Die soziale Ungleichheit im Land wächst. Vor allem Alleinerziehende und deren Kinder sind armutsgefährdet – das sagt der Armuts- und Reichtumsbericht. Darum fordert die Sozialministerin Katrin Altpeter für Alleinerziehende einen Zuschlag zum Kindergeld.

Stuttgart - Die baden-württembergische Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) fordert für Alleinerziehende einen Zuschlag zum Kindergeld. Das sei eine „unmittelbare Konsequenz“ aus dem ersten Armuts- und Reichtumsbericht für Baden-Württemberg, den Altpeter am Montag vorlegte. „Die Daten zeigen, dass Alleinerziehende und ihre Kinder besonders armutsgefährdet sind, und zwar mit zunehmender Tendenz“, sagte die Ministerin. Deshalb sei es „wünschenswert und geboten“, das Kindergeld für Alleinerziehende um 100 Euro für das erste Kind und 20 Euro für das zweite und alle weiteren Kinder zu erhöhen.

 

Die Ministerin will nun ausloten, „inwieweit eine Bundesratsinitiative erfolgreich ein könnte“, die das zum Ziel hat. Das Kindergeld ist eine Bundesangelegenheit. Auf Landesebene sei allerdings noch zu entscheiden wie die Mittel aus dem Betreuungsgeld eingesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Bundesleistung als nicht verfassungskonform eingestuft. Der Bund will den Ländern das Geld aber dennoch bereit stellen. Im Südwesten war bisher beabsichtigt, den Ausbau der Kleinkindbetreuung weiter voran zu bringen. Ein Teil des Geld, so Altpeter, könnte man aber auch zur Armutsbekämpfung einsetzen.

Ernüchternde Aussagen

Die Aussagen des Armuts- und Reichtumsberichtes sind ernüchternd. Die Einkommensungleichheit nimmt demnach auch in Baden-Württemberg zu. Seit Mitte der 1990er-Jahre wachse der Anteil der Vielverdiener am Gesamteinkommen. Die mittleren 50 Prozent der Einkommensbezieher subventionieren mit ihren Steuern und Sozialbeiträgen nicht nur die untersten 40 Prozent. Es finde auch Umverteilung an die obersten zehn Prozent statt. Das sind einige wesentliche Ergebnisse der wissenschaftlichen Analyse.

Sie macht deutlich, dass die bisher für den Bund oder andere Bundesländer gewonnenen Erkenntnisse auch für Baden-Württemberg zutreffen. So wird im Südwesten pro Kopf mehr verdient als im Bundesdurchschnitt. Doch gibt es erhebliche regionale Unterschiede. Das den Haushalten für Konsum oder zur Vermögensbildung übrig gebliebene verfügbare Einkommen betrug 2012 pro Kopf knapp 21 700 Euro (Bundesdurchschnitt: 20 500 Euro), doch lag die Spannbreite zwischen 18 600 Euro je Einwohner in Mannheim und 39 500 Euro in Heilbronn.

Einkünfte aus Vermögen sind dem Bericht zufolge zwischen 2002 und 2012 mit plus 50 Prozent deutlich stärker gewachsen als die Gehälter von Arbeitnehmern (plus 21,7 Prozent) oder die Einkommen von Selbstständigen (plus 16,9 Prozent).

Kinder als Wohlstandsbremse

Auch das weiß ist nicht neu: Kinder behindern materiellen Wohlstandsgewinn. Kinderlose Paare und andere Haushalte ohne Kinder nehmen die höchsten Wohlstandspositionen ein. Paarfamilien mit Kindern sind leicht über dem Durchschnitt, Alleinerziehende hingegen sehr deutlich darunter. Für sie alle gilt aber: mit der Anzahl der Kinder sinkt die Wohlstandsposition.

Als armutsgefährdet galten im Land 14,7 Prozent der Bevölkerung, das sind etwa 1,6 Millionen Menschen. Bundesweit galt dies für 15,2 Prozent.

Das Armutsrisiko ist auch zwischen den Altersklassen und den Bevölkerungsgruppen nicht gleich verteilt. 2012 wiesen im Südwesten die unter 18-Jährigen mit 17,9 Prozent und die 18- bis unter 25-Jährigen mit 22,6 Prozent die höchsten Armutsrisiken auf. Auch Menschen, die 65 Jahre und älter sind, sind mit 17,1 Prozent überdurchschnittlich armutsgefährdet; das gilt vor allem für Frauen.

Deutlich erhöht sei auch das Armutsrisiko für Migranten. Im Land, so die Wissenschaftler, sei 2012 etwa jede vierte Person mit Migrationshintergrund (24,1 Prozent) von Armut bedroht gewesen. Bei Menschen ohne Migrationshintergrund war der Wert mit 11,2 Prozent nicht einmal halb so hoch.

Unangenehm ist die Entwicklung: Zwischen 2007 und 2012 sei die Quote der Armutsgefährdung von 13 auf 14,7 Prozent angestiegen, beobachten die Wissenschaftler. Auch diese Entwicklung verlief nicht gleichmäßig, sondern war bei den 18- bis unter 25-Jährigen am dynamischsten.

Sozialer Zusammenhalt wackelt

Die Experten haben weiter herausgearbeitet, „dass sich die Aufstiegschancen von Menschen aus der untersten Einkommensgruppe sowohl in Deutschland als auch in Baden-Württemberg leicht verringert haben.“ Das heißt, wer einmal in der Armut angelangt ist, hat immer weniger Chancen, dort herauszukommen. Die Gefahr, dorthin zu kommen, wächst freilich: „Das Abstiegsrisiko hat für Haushalte mit niedrigem Einkommen zugenommen.“

Auch das ist ein Hinweise auf die wachsende Ungleichheit. In fast allen OECD-Ländern habe die Ungleichheit der Einkommensverteilung in den vergangenen zwei Jahrzehnten zugenommen, stellen die Experten fest. In Deutschland sei ihr Anstieg aber mit am stärksten. Sie geben auch einen Hinweis auf politisches Handeln: „Wohlhabende und demokratisch verfasste Länder mit höherer ökonomischer Ungleichheit weisen eher häufiger gesellschaftliche Probleme bei Bildung, Gesundheit, öffentlicher Sicherheit, sozialer Mobilität oder sozialem Zusammenhalt und Vertrauen auf als ökonomisch und politisch gleichermaßen strukturierte Länder mit geringerer ökonomischer Ungleichheit.“