Am Mittwoch wird das neue Bosch-Forschungszentrum in Renningen im Beisein von Bundeskanzlerin Angela Merkel eröffnet. Wer arbeitet an dem neuen Bosch-Standort? Was machen die dort eigentlich? Der Hausherr Jürgen Kirschner erklärt es im StZ-Interview.

Reningen - Am Mittwoch eröffnet Bosch sein neues Forschungszentrum in Renningen. Jürgen Kirschner, Geschäftsleiter Zentralbereich Forschung und Vorausentwicklung, erläutert, warum der persönliche Kontakt zwischen Forschern so wichtig ist, und beschreibt aktuelle sowie künftige Projekte. In der Vorausentwicklung prüft Bosch, ob Ideen für künftige Produkte taugen.

 
Herr Kirschner, Bosch konzentriert die Vorausentwicklung am Standort Renningen. Welche Vorteile bringt das im Zeitalter von Internet und Videokonferenz?
Jürgen Kirschner Foto: factum/Weise
In der Vergangenheit waren die Forscher verteilt auf die Standorte Schwieberdingen, Waiblingen und die Schillerhöhe. E-Mail oder Videokonferenzen haben uns beim fachlichen Austausch zwar geholfen, aber sie können den persönlichen Kontakt und die Arbeit in einem Projektraum nicht völlig ersetzen.
In Renningen führen Sie Mitarbeiter zusammen, gleichzeitig reißen Sie sie aber aus einem anderen Verbund heraus.
Ja und nein. Wir fassen alle Abteilungen, die sich mit Zukunftsthemen beschäftigen, in Renningen zusammen. Uns ist bewusst, dass damit die Distanz in die Entwicklung der einzelnen Geschäftsbereiche etwas größer wird. Deshalb bilden wir Projektteams. Drei oder vier Mitarbeiter eines Teams haben künftig Schreibtische sowohl in Renningen als auch in der Entwicklungsabteilung des Bereiches. Sie sind dann vielleicht drei Tage pro Woche in Renningen, die anderen Tage transferieren sie das Wissen in ihre Geschäftsbereiche.
Können wir aus Ihren Worten schließen, dass einer dezentralen Entwicklung konzernweit Grenzen gesetzt sind?
Wir verfolgen zwei Wege. Zum einen versammeln wir viele Experten hier in Renningen. Zugleich möchten wir weltweit mit den besten Wissenschaftlern eines Fachgebietes zusammenarbeiten. Daher haben wir internationale Forschungszentren, unter anderem in Palo Alto im Silicon Valley, in Tokio, in Shanghai oder im indischen Bangalore. Unsere dort tätigen Kollegen kooperieren mit internationalen Hochschulen, Forschungsinstituten oder Start-ups. Dies hilft uns dabei, neue Trends in der Wissenschaft und damit verbunden die Bedürfnisse der Kunden in aller Welt rechtzeitig zu erkennen.
Haben Sie Verbindungen zu Instituten wie Fraunhofer und Max Planck?
Natürlich. Mit der Hochschule, mit den Max-Planck-Instituten und Fraunhofer haben wir einen idealen Standort. Eine enge Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft ist einer der Schlüssel für Innovationskraft. Daher kooperiert Bosch mit fast 250 Universitäten und Forschungseinrichtungen weltweit.
Und diese Institute haben Räume in Renningen angemietet?
Bisher haben sie keine Räume angemietet; aber vorstellbar wäre das. Erste Gespräche gab es bereits. Unsere Zusammenarbeit mit Hochschulen läuft derzeit etwa über Doktorandenprogramme.
Wie viele Mitarbeiter sind in Renningen und was passiert mit den anderen Standorten?
Die zentrale Forschung und Vorausentwicklung hat in Summe 1400 Mitarbeiter weltweit. Davon sind 1200 Forscher hier in Renningen. Zählt man Doktoranden und Masteranden noch dazu, kommt man auf 1700 Forscher. Leerstand an anderen Standorten gibt es dennoch nicht. Bosch hat in der Region Büroflächen angemietet. Von dort aus ziehen nun viele Kollegen in die bestehenden Bosch-Gebäude.
