Ist „Political Correctness“ ein hehres Ansinnen oder ein Totschlagargument der neuen Rechten? Das Bemühen um Sprache ohne Diskriminierung schafft Missverständnisse. Tabus und Wortverdreher b egünstigen sogar Intoleranz.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Der Kampf um die Sprache lässt sich auch als Krimi erzählen. In dem Fall trägt der Krimi einen Titel, der in manchen Ohren wie ein Corpus delicti klingt. 1939 veröffentlichte die britische Schriftstellerin Agatha Christie ihren 26. Roman. Auf dem Buchdeckel zitierte sie einen damals noch populären Kindervers: „Ten Little Niggers“. So hieß auch das in Deutschland meistverbreitete Bilderbuch aller Zeiten: „Zehn kleine Negerlein“. Christies Serienmordgeschichte erschien hier noch im 21. Jahrhundert unter diesem Titel. In den Vereinigten Staaten musste sie jedoch von Anfang an anders heißen. Von „Niggers“ war in der amerikanischen Erstausgabe anno 1940 nicht die Rede. Den diskriminierungsfreien US-Titel übernahmen 1985 schließlich die Briten. Seit 2003 heißt das Buch auch bei uns: „Und dann gab‘s keines mehr“. Dem literarischen Erfolg tat diese Retusche keinen Abbruch: Der Kriminalroman mit dem inkriminierten Originaltitel steht auf Platz eins der Hitliste aller einschlägigen Bestseller.

 

Die Titelkorrektur mag als frühes Beispiel einer Sprachbereinigung gelten, die in den 1980er Jahren auflebte: „Political Correctness“. Das Wort selbst wurde schon im Jahre 1793 erstmals verwendet – zu einer Zeit, als Revolutionäre in Frankreich eine Art „Tugendterror“ praktizierten. Mit diesem Kampfbegriff sehen sich die Verfechter einer „Political Correctness“ heute wieder konfrontiert. Im ursprünglichen Sinn meinte „politisch korrekt“ nichts anderes als eine angemessene Ausdrucksweise.

Sprache spiegelt die Weltsicht derer, die sie im Munde führen

„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, hat der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein 1921 geschrieben. An seinem Lehrsatz orientierten sich Sprachkritiker, noch bevor „Political Correctness“ erfunden und zu einem Reizwort wurde – und das Kürzel PC zum provokanten Vorwurf. Sprache spiegelt nicht nur die Weltsicht derer, die sie im Munde führen. Worte lassen sich auch als Bausteine einer bestimmten Weltsicht missbrauchen. Diese Erkenntnisse leiteten den Philologen Victor Klemperer bei seinem enzyklopädischen Werk über die „Sprache des Dritten Reiches“, das 1947 erschien. Sprache sei „mehr als Blut“, lautete sein anstößiges Motto. Einem ähnlichen Zweck diente das von dem Politikwissenschaftler Dolf Sternberger 1957 veröffentlichte „Wörterbuch des Unmenschen“: ein Sammelsurium von Nazi-Begriffen, aufgereiht wie gedankliche Stolpersteine.

Dem gleichen Impuls folgten Studenten und liberale Intellektuelle, die sich schließlich für einen Sprachgebrauch stark machten, der diskriminierende Ausdrücke vermeidet. Ihr Anliegen war es, über einen sprachlichen Wandel einen Bewusstseinswandel zu erreichen. Wer „Afroamerikaner“ statt Neger sagt, meint damit einen anderen Status. Aus der Studentenbewegung erwuchs ein Aufbegehren gegen das Denken „toter weißer europäischer Männer“ – gegen ein Weltbild, dessen Zentrum der Westen war. Dies „political correct“ zu nennen, kam zunehmend bei Kritikern der selbsterklärten Sprachzivilisatoren in Mode. „Political Correctness“ wurde zum spöttischen Schlagwort, PC zu einem entlarvenden Etikett, womit ein zum Dogma erstarrter Hyperliberalismus gebrandmarkt werden sollte.

