In der Türkei herrschen sehr gute Bedingungen für die Produktion von Ökostrom. Davon will auch die EnBW profitieren. Zusammen mit dem türkischen Partner Borusan hat der Konzern jetzt einen Windpark im türkischen Balabanli eingeweiht.

Istanbul - Endlos führt die Autobahn an den Vororten der 15-Millionen-Einwohner-Stadt Istanbul vorbei gen Westen, bis das Marmarameer in Sicht kommt. Langsam nimmt die Zahl der Häuser ab, und immer häufiger hütet auf den Feldern ein Hirte seine Schafe, daneben harren dunkel vertrocknete Sonnenblumen der Ernte. Ein Storch fliegt aus den braunen Hügeln auf – und plötzlich sind sie zu sehen: Erst streifen nur einige rot-weiß gestreife Rotorspitzen hinter einer Kuppe über den blauen Himmel, dann werden es immer mehr. Bis schließlich die ganze Perlenkette des Windparks Balabanli zu sehen ist. Auf einer Strecke von zehn Kilometern reihen sich die 22 Windräder in der Nähe des Dörfchens Balabanli – ein Stückchen Baden-Württemberg mitten im europäischen Teil der Türkei.

 

Denn hinter dem Windpark, der Strom für 43 000 Haushalte liefern kann, steckt auch der Energieversorger EnBW. Gemeinsam mit dem türkischen Partner Borusan haben die Karlsruher das Projekt Balabanli realisiert – und am Donnerstag bei einem feierlichen Festakt in Istanbul symbolisch eingeweiht. Begleitet vom türkischen Energieminister Taner Yildiz, dem baden-württembergischen Wirtschaftsminister Nils Schmid, dem Chef des Partners Borusan, Agah Ugur, dem deutschen Botschafter in der Türkei und etlichen weiteren Repräsentanten legte EnBW-Chef Frank Mastiaux zudem den Schalter für fünf weitere Windkraftprojekte in der Türkei um.

Bis 2020 wollen die Deutschen über das gemeinsame Joint Venture mit Borusan drei Milliarden Euro in erneuerbare Energien diesseits und jenseits des Bosporus investieren. Für die EnBW sind die 22 Windturbinen in Balabanli – und die noch geplanten 67 weiteren Windräder an fünf weiteren Standorten – extrem wichtig. Wie alle großen deutschen Energieversorger der alten Schule ist das Karlsruher Unternehmen in den letzten Jahren in arge Bedrängnis geraten. Im Halbjahr hat der Konzern einen Verlust von fast einer Dreiviertel Milliarde Euro verbucht – Grund sind in erster Linie Abschreibungen auf konventionelle Kraftwerke. Der wachsende Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Stromerzeugungsmix lässt die Preise verfallen, sodass sich Gas- und Kohlekraftwerke nicht mehr rechnen.

Konventionelle Kraftwerke verlieren an Bedeutung

EnBW-Chef Frank Mastiaux rechnet es in der Türkei nüchtern vor: früher, in der alten Energiewelt, stammten 85 Prozent des EnBW-Ergebnisses aus den Bereichen Erzeugung und Handel. Den Rest teilten sich mehr oder weniger gleichmäßig der Vertrieb und die Netze. Für 2020 rechnet Mastiaux damit, dass fast 30 Prozent aus erneuerbaren Energien kommen, und etwas mehr als 40 Prozent aus den Netzen. Der Ergebnisbeitrag der Erzeugung in konventionellen Kraftwerken und des Handels wird laut EnBW-Planung auf ein Achtel schrumpfen. Damit sänke von 2012 bis 2020 die Bedeutung von Erzeugung und Handel um 80 Prozent, während sich die der erneuerbaren Energien verzweieinhalbfachen würde.

In Deutschland alleine – oder gar in Baden-Württemberg – lassen sich diese ambitionierten Ausbauziele für die Ökostromerzeugung aber gar nicht realisieren. Also hat die EnBW ein Auge gen Südosten geworfen. Denn in der Türkei sind Wind, Sonnenenergie, Wasserkraft und – teilweise – auch Erdwärme im Überfluss vorhanden. Das Potenzial dieser Energieformen ist hier im europäischen Vergleich gewaltig. Bei Wasser, Fotovoltaik und Erdwärme liegt die Türkei auf dem zweiten Platz, bei Windenergie sogar auf dem ersten. Zwischen 40 und mehr als 80 Gigawatt könnten in der Türkei Studien zufolge als Windkraftleistung installiert werden. 3,5 Gigawatt sind es bisher, 20 Gigawatt will die Türkei bis 2023 realisiert haben. Dieses Jahr hat eine besondere Bedeutung für das europäisch-asiatische Land, denn dann feiert es den 100. Jahrestag der Republikgründung.

