„Die ökumenische Eiszeit ist vorbei“, freuten sich die Besucher beim ersten Kirchentag in Sindelfingen. Er reihte sich in die Feierlichkeiten zum 750-jährigen Stadtjubiläum.

Sindelfingen - Viel Aufbruch ist beim ersten ökumenischen Kirchentag in Sindelfingen zu spüren gewesen. „Die ökumenische Eiszeit ist endlich vorbei“, lobten die Besucher einhellig begeistert. Aus Anlass des 750-jährigen Stadtjubiläums hatten sich evangelische und katholische Christen, Methodisten und Baptisten zum allerersten Mal getroffen, um über Visionen für die Stadt zu sprechen.

 

Wie groß das Bedürfnis nach mehr Ökumene ist, zeigte sich bei nahezu jeder der zahlreichen Gesprächsrunden. „Wir wünschen uns eine Kirche, die nicht mehr nach evangelisch oder katholisch sortiert und in der Raum für jene ist, die zweifeln“, fasste Dirk Steinfort, Leiter des katholischen Bildungswerkes, das Gefühl vieler in Worte. Viele Sindelfinger hatten es vermisst, dass jahrelang beim Straßenfest kein ökumenischer Gottesdienst mehr angeboten worden war. Dieses Jahr war es dank eines personellen Wechsels wieder so weit.

Dabei stand die Ökumene selbst nicht im Mittelpunkt des Interesses. Unter dem Motto „Kirche findet Stadt“ beschäftigten sich die Vorträge und Gesprächsrunden eher mit der Frage, wie Kirche und Kommune das Zusammenleben gemeinsam gestalten. Anlass für den Kirchentag war schließlich das 750-jährige Bestehen Sindelfingens.

Viele Teilnehmer forderten in den Gesprächsrunden, die Kirchen sollten sich mehr ins politische Geschehen einmischen. „Wir haben hundert helfende Hände, aber keinen Zeigefinger“, formulierte es etwa der Stuttgarter Pfarrer Petrus Ceelen.

In der Gesprächsrunde des evangelischen Betriebsseelsorgers Hartmut Zweigle meldete sich eine alleinerziehende Mutter zu Wort, die sich eine Anlaufstelle für sich und ihren Sohn wünscht, ähnlich dem Eltern-Kind-Zentrum (Ekiz) in der Stuttgarter Innenstadt. Zweigle will sich um dieses Anliegen nun kümmern. In der von Dirk Steinfort und den beiden Pfarrerinnen Christina Henzler (evangelisch-methodistische Kirche) und Karen Schepke (evangelische Johannesgemeinde) moderierten Runde wünschten sich Großeltern genau das Gleiche: einen Ort, an dem sie sich über die Herausforderungen ihres Lebensabschnittes austauschen können.

Impulse kamen auf dem Kirchentag auch von Politikern. Unter anderem sprach der frühere Ministerpräsident Erwin Teufel darüber, was Glaube für ihn bedeutet – nämlich „tätige Nächstenliebe“. Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Wahl moderierte eines der Stadtgespräche. Er betonte, dass Politik und Kirche keine Konkurrenten sein müssten.

Wie viele kirchliche Gruppen überhaupt in Sindelfingen aktiv sind, zeigte sich am Samstag beim Gang über die Planie. Dicht an dicht reihten sich auf beiden Seiten der Straße die Informationsstände. Hier stellten sich unter anderem die Gemeinden vor, aber auch die Krankenhausseelsorge, die Betriebsseelsorge, kirchenpolitische Gruppierungen sowie das Team des experimentellen Gottesdienstes „Heilungsraum“. Allerdings füllte sich die Gasse nicht wie erhofft mit Bürgern – daran war ein Platzregen am Nachmittag schuld. Nur einzelne Flaneure suchten das Gespräch. Stattdessen lernten sich hier, wie Gertrud Bürkle vom Heilungsraum sagte, die Aktiven untereinander kennen.

Das gemeinsame Abendmahl wird auch hier vermisst

So machte sich auch die kleine Gemeinde türkischer Christen hier bekannt. Sie feiert in der Baptistenkirche Gottesdienste auf Türkisch. Fast alle Mitglieder seiner Gemeinde, sagt der Vereinsvorsitzende Sami Öncür, seien vom Islam zum Christentum konvertiert. Sie hätten meist jeglichen Kontakt zu ihrem früheren Umfeld verloren. Umso wichtiger sei es, Menschen zu haben, die wissen, was das bedeutet.

Unbestrittener Höhepunkt des Kirchentages ist der Vortrag von Petrus Ceelen über „Menschen im Schatten“ gewesen. Ceelen hat als Gefängnisseelsorger auf dem Hohenasperg gearbeitet und betreute in Stuttgart Aidskranke und HIV-Infizierte. Er beklagte unter anderem die Praxis der anonymen Bestattung von Menschen, die kein Geld haben. Für seine Klientel sei das mit das Schlimmste überhaupt: „Damit wird die Ausgrenzung über den Tod hinaus zementiert.“ Auch Ceelen wünschte sich mehr Ökumene: „Mir tut es weh, dass es nicht einmal bei einem solchen Kirchentag ein gemeinsames Abendmahl gibt.“