Studierende sind immer jünger, vielen fehlen Grundlagen. Die Hochschule der Medien in Stuttgart hilft den Neuen mit Mathe-Vorkursen beim Einstieg. Aber es sind nicht nur die Minderjährigen, die am Dreisatz scheitern.

Stuttgart - Das früher so bejubelte schöne Studentenleben hat sich verändert. Mit der großen Freiheit ist es nicht mehr allzu weit her, seit das Bachelorstudium die Studierenden in ein enges Korsett zwingt. Dass sich das für viele zunehmend so anfühlt wie eine Verlängerung der Schulzeit, hat auch noch andere Gründe. „Die Studierenden haben heute vielfach so eine Art Versorgungsmentalität“, stellt Mathias Hinkelmann fest, Prorektor Lehre an der Hochschule der Medien (HdM). „Die Eigeninitiative fehlt, und auch die Bereitschaft, sich in ein Thema hineinzubeißen.“

 

Doch bevor sich die Erstsemester in neue Themen ihres Studienfachs hineinbeißen können, gilt es, die Wissenslücken aus der Schulzeit zu füllen. Es geht um Mathematik. Ein einwöchiger Mathe-Vorkurs soll die Neuen in die Lage versetzen, dem Studium der Medieninformatik oder der Audiovisuellen Medien gewachsen zu sein, wo es zum Beispiel auch um Computeranimation gehe. Mathewissen sei notwendig, um Daten komprimieren oder verschlüsseln zu können, sagt Hinkelmann.

Hinkelmann: „Lernen braucht Zeit“

„Ich beobachte, dass die Studierenden an ganz wesentlichen Grundlagen scheitern: fortgeschrittenem Bruchrechnen, Dreisatz, Potenzrechnen, Logarithmen.“ Vieles sei Stoff der Mittelstufe. Dort fehlten den Schülern offenbar die Übungsphasen. „Wer Lücken hat, holt diese kaum noch auf“, meint Hinkelmann. „Oft hängt’s am Elternhaus, ob geübt wird.“ Die Schnittstelle Schule-Hochschule müsse verbessert werden. Dies sei eine Frage der Didaktik, aber auch der Lernorganisation.

„Lernen braucht Zeit“, meint Hinkelmann. Nicht ohne Grund hat die HdM die Regelstudienzeit beim Bachelor vor einem Jahr von sechs auf sieben Semester erhöht. Anlass seien auch die zeitlich vergleichsweise umfangreichen Abschlussarbeiten in Kooperation mit Firmen gewesen. „Die Generation Praktikum ist für uns nicht das Thema“, sagt Hinkelmann. „Unsere Absolventen kommen gut unter – und zu sehr anständigen Gehältern.“

Zwei Projekte sollen dazu beitragen, dass die Studienbeginner dieses Ziel überhaupt erreichen und nicht vorzeitig das Handtuch werfen. Beide Projekte sind eine Reaktion der HdM darauf, dass dort die Studierenden mit zunehmend unterschiedlichen Voraussetzungen starten. Zum einen seien sie immer jünger – als Folge des achtjährigen Gymnasiums und der früheren Einschulung in die Grundschule. Zum anderen dürften sich inzwischen auch Handwerksmeister ohne Aufnahmeprüfung einschreiben – und müssten schauen, wie sie mit Term-Umformungen auf Abiturniveau zurechtkommen.

Die Studierenden sollen Lernprozesse stärker selber steuern

An der HdM werden zum Vorlesungsbeginn am 1. Oktober von den knapp 800 Neueinschreibern 80 älter als 27 Jahre sein, der älteste sogar 46. Und von den 14 minderjährigen Bewerbern werden es zu diesem Zeitpunkt noch vier sein: zwei 16- und zwei 17-Jährige. Diese dürfen sich übrigens seit einer Änderung des Hochschulgesetzes am 14. Juli allein einschreiben, für Prüfungen anmelden und auch exmatrikulieren – ohne Einwilligungserklärung ihrer Eltern.

Die unterschiedlichen Voraussetzungen der Erstsemester sollen zum einen durch das Projekt „MyCurriculum“ aufgegriffen und das mitgebrachte Knowhow an einen individuellen Studienplan angepasst werden. Für das Projekt des Qualitätspakts Lehre, eines Programmes des Bundes und der Länder, erhält die HdM 1,6 Millionen Euro. Es wurde im März gestartet.

Immer mehr minderjährige Studierende

Ein weiteres Projekt namens „Anak – anders ankommen“ startet im Oktober. Dabei sollen neue Veranstaltungsformen erprobt werden. Frontalvorlesungen sind in den ersten zwei Semestern tabu. Statt kontextloses Faktenwissen zu sammeln, sollen die Studierenden Lernprozesse stärker selber steuern, auch im Austausch mit ihren Kommilitonen und unterstützt von Tutoren. Dafür erhält die HdM vom Innovations- und Qualitätsfonds des Wissenschaftsministeriums 300 000 Euro.

Hinkelmann rechnet damit, dass die Zahl der minderjährigen Studierenden zunehmen wird, da die Einschulung fünfjähriger Kinder einfacher geworden sei. Dann werde sich das Thema verstärkt auch stellen, wenn es etwa um Exkursionen gehe und der Professor die Aufsichtspflicht habe. „Das bedeutet im Umkehrschluss, dass das Thema Exkursion im Grundstudium verschwinden wird“, so Hinkelmann. Bisher ist der Anteil der unter 18-jährigen Studierenden aber marginal. Laut Wissenschaftsministerium waren es im Jahr 2011 landesweit 212 – das sind 0,2 Prozent.