Dass auf den Schlachtfeldern Menschlichkeit nicht immer enden muss, zeigt eine Episode aus dem Ersten Weltkrieg: Englische und deutsche Soldaten verließen ihre Schützengräben, feierten miteinander und spielten Fußball.

Stuttgart - Mehr noch in Berlin als in London hatte man im August 1914 einen raschen Feldzug erwartet und das Motto ausgegeben: „Weihnachten sind wir wieder zu Hause.“ Doch es kam anders. Es wurde nichts aus dem Schlieffen-Plan, einem raschen Vorstoß über Flandern nach Paris. Die Deutschen bissen sich an den Engländern fest, die ihrerseits mit dem Vorhaben scheiterten, in den Norden Deutschlands vorzurücken. Nach einem Offensivversuch der Engländer am 17. Dezember erstarrten die Fronten endgültig.

 

Die Soldaten beider Seiten gewöhnten sich an, wie die Maulwürfe in Grabensystemen zu leben, die sich manchmal in Steinwurfweite gegenüberlagen. Das schlechte Wetter drückte auf die Stimmung, die Gräben liefen voll Wasser, und unter den Soldaten breitete sich Missmut aus. In manchen Einheiten begann man am Sinn dieses Kriegs zu zweifeln. Den Kommandeuren entging das nicht. So warnte Generalleutnant Balck: „Mit dem Stellungskrieg ist eine gewisse Eintönigkeit verbunden, die leicht zur Billigung eines Burgfriedens führen kann.“ Auch das britische Oberkommando forderte die Frontoffiziere auf, Verbrüderungen jedweder Art zu unterbinden.

Doch das traf nicht die Stimmung. „Wir wollten, dass endlich Schluss sein möge“, sagte ein englischer Veteran später. „Wir litten unter Läusen, Schlamm, Ratten, Kälte und Todesangst.“ Als absehbar war, dass der Krieg auch an Weihnachten andauern würde, gab es auf beiden Seiten „Liebesgaben“ für die Soldaten. Den Deutschen wurden kleine Weihnachtsbäume gebracht. An Heiligabend schallten deutsche Weihnachtslieder über das Schlachtfeld, worauf die Engländer mit eigenen Liedern antworteten.

Es fällt kein Schuss

Schließlich klettert ein Soldat einer hannoverschen Einheit aus dem Graben, geht mit einem brennenden Weihnachtsbäumchen auf die englischen Stellungen zu und stellt es dort ab. Es fällt kein Schuss. Am Baum ist ein Zettel befestigt mit dem Vorschlag, einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Dies ist der Beginn eines Ereignisses, das als „kleiner Frieden“ oder „Christmas truce“ in die Kriegsgeschichte eingehen wird.

Diese spontane Friedensbewegung erfasst die gesamte flandrische Front, insbesondere am hart umkämpften Yper-Bogen, weniger die französische und belgische. Franzosen und Belgier haben Hemmungen, sich mit den Besatzern ihres Landes zu verbrüdern, gleichwohl kommt es hier und da zu Begegnungen im Niemandsland. Der Hass, der in den Metropolen gepredigt wird, erreicht die Soldaten nicht mehr. Sie fühlen sich einem Geschehen ausgeliefert, dem sie keinen Sinn mehr abgewinnen können. Die Weihnachtsstimmung führt dazu, dass die Feinde sich befreunden. Dieser Friede von unten hält einige Tage an, an manchen Abschnitten sogar Wochen.

Als der britische Major Kenneth Henderson von den Verbrüderungen erfährt, eilt er nach vorne, und da stockt ihm der Atem: „Ich fand das gesamte Niemandsland besetzt von einer Menschenmenge, unseren Leuten und den Deutschen, alle in freundlicher Unterhaltung.“ Er meldet den Vorfall ins Hauptquartier. Feldmarschall Sir John French erlässt eine Urlaubssperre für alle fraternisierenden Offiziere und droht weitere Maßnahmen an. Ganz anders reagiert der Kommandeur eines sächsischen Infanterieregiments. Mit Blick auf das belebte Niemandsland befiehlt er, nicht zu schießen und jegliche Drohgebärden zu vermeiden. Er selber geht auf einen englischen Offizier zu: „Wir schüttelten uns die Hand und wünschten uns „Merry Christmas“. Später wird Generalstabschef Erich von Falkenhayn in einem Befehl androhen, wer Feindkontakte pflege, werde vor ein Kriegsgericht gestellt.

In Deutschland waren die Zensoren gründlich

Aber zunächst bewirken diese Befehle nichts. Die Soldaten tauschen Geschenke aus, schneiden sich gegenseitig die Haare, und als irgendwo ein Fußball auftaucht, kommt es zu dem wohl seltsamsten Fußballspiel der Geschichte, zwischen Deutschen und Schotten. Wer gewonnen hat, ist bis heute umstritten. Belegt sind diese Ereignisse durch Fotografien, die der britische Schütze Turner mit seiner Pocket Camera macht. Einige davon gelangen sogar in die britische Presse, die sich nicht an die Zensurbestimmungen hält und die Bilder veröffentlicht.

Das ist wohl mit ein Grund, weshalb die Erinnerung an den kleinen Frieden in England lebendig geblieben ist und in Deutschland kaum ins Bewusstsein drang. Der „Daily Sketch“ rühmte den Major Archibald Buchanan-Dunlop samt Foto als einen der Initiatoren des Weihnachtsfriedens. Geschadet hat ihm das nicht.

Im Deutschen Reich hingegen waren die Zensoren gründlich. Da gab es keine öffentlichen Beweise vom kleinen Frieden. Ohnehin waren die Preußen strenger – auch an der Front. Wo preußische Einheiten lagen, gab es keinerlei Anzeichen für einen Weihnachtsfrieden, um so mehr aber bei sächsischen und bayerischen Regimentern. Streng waren auch die Württemberger. Als an Weihnachten französische Offiziere rauchend und plaudernd hinter ihrer Stellung promenierten, ließ Oberleutnant Albrecht Ludwig Volz, von Beruf Förster, mit dem Maschinengewehr auf sie schießen. Damit hatte an diesem Frontabschnitt der Frieden ein jähes Ende gefunden.

Die „menschliche Episode“, wie der Sherlock-Holmes-Autor Conan Doyle den kleinen Weihnachtsfrieden von 1914 nannte, blieb eine einmalige Angelegenheit. Die Befehlshaber beider Seiten waren streng darauf bedacht, eine Wiederholung an Weihnachten 1915 zu verhindern. Und dennoch: als die Offiziere Pommeroy und Coburg, die sich von Weihnachten 1914 her kennen, ein Jahr später erfahren, dass sie einander gegenüberliegen, veranstalten sie ein Treffen zwischen den Gräben. Als Coburg zurückgeht, wird er von einem Engländer in den Rücken geschossen. Pommeroy ruft deutsche Sanitäter herbei, begleitet den Verwundeten in seine Stellung und entschuldigt sich bei ihm „für diese Feigheit“. Doch fortan wird es solche Szenen nicht mehr geben. Der Krieg wird härter und dauert noch Jahre. Viele Soldaten hatten ihn schon an Weihnachten 1914 für sinnlos gehalten. Damals kommentierte der „Daily Mirror“: „Der einfache Soldate hat keine Verbündeten.“