Wegen der alliierten Blockade herrschte während des Ersten Weltkriegs in Deutschland Rohstoffknappheit. Um Bronze für Kanonen zu erhalten, wurden etwa 65 000 Kirchenglocken eingeschmolzen. Die Zuffenhäuser Glocken wurden Ende Juni 2017 abtransportiert.

Zuffenhausen - Vor 100 Jahren tobte der Erste Weltkrieg. Nicht nur an den Fronten, auch in der Heimat mussten die Menschen viel Leid ertragen. Durch die alliierte Blockade kam es im Deutschen Reich neben einer Hungersnot, an der Hunderttausende starben, auch zur Rohstoffknappheit. Außer Brennstoffen fehlten vor allem Metalle. Daher wurde 1916 die „Metallspende des deutschen Volkes“ ins Leben gerufen. Die Bevölkerung sollte Hausgerätschaften aus Kupfer, Messing, Bronze und Zinn abgeben. Gastwirtschaften und Privathaushalte hatten zinnernen Bierkrüge abzuliefern. Schließlich waren auch die Kirchen an der Reihe: Anfang 1917 wurden sie aufgerufen, ihre bronzenen Glocken abzuliefern. Etwa 65 000 Glocken wurden während des Ersten Weltkrieges im Deutschen Reich eingeschmolzen

 

In Zuffenhausen war es am 26. und 27. Juni 1917 soweit: Die Glocken der evangelischen Johanneskirche und der katholischen Sankt-Antonius Kirche wurden abgebaut, verladen und ins benachbarte Ludwigsburg transportiert. Das geschah nicht etwa bei Nacht und Nebel, ganz im Gegenteil: Am Sonntagabend, 24. Juni, gab es in der Johanneskirche einen Abschiedsgottesdienst mit Pfarrer Richard Lauxmann. Der Verlust des Geläuts, so führte Lauxmann aus, sei „schmerzlich“. Die Losung aber bleibe: „Alles fürs Vaterland!“. Dabei denke man auch an das Wort Jesu: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist!“ Auch Zeilen aus Friedrich Schillers Gedicht „Das Lied der Glocke“ zitierte Lauxmann – so ist es in der „Alltäglichen Rundschau“ jener Tage nachzulesen.

Sechs Glocken traten den Weg nach Ludwigsburg an

Insgesamt traten sechs Glocken aus Zuffenhausen den Weg nach Ludwigsburg an. Drei davon, zusammen 1200 Kilogramm schwer, stammten aus der Johanneskirche. Die kleine Glocke war 1881 von Heinrich Kurtz in Stuttgart gegossen worden, die mittlere 1809 bei Neubert in Ludwigsburg. Auch der ganze Stolz der Johanneskirche, die nach dem württembergischen Reformator benannte „Brenz-Glocke“, die 1899 in Heilbronn bei Kiesel gegossen worden war, musste deinstalliert werden. Immerhin durfte die evangelische Gemeinde das gesamte Geläut der Pauluskirche behalten. Dessen Ab- und ein eventueller Wiederaufbau wären wegen der Höhe des Turms viel zu schwierig und teuer geworden. Die Kosten mussten nämlich die Gemeinden tragen, die ihrerseits vom Staat eine Entschädigung erhielten. Von der katholischen Kirche Sankt Antonius wurde zwei von drei Glocken abgebaut, auch die kleine Glocke vom Dach des Rathauses wurde abtransportiert – als einzige nicht bunt geschmückt wie ihre fünf Schicksalsgenossinnen.

Was aus den Zuffenhäuser Glocken geworden ist und ob sie tatsächlich eingeschmolzen wurden, das weiß nicht einmal Winfried Schweikart. „Fest steht, dass keine davon zurückgekommen ist“, sagt der Heimathistoriker. Drei neue Glocken (aus Stahl) bekam die Johanneskirche an Heiligabend 1921, die Antoniuskirche erhielt zwei neue Glocken aus Klangstahl an Himmelfahrt 1922. Schweikart und dem Heimatgeschichtlichen Arbeitskreis ist es zu verdanken, dass man überhaupt auf das Thema aufmerksam wurde. Schweikart hatte im Internet eine Postkarte von 1917 ersteigert, auf der der Abtransport der Glocken abgebildet ist. In zeitgenössischen Zeitungen stieß er auf die Hintergründe. Danach wandte sich der Heimatgeschichtliche Arbeitskreis an die Kirchengemeinden und schlug vor, die Glocken am 25. Juni, dem Fleckenfestsonntag, zu läuten. Das wird auch geschehen: Nach dem Gottesdienst sollen sie ein Friedenszeichen setzen – im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen im Ersten Weltkrieg, die dem Kanonendonner gedient hatten.