Während Politik und Energiewirtschaft den Bestand konventioneller Kraftwerke sichern wollen, setzt der Ökostrompionier Lichtblick auf die dezentrale Versorgung.

Stuttgart - Heiko von Tschischwitz hat ein schönes Büro. Auch wegen des Ausblicks. Denn aus seinem großen Fenster sieht der Chef des Hamburger Ökostromanbieters Lichtblick nicht nur die Landungsbrücken, die Elbe und die Industrieromantik der Hafenkräne, sondern auch geradewegs in die künftige Vergangenheit: weit sichtbar dampft sechseinhalb Kilometer entfernt an der Süderelbe das Steinkohlekraftwerk Moorburg. Es ist zwar einer der neuesten und umweltfreundlichsten Strommeiler der Welt, aber vielleicht auch einer der letzten, die in Deutschland gebaut wurden. Zumindest von Tschischwitz ist sich da sicher. In der Tat lohnen sich solche Anlagen in Zeiten der Energiewende immer weniger. Die erneuerbaren Energien drängen Kohle- und Gaskraftwerke immer mehr aus dem Markt. Auf das erwähnte Kraftwerk Moorburg hat Vattenfall schon rund eine Milliarde Euro abgeschrieben, bevor die Anlage demnächst offiziell in Betrieb geht – auch, weil Bürger dem schwedischen Betreiber wo immer möglich juristisch Knüppel zwischen die Beine warfen.

 

Ohne Kraftwerke, die einspringen, wenn die Erneuerbaren nicht liefern können, ist aber in absehbarer Zeit keine sichere Versorgung möglich – das gilt weithin als Konsens. Deshalb sucht die Politik derzeit nach Maßnahmen, die den Erhalt der Kraftwerke trotz fehlender Marktwirtschaftlichkeit garantieren. Unsinn, sagt von Tschischwitz und vergleicht die Energiekonzerne mit Schreibmaschinenherstellern: Die hätten noch mechanische Maschinen auf den Markt gebracht, als längst klar war, dass die Zukunft dem Computer gehört.

Und die Zukunft der Energie, ist der smarte Lichtblickchef überzeugt, gehört der dezentralen Stromversorgung. Große Kraftwerke, genauso aber auch Megaprojekte wie Windparks im Meer oder Solarfelder in der afrikanischen Wüste (Stichwort: Desertec) und die dazugehörigen Stromautobahnen entsprängen dem Denken von Konzernen, die sich Energie nur in großen Dimensionen vorstellen können, sagt er. Er habe nie an Offshore-Wind oder Desertec geglaubt. Die Zukunft liege vielmehr in vielen kleinen Einheiten, die sich als riesiger Schwarm gegenseitig ergänzten und ausglichen. Und die Gallier der Stromversorgung aus dem hohen deutschen Norden machen sich auch dran zu beweisen, dass das geht.

Zusammen mit VW wurde das „Zuhausekraftwerk“ lanciert

Bekannt ist das Unternehmen mit Sitz am Hamburger Zirkusweg im Stadtteil Sankt Pauli vor allem als Ökostromlieferant – mit 630 000 Kunden ist Lichtblick größter Grünstromversorger in Deutschland. Darüber hinaus verfolgt der Ökopionier aber eine Mission: in der Praxis eine Lösung mitzuentwickeln, wie sich eine sichere Energieversorgung realisieren lässt, die bezahlbar und umweltfreundlich ist.

2009 lancierte das Unternehmen dazu gemeinsam mit Volkswagen unter dem Namen „Zuhausekraftwerk“ Blockheizkraftwerke für kleinere Mehrfamilienhäuser, deren Herzstück ein erdgasbetriebener Golf-GTI-Motor ist. 100 000 solcher Anlagen, die in erster Linie Wärme produzieren und nebenbei Strom abwerfen, wollten die Partner installieren. Daraus wurde nichts oder genauer: weit weniger als geplant. Im Mai scheiterte die Kooperation mit dem Wolfsburger Autokonzern – wie man munkelt, weil VW die Konditionen zu seinen Gunsten verändern wollte und angeblich nach weiteren Partnern suchte, obwohl Exklusivität vereinbart war. Mittlerweile hat Lichtblick gegen VW Klage eingereicht.

Immerhin laufen bundesweit 1500 der motorgetriebenen Kleinkraftwerke, 1000 davon betreibt Lichtblick selbst bei den Kunden – für vergeblich hält von Tschischwitz die Investition nicht. Ganz im Gegenteil. Denn für die Zuhausekraftwerke entwickelte Lichtblick eine Software, die eine intelligente Steuerung der Anlagen ermöglicht: Heute ist dieses Programm, das den schönen Namen Schwarmdirigent trägt, „Kernstück der Unternehmensstrategie“, wie der Lichtblick-Chef sagt. Dass er das ernst meint, zeigt sich unter anderem daran, dass Lichtblick schon heute rund 100 Computerspezialisten beschäftigt – etwa doppelt so viele wie Energieexperten.

