Der politische Wind hat sich gedreht: Der Regionalverband Stuttgart sucht nach neuen Standorten für insgesamt 150 Windkraftanlagen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Ausnahmsweise ist es nicht die neue Landesregierung, die frischen Wind bringt: Es war Noch-Wirtschaftsminister Ernst Pfister (CDU), der im März einen Windatlas vorgestellt und die Regionen aufgefordert hatte, mehr Standorte für Windkraftanlagen auszuweisen. Tatsächlich hatte sich die alte Regierung das Ziel gesetzt, den Anteil der Windkraft an der Energieerzeugung bis 2020 zu verdoppeln - im Land stehen 370 Anlagen, 150 müssten neu gebaut werden. Seit Fukushima stehen auch die meisten Bürger hinter der Energiewende. Und die neue Regierung wird dem Projekt sicherlich weiteren Rückenwind verschaffen.

 

Fast über Nacht hat sich also die politische Ausgangslage vollständig verändert. Und so denkt nun auch der Verband Region Stuttgart (VRS) darüber nach, weitere Standorte für Windkraftanlagen auszuweisen - nächsten Mittwoch steht das Thema im Planungsausschuss auf der Tagesordnung. Bis jetzt ist die Windbilanz der Region wenig schmeichelhaft: Der VRS hat neun Gebiete mit zusammen 240 Hektar ausgewiesen, auf denen Windparks zugelassen sind. Die Fläche entspricht aber gerade 0,06 Prozent der Region. Seither sind dort 27 Anlagen mit zusammen rund 30 Megawatt Leistung errichtet worden. Zum Vergleich: das Atomkraftwerk Neckarwestheim II besitzt eine Leistung von 1400 Megawatt.

Viele neue Standorte möglich

Zwar sind einige Standorte noch nicht ganz belegt, aber sonderlich attraktiv scheinen die freien Plätze nicht zu sein. Michael Soukup von der in Leinfelden-Echterdingen ansässigen Firma Theolia Naturenergien, die deutschlandweit 462 Windkraftanlagen betreibt, sagt sogar ganz klar: "Diese Standorte taugen alle nichts."

Thomas Kiwitt, der technische Direktor des Regionalverbandes, wird nun am Mittwoch dem Ausschuss vorschlagen, einen erneuten Suchlauf zu starten. Die Basis dafür ist der Windatlas, der auch für die Region genau definiert, wo welche Windgeschwindigkeit erreicht wird. Als wirtschaftlich gilt eine Geschwindigkeit ab 5,5 Metern pro Sekunde in einer Höhe von 100 Metern; mittlerweile werden aber auch Windräder mit bis zu 140 Meter Nabenhöhe gebaut, was die Zahl der lukrativen Standorte deutlich erhöht. Jedenfalls sind im Schwäbischen Wald, im Schurwald und auf der Alb laut dem Windatlas grundsätzlich viele neue Standorte möglich.

Optische Belange spielen eine Rolle

In einer zweiten Runde, so Kiwitt, sollen aber dann alle Flächen wieder herausgefiltert werden, die trotzdem nicht infrage kommen. Zum Beispiel muss ein Mindestabstand zu Wohngebieten eingehalten werden; das sind derzeit 700 Meter. Es gilt, den Naturschutz zu berücksichtigen. Auch optische Belange spielen eine Rolle. So kommt eine Verspargelung des Albtraufs für den Verband nicht infrage. "Am Schluss wird eine deutlich kleinere Zahl von Standorten herauskommen als der Windatlas nahelegt", so Kiwitt. Parallel muss das Land die planerischen Vorgaben lockern. Am Schluss entscheidet das Regionalparlament, wo es weitere Anlagen zulässt.

Zumindest die neuerliche Prüfung trägt eine große Mehrheit des Parlaments mit, das zeichnet sich jetzt schon ab. Alfred Bachofer von den Freien Wählern erreicht die StZ-Anfrage während seines Urlaubs auf Fehmarn: "Seit 25 Jahren mache ich hier Urlaub, und wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich Hunderte von Windrädern - ich habe keinen generellen Vorbehalt gegen diese Anlagen", sagt er. Seiner Fraktion sei aber wichtig, dass die Kommunen eng einbezogen würden. Harald Raß, der Vorsitzende der SPD-Fraktion, fordert einen "deutlichen Ausbau" der Windenergie. Und die Grünen haben sogar konkrete Vorschläge gemacht: An acht Orten auf der Alb könnten 25 moderne Anlagen mit 75 Megawatt Leistung errichtet werden. Fraktionsvorsitzende Ingrid Grischtschenko erwartet einen Schub für die Windkraft: "Was Land und Region bisher gemacht haben, war reine Verhinderungsplanung."

Bis zum Bau kann es Jahre dauern

Allerdings hat man beim zuletzt genehmigten Windrad in Ingersheim gesehen, dass es vor Ort durchaus zu handfesten Konflikten mit den Anwohnern kommen kann, trotz des allgemeinen Wohlwollens für neue Energien. Vor allem aber ist zu befürchten, dass die Planung sich hinzieht und es Jahre dauert, bis tatsächlich gebaut werden kann. Kiwitt deutet deshalb an, dass es vielleicht möglich werden könne, schon jetzt außerhalb der erlaubten Gebiete Windräder zu bauen, allerdings ganz in der Nähe dieser Flächen. Der Direktor nennt einen Radius von 200 Metern außerhalb der Grenzen. Darüber müsste das Parlament aber jeweils im Rahmen eines "Zielabweichungsverfahrens" entscheiden.

Fakt ist, dass schon heute viele private Investoren, aber auch Kommunen, Stadtwerke und Landkreise in den Startlöchern stehen: "Wir bekommen ständig Anfragen", bestätigt Kiwitt. Auch die Theolia in Leinfelden-Echterdingen gehört zu den Interessenten. Seit Jahren bemüht sie sich, bis jetzt vergeblich, in ihrer Heimatregion Windräder zu betreiben. Seit zwei Jahren spüre man nun, dass sich die politische Großwetterlage drehe, sagt Michael Soukup - man sei deshalb wieder mit mehreren Gemeinden in der Region in konkreten Gesprächen: "Wenn man die Ziele bei den erneuerbaren Energien erreichen will, dann muss sich die Region aber sputen."