die Nachricht am Donnerstagabend auf „Netzpolitik.org“ erschien, steht das Blog im Zentrum eines politischen Sturms. Der öffentliche Aufschrei war riesig: Ermittlungen gegen Journalisten wegen Landesverrats hatte es seit Jahrzehnten nicht gegeben. Alle großen Medien berichteten über die kleine Redaktion, Beckedahl wurde im Fernsehen interviewt. An diesem Tag ist er seit fünf Uhr morgens auf den Beinen. Am Wochenende demonstrierten 1300 Menschen in Berlin für die Pressefreiheit und forderten ein Ende der Ermittlungen.

Beckedahl in der c-base Berlin

Beckedahl ist in der c-base in Berlin zu Gast, einem Treffpunkt für Nerds, Hacker und Netzinteressierte direkt an der Spree. Auf seinem schwarzem T-Shirt wirbt ein Aufdruck für ein weniger striktes Urheberrecht. Man bekommt den Eindruck, er selbst schwankt noch zwischen Witzen und Wut über die Vorgänge. Immer wieder erntet er Applaus.

Unter Interessierten ist „Netzpolitik.org“ schon lange bekannt. Die Mitstreiter bloggen seit zehn Jahren über Urheberrecht, Digitalisierung, Überwachung und Politik rund um das Internet. Sie stritten gegen das Urheberrechtsabkommen Acta und gegen Netzsperren. Beckedahl beriet sogar schon die Abgeordneten des Bundestages in einer Kommission zur Internetpolitik.

130 000 Euro Spenden binnen weniger Tage

Doch seit den Ermittlungen prangt der Name ihres Blogs auf Titelseiten und wird in Fernsehnachrichten vorgelesen. „Auf einmal fanden wir uns seit Sonntagabend in so einer kleinen, sich entwickelnden Staatsaffäre wieder“, sagt Beckedahl. „Da soll noch einer sagen, mit Bloggen kann man in Deutschland nichts erreichen.“

Spenden und Seitenaufrufe schossen seither in die Höhe. Zeitweise hatten die Journalisten Mühe, ihre Seite am Laufen zu halten. Ihre Kontonummer wurde online herumgereicht. Innerhalb weniger Tage gingen 130 000 Euro an Spenden ein, berichtet Beckedahl am Mittwochabend. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 2014 sammelte Netzpolitik 180 000 Euro von Unterstützern. Auch das ist viel für ein Blog, das sich über Spenden finanziert. Zurzeit gibt es nur fünf bezahlte Mitarbeiter, der neue Geldsegen soll für den Ausbau der Arbeit eingesetzt werden.

Das sagt Beckedahl zur Range-Entlassung

Die zusätzliche Aufmerksamkeit nutzt Beckedahl auch für politische Forderungen. Er wettert gegen die Pläne von Justizminister Heiko Maas (SPD), die Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen.

Bei aller Aufmerksamkeit und finanziellen Unterstützung ist die Gefahr keineswegs ausgestanden. Beckedahl fordert vom neuen Generalbundesanwalt eine Einstellung der Ermittlungen. Das müsse auch für die unbekannte Quelle der Journalisten gelten.

Die Entlassung von Generalbundesanwalt Harald Range begrüßt Beckedrahl. Range sei mitverantwortlich, dass die Ermittlungen eingeleitet worden seien, sagte er am Mittwoch. „Aber der eigentlich Verantwortliche ist Verfassungsschutzpräsident (Hans-Georg) Maaßen, der das alles in die Wege geleitet hat und in Herrn Range einen willfährigen Mittäter fand, der auf Basis abstrusester rechtlicher Bewertungen überhaupt die Ermittlungen wegen Landesverrats gegen uns gestartet hat“, sagt Beckedahl.

Die Affäre ist noch nicht beendet – auch für Beckedahl

Die Affäre sei noch nicht beendet, sagte Beckedahl. Range sei nur ein Bauernopfer. „Viel mehr Menschen müssen hinter der Entscheidung stehen, dass diese Ermittlungen gestartet worden sind, und hier sind wir noch nicht am Ende der Aufklärung angekommen.“

Die Berichte über die Staatsaffäre seien ja ganz lustig. „Andererseits ist es auch nicht so lustig, wenn man weiß, man könnte theoretisch ins Gefängnis kommen.“

Das Ermittlungsverfahren läuft nach Angaben eines Ministeriumssprechers weiter, da über den Fortgang allein der Generalbundesanwalt entscheide.