Am Ende ihres Berufslebens sind fast drei Viertel der deutschen Männer und mehr als die Hälfte der Frauen übergewichtig. Das Problem beschränkt sich allerdings nicht nur auf berufstätige Menschen.

Stuttgart - Hier ein Bonbon, da ein Stück Kuchen, dort eine Tasse Cappuccino – wer jedes Mal zugreift, wenn sich die Gelegenheit bietet, hat vermutlich ein Gewichtsproblem. Befindet sich aber in bester Gesellschaft: 59 Prozent der berufstätigen Männer und 37 Prozent der berufstätigen Frauen in Deutschland sind übergewichtig. „Das Dicksein ist heutzutage so weit verbreitet, dass es keine Ausnahme mehr darstellt“, sagt Helmut Heseker, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) und Ernährungswissenschaftler an der Universität Paderborn. „In der Altersklasse der Berufstätigen ist Dicksein der Normalzustand.“

 

Am Ende ihres Berufslebens sind fast drei Viertel der Männer (74,2 Prozent) und mehr als die Hälfte der Frauen (56,3 Prozent) übergewichtig. Von ihnen gelten wiederum rund 24,7 Prozent der Männer sowie 20,7 Prozent der Frauen als fettleibig, schreibt die DGE in ihrem 13. Ernährungsbericht. Die in dem Bericht enthaltenen Zahlen basieren unter anderem auf Daten des Mikrozensus des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2013.

Als fettleibig (adipös) gelten Menschen ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 30. Den BMI kann man berechnen, indem man das Gewicht (in Kilogramm) durch das Quadrat der Körpergröße (in Metern) teilt. Ab einem BMI von 40 spricht man von einer Adipositas dritten Grades – das Risiko für das Auftreten von Begleiterkrankungen wie zum Beispiel Diabetes mellitus Typ 2 oder Krebskrankheiten gilt bei diesem Grad als sehr hoch. Dabei sind die Gründe für die Entstehung von Übergewicht seit Langem bekannt, sagt Heseker: „Viele Menschen in Deutschland essen zu viele energiereiche Lebensmittel und bewegen sich zu wenig.“ Sein Ratschlag gegen die allgegenwärtigen Verlockungen: einige Tage lang alles aufschreiben, was man isst: „Allein, weil man darüber nachdenkt, isst man weniger – und bewusster.“

Übergewicht beginnt nicht selten im Mutterleib

Bei vielen Menschen würde es schon einen Effekt geben, wenn sie grundsätzlich die Treppe statt den Aufzug oder die Rolltreppe nehmen würden und kurze Wege am Ort zu Fuß statt mit dem Auto zurücklegen würden, meint Sigrun Rich, Apothekerin bei der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg: „Wer abnehmen möchte“, sagt sie, „sollte gesunde Ernährung und Bewegung möglichst dauerhaft kombinieren.“

Das Problem beschränkt sich allerdings nicht nur auf berufstätige Menschen. Viele Babys kommen schon zu dick zur Welt. Übergewicht beginnt nicht selten im Mutterleib. 8,9 Prozent der Neugeborenen in Deutschland wogen dem DGE-Bericht zufolge 2010 mehr als 4000 Gramm, 1,2 Prozent der Kinder hatten ein Geburtsgewicht von mehr als 4500 Gramm – sie waren im Schnitt mehr als ein Kilogramm schwerer als die meisten Neugeborenen (3,4 Kilogramm).

Verantwortung dafür tragen auch die werdenden Mütter. „In der Geschichte der Menschheit sind Babys, die schon bei der Geburt sehr kräftig sind, ein recht neues Phänomen“, sagt Heseker. Der Ernährungswissenschaftler erklärt es sich damit, dass Frauen immer später in ihrem Leben Mutter werden – und dann schon Gewicht zugelegt haben. Das Ausgangsgewicht der Mutter wirke sich stärker auf die Gesundheit des Kindes aus als eine Gewichtszunahme während der Schwangerschaft. Schwangere, sagt Heseker, sollten unbedingt darauf achten, nicht zu viele Kalorien zu konsumieren: „Das Sprichwort, eine Schwangere sollte für zwei essen, stimmt nicht.“ Der Energiebedarf nehme erst im späteren Schwangerschaftsverlauf zu – „und auch nur, wenn die werdende Mutter körperlich aktiv bleibt“.

Vom 18. bis zum 40. Lebensjahr nehmen Männer durchschnittlich elf Kilo zu

Zu dicke Babys, zu dicke Kinder? Bei den Einschulkindern immerhin hat die DGE in den vergangenen Jahren einen positiven Trend ausgemacht: In dieser Altersgruppe stagniert die Zahl der Übergewichtigen seit einigen Jahren. Bei älteren Kindern und bei Jugendlichen sieht es jedoch schon wieder anders aus: Nach einer thüringischen Studie waren im Schuljahr 2012/13 bei der Einschulung 11,4 Prozent der Schüler übergewichtig. In der vierten Klasse waren es 17,5 Prozent, in der achten Klasse 20,7 Prozent.

Diese Entwicklung zieht sich auch durch die späteren Lebensjahre. Vor allem Männer nehmen mit dem Alter deutlich an Gewicht zu: Vom 18. bis zum 40. Lebensjahr sind es durchschnittlich knapp elf Kilogramm. In der Altersgruppe der 30- bis 35-Jährigen sind normalgewichtige Männer bereits in der Unterzahl. Bei den Frauen dominieren die Übergewichtigen erst ab 55 Jahren.

Nur noch eine Minderheit der Erwachsenen ist hierzulande in der Lage, ihr Körpergewicht im Bereich des Normalgewichts (BMI 18,5 bis 24,9) zu halten. Von 1999 bis 2013 hat der Anteil adipöser Männer um 40 Prozent, der adipöser Frauen um 24,2 Prozent zugenommen. Das ist ein Gesundheitsproblem für jeden Einzelnen. „Wenn man mit 40 Jahren bereits adipös ist, nimmt die Lebenserwartung um vier bis acht Jahre ab“, sagt Heseker. Die ökonomischen Folgen von Adipositas wirken sich aber auch auf die Gesamtgesellschaft aus: Bis zu 21 Milliarden Euro verursachen Hochrechnungen zufolge die direkten und indirekten Krankheitskosten im Gesundheitswesen.

Nicht nur die DGE sieht deshalb einen dringenden Handlungsbedarf für die Politik „um die Adipositasepidemie zu stoppen“ – auch die Krankenkassen haben naturgemäß ein Interesse daran, den Kosten, die durch Übergewicht verursacht werden, zuvorzukommen. Kürzlich forderte Jens Baas, Vorstandschef der Techniker-Krankenkasse, einen bundesweiten Aktionsplan gegen die Fettleibigkeit. Mit immer neuen Aufklärungskampagnen sei es nicht getan.

Abnehmen – aber wie?

Welches Ernährungsprogramm man sich vornimmt, um abzunehmen, ist Experten zufolge egal: Die eine Diät, die immer und bei jedem zum Erfolg führt, gibt es nicht. Wichtiger ist es, sich langfristig gesund und kalorienarm zu ernähren. Das Durchhaltevermögen hängt auch davon ab, wie gut sich eine Diät in den Alltag integrieren lässt.

Neuere Forschungsergebnisse könnten Betroffenen Mut machen: Schon wer es schafft, sein Körpergewicht um fünf Prozent zu reduzieren, erweist seiner Gesundheit einen großen Dienst, berichten Forscher um Samuel Klein von der Washington University (USA) in dem amerikanischen Fachjournal „Cell Metabolism“.