Julius Baßler ist im Jahr 1914 seinem Gewissen gefolgt und hat den Kriegsdienst verweigert. Da er damals als Kaufmann in Spanien arbeitete, konnte er seine Tat auf kuriose Weise sogar legalisieren.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Waren Deutsche und Franzosen wirklich Erzfeinde, war der Erste Weltkrieg wirklich unausweichlich? Für Julius Baßler aus Heslach war dies nicht so – während andere junge Männer im August 1914 in Kriegsbegeisterung schwelgten, kritisierte der damals 26-Jährige die deutsche und die französische Regierung. Er nahm es Kaiser und Kirche übel, dass sie das Christentum als Rechtfertigung für ihr kriegstreiberisches Tun heranzogen. Und über Frankreich schrieb Julius Baßler: „Das französische Volk will keinen Krieg; es sind nur die Regierenden, die ihre Völker ins Verderben stürzen.“

 

Da nimmt mit dem Heslacher Kaufmann Baßler ein Mensch Gestalt an, der sich eigene Gedanken machte und der den Mut hatte, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Sein heute 81-jähriger Neffe Siegfried Bassler, der lange für die SPD im Gemeinderat saß (und sich mit zwei ‚s’ schreibt), hat die spannende Lebensgeschichte des Onkels rekonstruiert. „Rund 500 Briefe habe ich von ihm aufbewahrt“, erzählt Bassler: „Als jetzt der Rummel um den Ersten Weltkrieg los ging, habe ich diese Briefe erstmals systematisch ausgewertet.“

Auch Julius Baßler ist schon sozialdemokratisch geprägt; sein Vater war Redakteur des „Wahren Jakob“ und wurde, weil er wegen der frechen Artikel oft im Gefängnis saß, „Sitzredakteur“ genannt. Julius Baßler wird zudem Kosmopolit. Er dient zwar zwei Jahre beim 10. Württembergischen Infanterie-Regiment, heuert dann aber bei einer Weinhandlung an, zunächst in Bordeaux, dann in Sète, dann in Tarragona. Er lernt französisch, englisch, spanisch. Als der Krieg ausbricht, schreibt er den Verwandten nach Heslach: „Wie ihr euch denken könnt, bin ich auch heute noch gegen den Krieg, das heißt, dass ich nicht die geringste Lust habe, an dem Gemetzel, das die ‚gottbegnadeten’ europäischen Herrscher anfangen wollen, teilzunehmen.“

Baßler begleitet einen französischen Kollegen zum Zug

Tatsächlich entschließt er sich, die Einberufung zu ignorieren: „Meiner Meinung nach ist es immer noch ehrenvoller, man folgt der Stimme des Gewissens, als dass einer die Waffe gegen irgend ein anderes Volk, das einem nichts getan hat, ergreift.“ Ein paar Tage später begleitet Julius Baßler einen eingezogenen französischen Kollegen von Tarragona nach Barcelona – so sieht gelebte Völkerverständigung aus.

Letztlich kommt Baßler in Spanien der Zufall zu Hilfe, sodass seine Verweigerung, am Krieg teilzunehmen, sogar legal wurde. Denn auf dem Landweg über Frankreich konnten deutsche Staatsangehörige nicht mehr ins Reich zurückkehren. Der Konsul in Barcelona wies deshalb die etwa 5000 Deutschen in Spanien an, mit italienischen Schiffen nach Genua und von dort aus nach Hause zu fahren – doch das erste Schiff wurde von den Engländern aufgebracht, alle Deutschen gingen in Gefangenschaft. Im Oktober 1914 erlaubte der Konsul deshalb allen Deutschen, weiterhin in Spanien zu arbeiten. In den letzten Kriegsjahren wurde Baßler auf Druck der Alliierten interniert. Er durfte Tarragona nicht verlassen und nicht mehr arbeiten. Sein Gehalt floss weiter.

Rund 100 000 deutsche Soldaten sind desertiert

Siegfried Bassler findet, dass sein Onkel zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Entscheidungen fällte. Das war auch später der Fall: Während des Spanischen Bürgerkriegs kehrte Julius Baßler nach Heslach zurück, die Zeit des Zweiten Weltkriegs verbrachte er wieder in Tarragona, wo er 1973 starb und auch beerdigt ist. In alle drei großen Kriege des 20. Jahrhunderts wäre er also involviert gewesen – aus allen hat er sich heraushalten können. Nach 1945 sei er öfter in Stuttgart zu Besuch gewesen, erinnert sich Siegfried Bassler: „Julius sprach ein altes unverfälschtes Schwäbisch, wie es bei uns vor dem Ersten Weltkrieg gängig war.“

Julius Baßler war übrigens kein Einzelfall – während des Ersten Weltkriegs verweigerten etwa 100 000 deutsche Männer den Kriegsdienst. Das war angesichts von 13,5 Millionen deutschen Soldaten keine Zahl, die zur Niederlage des Deutschen Reiches beigetragen hat, wie Nationalisten später behaupteten. Aber hinter jedem Deserteur steckte eine mutige Persönlichkeit. Viele seien erst während ihres Einsatzes untergetaucht, schreibt der Historiker Christoph Jahr, der über das Thema eine Monografie verfasst hat: Viele seien ins deutsche Hinterland geflohen, manche hätten sich vom Feind gefangen nehmen lassen, viele hätten versucht, ins Ausland zu gelangen. Angeklagt wurden im Deutschen Reich Tausende – es seien aber nur wenige Todesurteile vollstreckt worden, so Jahr.