Erzbischof Luis Castro Quiroga leitet die Versöhnungskommission in Bogota. Bei der Stuttgarter Zeitung redet er über die Farc und den Friedensprozess in seiner Heimat – aber auch über die Terroristen des so genannten IS.

Stuttgart - Nach 51 Jahren des Krieges mit den Farc-Rebellen scheint in Kolumbien ein Frieden zum Greifen nahe – und eine Ende des letzten bewaffneten Großkonflikts in Südamerika. Bei einem Redaktionsbesuch der Stuttgarter Zeitung schilderte der Vorsitzende der Kolumbianischen Bischofskonferenz, Luis Castro Quiroga, der am Sonntag beim Zentralgottesdienst der Jahresaktion des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat in Stuttgart war, den Weg aus einer einst verfahrenen Lage.

 

Es sei lange der Glaube gewesen in Kolumbien, dass nur ein militärischer Sieg über die Farc den Krieg beenden könne. Zu einer Verhandlungslösung kam es erst nach dem Präsidentenwechsel von Alvaro Uribe zu Juan Manuel Santos 2010, es habe mit Geheimverhandlungen begonnen. Die Zivilgesellschaft sei kriegsmüde gewesen, sagt Ouiroga, der die nationale Versöhnungskommission leitet, die die Parteien bei den seit drei Jahren laufenden Verhandlungen in Havanna berät. „Große Teile des Territoriums und des gesellschaftlichen Lebens wurden von den Rebellen beherrscht. Die Leute trauten sich aus Angst vor Entführungen nicht auf die Straße.“ Inwieweit die Farc-Guerilleros gläubige Christen sind in ihrer „abgeschotteten Welt“, kann Ouiroga nicht sagen. Er weiß aber, dass zwei katholische Priester zeitweilig bei ihnen im Busch lebten und dass die Rebellen „die Kirche stets mit Respekt behandeln“. Aus diesem Verhältnis ist eine Art Mittlerstatus für den Klerus erwachsen. „Es war die besondere Rolle der Kirche gewesen, auf den Dialog zu setzen und nicht auf den bewaffneten Weg“, sagt der Bischof. Man sei nicht Verhandlungspartner, begleite aber den Friedensprozess in Havanna.

Sind die Rebellen gläubige Christen?

So ist der katholische Priester Dario Echeverri Gonzalez – „meine Rechte Hand“, sagt Quiroga – bei Gesprächen auf Kuba als Koordinator der Versöhnungskommission anwesend. Gemeinsam mit den UN hat die katholische Kirche die Reise von 60 Vertretern der Opfer nach Kuba organisiert, um dort Begegnungen mit den Vertretern der Farc und der Regierung zu ermöglichen. Allgemein wird die Zahl der Opfer in dem wegen Landkonflikten und sozialer Ungerechtigkeit entbrannten Rebellenkrieg auf 250 000 Tote beziffert.

Doch die Zahl der Vertriebenen geht in die Millionen, und Erzbischof Quiroga spricht von acht Millionen, die als Opfer des Krieges registriert sind – das wäre jeder fünfte der 48 Millionen Kolumbianer. Der Krieg mit der Farc – den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens – ist schon fast vorbei, da hat sich die zweite Rebellengruppe, die ELN (Nationale Befreiungsarmee) mit einem Brief an Quiroga gewandt, auch mit der Bitte um Mitwirkung, dass es zu Friedensgesprächen mit ihr komme.

Diskussion um eine mögliche Amnestie

Um der ELN zu antworten, musste der Bischof ein Plazet der Regierung einholen, denn immer noch sei es verboten, „mit der Subversion zu sprechen“. Rund 90 Prozent der Themen zum friedlichen Übergang seien in Havanna abgehakt worden, sagt Quiroga. Offen sei noch das künftige Kräfteverhältnis der Parteien in der noch zu gründenden Wahrheitskommission sowie das schwierige Thema der Gerechtigkeit bei schweren Rechtsverstößen wie Massakern, Folter, Entführungen. Soll hier eine Amnestie gelten? Erwogen werde, dass die Täter für diese „unverzeihbaren Verbrechen“, so Quiroga, im Rahmen einer Übergangsjustiz mit milden Haftstrafen von fünf bis acht Jahren „zahlen müssen“. Der Erzbischof befürwortet das. Der Täterkreis sei relativ klein. Eine Vertuschung oder ein Wegblicken, wie es einst nach der Diktatur in Argentinien geschah, führe später zu Verwerfungen. Dieser Tage hat die Regierung in Bogotá übrigens als Goodwill-Aktion 30 inhaftierte Rebellen der Farc entlassen, 850 sitzen noch hinter Gittern.

Als Perspektive nach einem Friedensschluss entwirft Quiroga das Bild eines Kolumbiens, in dem „Politik niemanden ausschließt“, wie das früher der Fall gewesen sei, als sich zwei Parteien ständig ablösten, „ohne andere teilhaben zu lassen“. Er wünscht sich eine Wirtschaft, die auf Solidarität achtet und dem Gemeinwohl verpflichtet ist und eine Eindämmung der im Krieg stark aufgeblühten Korruption. „Auch ist Barmherzigkeit wichtig. Wir sind nicht mehr sensibel für den Schmerz der anderen.“

Gefragt nach dem Terror des Islamischen Staates, der Europa verunsichert, weist der Erzbischof auf Parallelen hin. Die Situation sei insofern „ähnlich wie in Kolumbien“, als es auch dort jahrelang Konsens war, nicht mit den Terroristen zu sprechen, sondern sie zu besiegen. Der IS führe sowohl mit Waffen als auch im Internet Krieg. Nur wenn der IS um einen Dialog bitte, könnten Verhandlungen überhaupt erwogen werden, sagt Quiroga. „Aber eine Dialogbereitschaft ist nicht zu erkennen. Die fühlen sich als Herren der Welt.“ Langfristig könnten Entwicklungen in der arabischen Welt eine Wende bringen.