Die Geschwindigkeit des Ausbaus der erneuerbaren Energien wird nicht mehr allein von den großen Versorgern bestimmt. Private Investoren und Kommunen steigen ein.

Stuttgart - Die deutschen Energieversorgungsunternehmen haben den Ausstieg aus der Atomenergie und den Ausbau der erneuerbaren Energien lange gebremst. Nun müssen sie die Verzögerung in kürzerer Zeit und mit weniger Geld aufholen, als sie gehofft hatten.

 

Als die rot-grüne Bundesregierung ihnen im Juni 2000 zum ersten Mal eine Verständigung über den Atomausstieg abrang, ließen die Manager keinen Zweifel daran, dass sie sich dem politischen Druck gebeugt hatten. Nur halbherzig begannen sie deshalb mit der Anpassung. Zugleich arbeiteten sie daran, den politischen Kompromiss aufzuweichen. Als 2009 die schwarz-gelbe Koalition an die Macht kam, waren die Konzerne am Ziel. CDU, CSU und FDP rückten zwar nicht gänzlich vom Ausstieg ab, sie vereinbarten aber, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zwischen 8 und 14 Jahren zu verlängern.

Auf mindestens 50 Milliarden Euro zusätzliche Gewinne konnten RWE, Eon, EnBW und Vattenfall Europe durch die Verlängerung hoffen, rechneten Forscher am Freiburger Öko-Institut aus. Die Bundesregierung wollte zwar rund die Hälfte davon abschöpfen, um den Staatshaushalt zu entlasten und die erneuerbaren Energien zu fördern. Trotzdem freuten sich die Vorstände der Versorgungsunternehmen und versprachen den Verbrauchern, dass die Strompreise nun nicht so stark steigen müssten, wie vorher erwartet worden war. Der Druck, möglichst schnell ausreichend erneuerbare Energien bereitzustellen, ließ nach. Für viele Jahre sollten die Atomkraftwerke noch als Brücke ins Zeitalter der erneuerbaren Energien dienen. Dann kam das Erdbeben in Japan, die Flutwelle, die Kernschmelze und ein Sinneswandel bei Bundeskanzlerin Angela Merkel. Atomausstieg bis Ende 2022, heißt das neue Ziel. Als letzter Block wird Neckarwestheim 2 abgeschaltet. Bis zu 22 Milliarden Euro weniger Gewinne werde es durch den Ausstieg bis 2022 geben, sagten Experten der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) voraus. Die jetzt veröffentlichten Bilanzen für 2011 zeigen, dass die Gewinne schon im ersten Jahr einbrachen (siehe Beitrag links.

Investitionen in Milliardenhöhe

Bisher sind die großen Versorger noch damit beschäftigt, ihre ehrgeizigen Investitionsprogramme für konventionelle Kraftwerke abzuarbeiten. Ihre Ausgaben für erneuerbare Energien waren vergleichsweise gering. 2007 bündelte Eon die erneuerbaren Energien im Geschäftsbereich Climate & Renewables, um sie in industriellem Stil auszubauen. Innerhalb von fünf Jahren wurden sieben Milliarden Euro investiert, ungefähr so viel wie die gesamten Investitionen des Konzerns in einem Jahr.

Erst 2008 gründete RWE die Tochtergesellschaft Innogy, die sich um den Ausbau der Erneuerbaren kümmert. Rund eine Milliarde Euro hat sie bisher jedes Jahr dafür ausgegeben. Insgesamt investierte RWE 2011 rund sieben Milliarden Euro. Noch seien erneuerbare Energien bei den Stromerzeugungskapazitäten unterrepräsentiert, räumt RWE ein. Auf sie entfallen rund 2430 Megawatt Erzeugungskapazität oder knapp fünf Prozent. 2020 sollen bei RWE 20 Prozent des Stroms aus Erneuerbaren erzeugt werden.

Die EnBW will den Anteil der erneuerbaren Energien von derzeit rund elf Prozent bis zum Jahr 2020 auf 35 Prozent erhöhen und acht bis zehn Milliarden Euro in die Energiewende investieren. Der große Sprung entsteht vor allem durch neue Windanlagen, aber auch weil die Atomkraft ausläuft, die im vergangenen Jahr noch 48 Prozent der Eigenerzeugung ausmachte.

Investoren und Privatleute beschleunigen den Ausbau

Die Bundesregierung möchte erreichen, dass der Anteil erneuerbarer Energien bis 2020 auf 35 Prozent steigt und 2050 bei 80 Prozent liegt. Wenn das Ausbautempo so bleibt wie bisher, ist das nicht unrealistisch. 2001 steuerten die Erneuerbaren noch sieben Prozent zur Stromerzeugung bei. 2011 waren es schon 20 Prozent. Die Geschwindigkeit wird aber nicht mehr allein von den großen Energieversorgern bestimmt. Am Bau von Windparks auf dem Land beteiligen sich mittelständische Unternehmen und Bürgergemeinschaften. Hinter den teuren Windparks im Meer stehen zunehmend Finanzinvestoren und branchenfremde Unternehmen. Solaranlagen werden von Privatleuten auf ihren Dächern installiert. Landwirte satteln auf Bioenergieanlagen um. Die Kommunen, die heute rund zehn Prozent zur Stromerzeugung beitragen, wollen ihren Anteil bis zum Jahr 2020 verdoppeln und setzen dabei stark auf Erneuerbare. Mit dem Umbau verringert sich der Einfluss der großen Energiekonzerne.

Ihre Stromnetze haben sie auf Druck der EU-Kommission schon ausgegliedert und zum Teil verkauft. Die Chance, eine einheitliche deutsche Netz AG zu bilden, wurde in den vergangenen Jahren vertan. Der Eon-Konzern verkaufte sein Netz an die holländische Staatsgesellschaft Tennet. Die schlägt nun vor, eine gemeinsame Gesellschaft für den Anschluss der Windparks im Meer zu gründen, weil sie die dafür nötigen Milliardeninvestitionen allein nicht aufbringen kann.

Dabei ist die Anbindung der Meereswindparks nur eines der Netzprobleme. 4500 Kilometer neue Höchstspannungsleitungen müssten gebaut werden, um Windstrom aus dem Norden zu den Verbrauchern im Süden zu bringen und bis zu 400 000 Kilometer neue Leitungen in den Verteilnetzen, damit alle neuen dezentralen Windräder und Solarkraftwerke angeschlossen werden können. Zehn Milliarden Euro werden die zusätzlichen Transportnetze kosten und mindestens ebenso viel die weiteren Verteilnetze, schätzen Experten der Deutschen Energie-Agentur. Den größten Beitrag zur Energiewende könnten die Wohnungswirtschaft und die Hausbesitzer leisten, wenn sie ihre Gebäude besser dämmen und damit Energie sparen. Dafür gibt es eine Förderung von 1,5 Milliarden Euro für günstige Kredite. Über steuerliche Abschreibungen in der gleichen Höhe konnten sich Bund und Länder aber bisher noch nicht einigen.