Gibt es auch Neueinstellung in Renningen?
Wir hatten kaum Fluktuation durch den Umzug. Aber wir besetzen pro Jahr etwa 130 Stellen nach. Das ist kein Aufbau, es hat vielmehr mit dem Erfolg der Projekte zu tun. Wenn eine Idee der Vorausentwicklung entwachsen ist, geben wir das Projekt in den Geschäftsbereich ab, wo der Prototyp zum fertigen Produkt wird. Viele Mitarbeiter folgen und transferieren so ihr Wissen in die anderen Bereiche. Und wir haben einen kontinuierlichen Austausch, weil immer wieder Mitarbeiter mit neuen Themen kommen.
Und das soll so bleiben?
Ja, das hat sich bewährt. Zugleich bauen wir unsere Entwicklungsaktivitäten vor allem im asiatischen Raum aus. Die Hochschulen in China holen im weltweiten Spitzenvergleich stark auf. Im Moment haben wir in Asien 70 Mitarbeiter der zentralen Forschung und Vorausentwicklung, diese Zahl wollen wir schrittweise verdoppeln.
Forschung muss sich wirtschaftlich rechtfertigen. Wie erbringen sie den Nachweis?
Am einfachsten geht dies, wenn eine Idee, die von uns aufgegriffen wird, als Produkt letztendlich am Markt erfolgreich ist.
Wie hoch ist Ihre Erfolgsquote? Wie viele Projekte gehen in die Industrialisierung?
Es beginnt bei der Idee, die einem Forscher vielleicht unter der Dusche oder durch Kontakte oder auf Tagungen kommt. Bevor wir tiefer einsteigen, unternehmen wir zunächst eine erste Einschätzung. Ist diese positiv, folgt eine Studie, die etwa ein halbes Jahr dauert. Danach bewerten wir, wie reif die Technik ist und ob sie gut zum Portfolio von Bosch passt. Wird beides mit Ja beantwortet, münden Idee und Studie in ein Projekt. Dieses läuft üblicherweise zwei bis drei Jahre. Daraus kommt der Prototyp, der in den Geschäftsbereich transferiert wird. Von den Ideen schaffen es vielleicht zwanzig Prozent zur Studie. Und ein Drittel bis ein Viertel der Studien schafft es zum Projekt.
Welches Projekt war erfolgreich?
Nehmen Sie unsere Aktivitäten rund um die Batterie. Hier haben unsere Forscher viele Voraussetzungen für neue Lithium-Ionen-Akkus erarbeitet. Zudem haben wir das US-Start-up Seeo übernommen, das hier eine führende Position einnimmt. Diese Aktivitäten ergänzen unsere Entwicklung im Joint Venture mit den japanischen Partnern GS Yuasa und Mitsubishi hervorragend.
Haben Sie alle anderen Technologien für die Zellentwicklung aufgegeben?
Es wäre fahrlässig, sich beim jetzigen Stand der Batterieforschung bereits festzulegen. Wir haben zwar eine Vorstellung, wie die Batterie der Zukunft aussehen soll, aber es liegen noch viele Arbeitsschritte vor uns. Wir schauen uns derzeit mehrere Technologien an, eine endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen.
Wie viele Linien verfolgen sie?
Drei bis vier Linien haben wir auf dem Batteriesektor im Auge.
Das sind?
Dabei handelt es sich um unterschiedliche Hochenergie-Materialkombinationen wie etwa Lithium-Schwefel.
Haben Sie einen Tipp?