In der Türkei sind Investitionen in erneuerbare Energien hoch willkommen: Denn der Energiehunger der prosperierenden Volkswirtschaft wächst enorm. Laut Thomas Selzer, dem Leiter der türkischen Niederlassung der staatlichen Exportbank KfW Ipex soll die Energienachfrage des Landes jährlich um durchschnittlich sieben Prozent zulegen. Zugleich verfügt die Türkei – ähnlich wie Deutschland – kaum über eigene fossile Energiequellen. Die vorhandene Braunkohle bezeichneten die Ingenieure des Borusan-EnBW-Joint-Ventures als „bessere Blumenerde“ berichtet der Leiter der türkischen EnBW-Tochter, Marcel Desai.

Bisher importiert die Türkei entsprechend mehr als die Hälfte der Rohstoffe für ihre Stromproduktion: Steinkohle und Erdgas. Letzteres macht die Türkei mehr als ihr lieb ist abhängig von Russland. Zudem sind die hohen Rohstoffimporte maßgeblich für das hohe Leistungsbilanzdefizit der Türkei verantwortlich. 2013 lagen die Importe mit rund 250 Milliarden Dollar fast 100 Milliarden Dollar über den Exporten. Entsprechend dringlich ist für die Regierung der Ausbau alternativer Erzeugungskapazitäten. Neben zwei geplanten Atomkraftwerken, sollen vor allem die Ökoenergien eine tragende Rolle übernehmen.

Auch die Türkei fördert erneuerbare Energien

Dazu hat die türkische Regierung die Energiebranche in den vergangenen Jahren weitgehend privatisiert und ein Fördersystem für erneuerbare Energien geschaffen, das feste Vergütungssätze garantiert. Die seien zwar niedriger als in Deutschland, aber als Garantie für die Banken sehr wichtig, sagt Mehmet Acarla, der Chef von Borusan EnBW Energji. Bisher lägen die Marktpreise aber über den Sätzen und damit rechne man weiterhin.

Die EnBW hatte schon unter Utz Claassen die Türkei als wichtigen Wachstumsmarkt ins Auge gefasst – über eine Absichtserklärung, mit dem dortigen Ciner-Konzern Geschäfte machen zu wollen, kam man 2007 allerdings nicht hinaus. Es folgte die Sondierung etlicher Konzerne, auf der Suche nach einem Partner, der EnBW „auf Augenhöhe“ begegne, so Mastiaux.

So wie Borusan. Das 1944 gegründete Familienunternehmen residiert in einer ehemaligen Villa direkt am Bosporus, die hochmodern saniert wurde. Bisher nur in den Bereichen Stahl, Automobilvertrieb und Logistik tätig, hatte die Gruppe gerade eine Energiesparte gegründet und tat sich gerne mit einem deutschen Partner zusammen. Ende 2009 wurde das Joint Venture Borusan EnBW Enerji ins Leben gerufen. Seither sind zwei Wasserkraftwerke und ein Windpark ans Netz gegangen. Die Anlagen in Balabanli sind das erste Projekt, das von Anfang an von beiden Partnern gemeinsam geplant wurde.

Kritische Fragen auf der Hauptversammlung

In Deutschland stößt das Engagement in der Türkei nicht nur auf Gegenliebe. Bei der letzten Hauptversammlung habe er sich, räumt Mastiaux ein, der Frage stellen müssen, ob „unser Investment im beschaulichen Baden-Württemberg nicht viel sicherer“ aufgehoben sei. „Ich habe mich damals klar für die Türkei als Investitionsland stark gemacht. Denn unser Joint Venture agiert in der Türkei in einem stabilen und verlässlichen Energiemarkt, und die türkische Politik verfolgt ihre kommunizierten Ausbauziele sehr ernsthaft.“ Energiegeschäft, sagt er, sei ein politisches Geschäft – und mit dem neuen Kabinett, das Ministerpräsident Ahmet Davutoglu kürzlich vorgestellt hat, beweise die Türkei Kontinuität.

Zudem ist die EnBW durchaus nicht der einzige westeuropäische Konzern mit Ambitionen in der Türkei. Auch Eon, RWE, Steag und EWE sind vor Ort – allerdings, so betont Mastiaux, konzentriere sich keiner auf erneuerbare Energien. Die EnBW hingegen will in gut zwei Jahren die Nummer eins auf dem türkischen Windmarkt sein, und sich auch nicht auf Wind- und Wasserkraft beschränken. Auch Fotovoltaikprojekte fassen die Partner ins Auge. Noch aber lässt sich der Staat Zeit mit der Lizenzvergabe dafür – offenbar will er warten, bis die Weltmarktpreise für die Anlagen noch weiter gesunken sind. Energieminister Taner Yildiz ermutigte Borusan und EnBW aber schon einmal, sich am weltgrößten Solarprojekt zu beteiligen, für das die Türkei gigantische drei Gigawatt Solarleistung in Zentralanatolien installieren lassen will. Bei Borusan EnBW Energji will man das prüfen.