Das Tischtuch ist nicht zerschnitten

In der Lichtblick-Firmenzentrale lässt sich beobachten, wie das Computerprogramm seinen Schwarm dirigiert, der mittlerweile nicht nur aus den eigenen Blockheizkraftwerken, sondern auch aus größeren Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung von Dritten besteht: aus einer Vielzahl von Informationen und Prognosen über die Entwicklung des Strompreises, des Wetters in den kommenden Stunden, aber auch des Wärmebedarfs der Anlagenbetreiber errechnet der Schwarmdirigent die optimalen Einsatzzeitpunkte und steuert die kleinen Kraftwerke per Mobilfunk.

So springen – gesteuert vom Spiel aus Angebot und Nachfrage – umweltfreundliche Erzeuger dann ein, wenn Wind- und Sonnenenergie den Bedarf nicht decken können und die Marktpreise hoch, also für die Betreiber lukrativ sind. Auch Speicher lassen sich einbinden. Im Rahmen eines Pilotversuchs im Auftrag des Bundesumweltministeriums integriert Lichtblick derzeit bereits Batterien von Elektroautos – allerdings ist deren Kapazität so gering, dass es im Moment nur um einen Test geht. Partner sind die Solarfirma SMA und das Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik. Als Testmobile dienen 20 e-Up von VW. Das Tischtuch zwischen beiden Unternehmen ist durch die Differenzen um die Zuhausekraftwerke offensichtlich nicht durchschnitten. Die Nutzer der Autos können mittels Smartphone-App festlegen, wie viel Prozent Ladung die Batterie mindestens vorhalten muss – und wie viel Prozent der Schwarmdirigent während der Standzeiten als Stromspeicher einsetzen darf. So könnte sich eines Tages mit Autobatterien Geld verdienen lassen.

Die Prognosen der Schweizer Bank UBS sind positiv

Das Potenzial solcher Speicher sei riesig, sagt von Tschischwitz und zitiert den erklärten Willen der Bundesregierung, wonach bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen unterwegs sein sollen – was Kritiker für unrealistisch halten. „Das bedeutet eine Speicherkapazität, die doppelt so hoch ist wie die Speichermenge des größten deutschen Pumpspeicherkraftwerks in Goldisthal“, rechnet er vor. Auch die Schweizer Bank UBS sage der Kombination aus Fotovoltaik und Elektromobilität große Zukunftsaussichten voraus – nicht zuletzt auch wegen der Speichermöglichkeiten in den E-Mobilen. Dass vielversprechend klingt, was mit dem Schwarmdirigenten möglich ist, finden auch andere Energieversorger sowie Batterie- und Autohersteller. Von Tschischwitz berichtet von Gesprächen mit mehreren Unternehmen über eine Nutzung der innovativen Software. Auch Delegationen aus China und den USA seien schon nach Sankt Pauli gekommen, um sich zu informieren.

Dabei kommt dann auch gerne das Projekt „Gelbes Viertel“ in Berlin zur Sprache, wo Lichtblick einen anderen Aspekt einer dezentralen Energieversorgung erkundet: Den Verbrauch von Ökostrom am Ort der Erzeugung. Das ist Neuland, denn jahrelang wurde grüner Strom grundsätzlich ins Netz eingespeist. Auf den Dächern von 50 Plattenbauten hat Lichtblick im Ortsteil Hellersdorf Fotovoltaikanlagen installiert, deren „Zuhausestrom“ den 3000 Mietern in einem speziellen Tarif angeboten wird. Etwa 40 Prozent des Bedarfs in dem Komplex können so gedeckt werden. Den Rest liefert Lichtblick über das öffentliche Netz dazu. Insgesamt, so wirbt das Unternehmen, sei der Strom für die Mieter so günstiger als in der Grundversorgung – unter anderem, weil für den vor Ort genutzten Strom Netzentgelte, Abgaben und Steuern entfallen.

Die Politik ignoriert die dezentrale Versorgung

Zudem bleiben der Allgemeinheit Kosten erspart: Denn da der Sonnenstrom vom Dach nicht ins Netz eingespeist wird, fällt auch keine garantierte Vergütung an, die über die EEG-Umlage von allen Stromverbrauchern finanziert wird. Trotzdem müssen die Hellersdorfer Mieter seit der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vom Sommer die volle EEG-Umlage auch für den Strom vom eigenen Dach zahlen. Das so genannte Grünstromprivileg, das die Umlage in so einem Fall um zwei Cent pro Kilowattstunde senkte, ist seither gestrichen. Befreit sind nur noch kleine Anlagen wie sie klassischerweise auf Einfamilienhäusern zu finden sind. Für von Tschischwitz, der hanseatisch zurückhaltend formuliert, ist „die Privilegierung von vermögenden Einzelhausbesitzern ein schreiendes Unrecht“.

Überhaupt sei er „ziemlich desillusioniert, was die Politik so macht“, zumal die dezentrale Versorgung an allen Ecken und Enden mit regulatorischen Mängeln und Lücken etwa bei der Abrechnung oder im Zähl- und Messwesen zu kämpfen habe. Die Politik müsse Dezentralität fördern, fordert er. „Nicht mit Geld, sondern mit dem Abbau von Diskriminierungen.“ Entmutigen lassen wolle er sich dennoch nicht. „Die Energiewende wird kommen – das kan n auch die Politik nicht verhindern.“