Polizei und Parkschützer schildern Vorkommnisse unterschiedlich. Beamte verlassen Klinik.

Stuttgart - Die Polizei stellt nach den gewaltsamen Ausschreitungen an der Baustelle des umstrittenen Milliardenprojekts Stuttgart 21 ihre Strategie auf den Prüfstand. Die Behörden setzen zwar auf Deeskalation, schließen aber im Notfall den erneuten Einsatz von Hiebwaffen, Reizgas und Wasserwerfern nicht aus, sagte Stuttgarts Polizeipräsident Thomas Züfle am Dienstag. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) rief die Gegner dazu auf, ihren Protest friedlich und zivil zum Ausdruck zu bringen. „Gewalt ist in jeglicher Form - egal, ob gegen Menschen oder Sachen - unmissverständlich zu verurteilen und wird von der Landesregierung nicht toleriert.“

 

Polizei: Neun Beamte am Montagabend verletzt

Bei der Erstürmung der Baustelle am Hauptbahnhof durch mehrere hundert Demonstranten waren nach Darstellung der Polizei am Montagabend neun Beamte verletzt worden. Ein Beamter in Zivil sei von mehreren Demonstranten massiv mit Schlägen und Fußtritten traktiert worden. „Wir haben um sein Leben gefürchtet.“ Es wird wegen versuchten Totschlags ermittelt. Zuletzt war es am „Schwarzen Donnerstag“ im September 2010 zu einer Eskalation mit vielen Verletzten gekommen. Damals waren auch Wasserwerfer im Einsatz.

Parkschützer von Herrmann: Polizei fantasiert, dramatisiert und kriminalisiert

Die Polizei nahm 15 Demonstranten fest. An der Baustelle entstand den Angaben zufolge Millionenschaden. Die „Parkschützer“ als Gegner des Projekts haben die Darstellung der Polizei zurückgewiesen. „Die Polizei fantasiert, dramatisiert und kriminalisiert, um einen Keil in den Widerstand zu treiben“, sagte der Sprecher der „Parkschützer“, Matthias von Herrmann.

Sprengkörper lässt die Stimmung kippen

Die Detonation eines selbst gebastelten Sprengkörpers habe die zunächst friedliche Stimmung zum Kippen gebracht, sagte Züfle. Danach seien die Bauzäune eingerissen worden.„Die latent aggressive Grundeinstellung ist in Gewalt umgeschlagen.“ Damit habe angesichts der zurückliegenden gewaltfreien „Montagsdemonstrationen“ niemand gerechnet, die Einsatzkräfte seien nach Auflösung der morgendlichen Sitzblockaden sogar reduziert worden. „Es traf uns völlig unerwartet“, sagte der Polizeipräsident.

Verkehrsminister Hermann ruft zu Besonnenheit auf

Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) rief erneut zur Besonnenheit auf. „Eine Stärke des Protests war, dass er konsequent gewaltfrei war“, sagte Hermann auf SWR1. Die Bahn habe mit dem Weiterbau allerdings auch Ratschläge missachtet, bis zum Stresstest im Juli keine weiteren Fakten zu schaffen. Aber auch die Fortsetzung der Bauarbeiten könne Gewalt nicht rechtfertigen, sagte der Minister. „Es ist erschreckend und nicht hinzunehmen, dass ein 42-jähriger Polizeibeamter von Störern zusammengeschlagen und erheblich verletzt wurde“, sagte Innenminister Reinhold Gall (SPD).

Die Opposition forderte die grün-rote Landesregierung auf, gegen Randalierer vorzugehen. „Ich erwarte von der Landesregierung, dass sie sich in aller Entschiedenheit vor die Polizisten stellt, die hier unter Einsatz ihrer Gesundheit ihren Dienst tun“, sagte der Generalsekretär der CDU Baden-Württemberg, Thomas Strobl.

BUND will einstweilige Anordnung gegen das Eisenbahn-Bundesamt

Unterdessen hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) beim Verwaltungsgericht Stuttgart eine einstweilige Anordnung gegen das Eisenbahn-Bundesamt beantragt. Mit diesem Schritt solle das Eisenbahn-Bundesamt verpflichtet werden, gegenüber der Deutschen Bahn anzuordnen, alle weiteren Baumaßnahmen am Projekt Stuttgart 21 mit sofortiger Wirkung zu untersagen, sagte BUND-Landesgeschäftsführer Berthold Frieß am Dienstag in Stuttgart. Ein Weiterbau sei erst mit einem neuen Planfeststellungsverfahren möglich, das das neue Grundwassermanagement berücksichtige.

Vier Polizisten bleiben dienstunfähig

Unterdessen sind die acht Polizisten, die am Montag bei der Erstürmung der Baustelle verletzt worden sind, aus dem Krankenhaus entlassen worden. Vier von ihnen blieben jedoch zunächst dienstunfähig, sagte ein Polizeisprecher am Dienstag. Die Beamten hätten durch die Detonation eines Sprengkörpers Knalltraumata erlitten. Zudem war ein Zivilpolizist den Angaben zufolge von mehreren Unbekannten mit Schlägen und Tritten an Gesicht und Kopf verletzt worden. Wann der Beamte wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden kann, konnte der Sprecher allerdings nicht sagen.