Nein. Alle Kombinationen haben ihre Stärken und Steigerungsmöglichkeiten. Welche Materialien das größte Potenzial haben, lässt sich heute nicht endgültig sagen. Deshalb wollen wir uns im derzeitigen Stadium nicht festlegen. Der Erfolg einer Batterietechnologie hängt zudem stark von den künftigen Fertigungsprozessen ab, mit denen die Batterien hergestellt werden. Bevor eine Fabrik mitsamt aller Maschinen und Verfahren gebaut wird, muss feststehen, dass nicht plötzlich eine andere Fertigung nötig wird.
Wo steht Bosch im internationalen Vergleich? Die Asiaten gelten als führend?
Heute kommen die Batteriezellhersteller vor allem aus Asien – aus Japan, Korea und vermehrt treten chinesische Unternehmen auf dem Markt auf. Sie fertigen Batterien auf Basis konventioneller Technologien. Wir streben eine Festkörpertechnologie mit einer wesentlich höheren Energiedichte und einem besseren Ladeverhalten an.
Bremst die geringe Nachfrage nach Elektroautos die Entwicklung?
Bosch hat in solchen Dingen einen langen Atem und investiert in Summe – also nicht nur bei der Vorausentwicklung – 400 Millionen Euro pro Jahr in die Elektromobilität. Wir sind zügig unterwegs. Manche Materialhersteller würden bestimmt mehr Geld zu investieren, wenn die Nachfrage nach Elektroautos größer wäre. Der Erfolg der Elektromobilität hängt an der Batterie. Die heutigen Elektroautos haben je nach Fahrstil und Jahreszeit eine Reichweite von 100 bis 200 Kilometer. Hätte die Batterie die doppelte Energiedichte bei gleichem Bauraum, stiege die durchschnittliche Reichweite auf mehr als 300 Kilometern. Unser Ziel ist, die Batterie innerhalb von 15 Minuten zu gut drei Viertel aufzuladen. Auf der Fahrt von Stuttgart nach Hamburg trinken Sie dann an einer Raststätte etwa auf der Hälfte der Strecke eine Tasse Kaffee. In der Zwischenzeit lädt die Batterie, und Sie können danach bis Hamburg durchfahren.
Wie sieht Ihre preisliche Vorstellung für die Batterien aus?
Harte Preise kann ich nicht nennen, weil das stark von den Stückzahlen abhängt. Unsere Zielvorstellung im Vergleich zu heute ist es, die doppelte Energiedichte zum halben Preis zu ermöglichen.
Wie viele Projekte können Sie in der Vorausentwicklung überhaupt zeitgleich stemmen?
Ich schätze wir haben in Summe 160 Projekte in Arbeit. Darunter sind größere und kleinere, teilweise sind nur fünf oder sechs Mitarbeiter an einem Thema dran.
Welche Themen kommen nach dem Autonomen Fahren und der Elektromobilität?
Heute entstehen Materialien vereinfacht gesagt so: Jemand hat eine Idee und macht aus den Substanzen eine Schmelze. Wir möchten neue Werkstoffe und ihre jeweils gewünschten Eigenschaften mit Hilfe einer Simulations-Software berechnen, bevor wir den neuen Werkstoff im Labor tatsächlich herstellen. Dies würde bei der Entwicklung neuer Materialien einen deutlichen Schub bringen.
Wollen Sie Chemiker arbeitslos machen?
Im Gegenteil. Der Chemiker kann dank der Simulation Materialien zielgerichtet erforschen. Heute kombiniert er oft eine Legierung aus unterschiedlichen Materialien. Dabei weiß er aber nicht, ob er das Optimum gefunden hat, also ändert er das Mischungsverhältnis immer wieder. Mit einer Simulation hingegen lässt sich die richtige Mischung vorhersagen. So können wir Metalle, Legierungen oder Kunststoffe besser planen.
Ist das Utopie?
Wir arbeiten daran schon seit längerer Zeit. Die Kunst dabei ist es, das Verhalten von Atomen und deren Zusammenspiel in einem Bauteil vorherzusagen. Uns bremst noch die beschränkte Kapazität selbst schnellster Rechner für solche Simulationen.