Doch was ist das eigentlich, politisch korrekt und das vermeintliche Streben nach „Political Correctness“? Dieter E. Zimmer, Autor der „Zeit“, nannte PC in einem 1993 verfassten Aufsatz die Marotte, „überall Rassismus und Sexismus zu wittern“. Eine solchermaßen motivierte Sprachkosmetik trage „inquisitorische Züge“. Sie erinnerte Zimmer im mildesten Fall an ein missionarisch gestimmtes Spießertum, im schlimmsten an Gesinnungstyrannei. Er prangerte das als „neue Tugenddiktatur“ an, nannte es „liberale Borniertheit“. „Der Liberale ist immer rücksichtsloser liberal“, so umschrieb der Schriftsteller Botho Strauß sein Unbehagen, ein intellektueller Vorbeter neokonservativer Zivilisationskritik.

Mehr Gegner als Anhänger

Damit ist die Frage aber noch nicht beantwortet, wogegen sich diese Anklagen konkret richten. Ein Manifest der politischen Korrektheit, in dem nachzulesen wäre, was ihre Kritiker auf die Palme treibt, wurde bisher nicht verfasst. „Einen Karl Marx der PC gibt es nicht“, schreibt der Publizist Josef Joffe, „wohl aber 13 Millionen Einträge bei Google.“ PC hat in Deutschland vermutlich mehr Gegner als Anhänger. Jene versammeln sich in Foren wie dem Blog „Politically Incorrect“, das täglich Zehntausende Besucher verzeichnet. Mit der Flut von Texten, die sich dort ergießt, wäre die inflationär wiederholte These widerlegt, wonach man nicht mehr sagen dürfe, was man denkt. Die Betreiber nennen das angebliche Bestreben, die Sprache im Sinne von PC zu regulieren, ein „Machtinstrument linker Faschisten“. Wer den Euro oder den Klimawandel in Frage stelle, Flüchtlinge oder den Islam kritisiere, gegen eine „gefährliche Perversion der Toleranz“ oder eine „absurd überzogene Sozialstaatlichkeit“ zu Felde ziehe, mache sich unmöglich. PC sei „vorauseilende Selbstzensur geistiger Sklaven“, schreiben Leute, die sich durch angebliche Sprachtabus schikaniert fühlen. Der sozialdemokratische Provokateur Thilo Sarrazin hat eigens ein Buch über den „neuen Tugendterror“ verfasst. Der Philosoph Peter Sloterdijk beklagt: „Wir haben uns unter dem Deckmantel der Redefreiheit ein System der Unterwürfigkeit, der organisierten sprachlichen und gedanklichen Feigheit eingerichtet.“

PC ist keine geschlossene Theorie, aber auch keine bloße Erfindung. Beispiele für die angeprangerte „Sprachhygiene“ finden sich zuhauf: ob es nun um vermeintlich rassistisches Schleckwerk wie die längst umbenannten „Mohrenköpfe“ geht oder um Pippi Langstrumpfs „Negerkönig“, der nicht mehr so heißen darf, um die zu „Geflüchteten“ mutierten Flüchtlinge oder die in „Studierende“ umgemodelten Studenten – allesamt Modifikationen in bester Absicht. Was damit bezweckt wird? Die Organisation „Pro Asyl“ verteidigt die migrationspolitische Sprachkosmetik mit Hilfe der Grammatik: „Ein Geflüchtete*r hat im Unterschied zum Flüchtling den Vorzug, dass die Ableitung vom Partizip Perfekt ein potenzielles Ende der Flucht schon integriert.“

Worte werden zu politischen Ansichten

Das ist zu Sprache geronnene Ideologie. Worte (oder deren verunstaltete Ruinen) werden zu politischen Absichten. Davon kündet auch der Stern im „Geflüchteten“. Er verweist auf ein besonders heikles Terrain der „Political Correctness“: die „geschlechtergerechte Sprache“. In deren Vokabular ist der Stern der Kontrapunkt eines Makels, den auf Emanzipation bedachte Linguisten das „generische Maskulinum“ nennen – eine grammatikalische Form, in der angeblich die Männerdominanz in unserer Kultur zum Ausdruck kommt. Die Regulierungswut auf diesem Feld füllt inzwischen ganze Bibliotheken. Und weil ein Stern nicht ausreicht, um Gendergerechtigkeit herzustellen, benutzt die neue Berliner Landesregierung, die sich offenbar einer fortgeschrittenen politischen Korrektheit verschrieben hat, einen noch auffälligeren Code: LSBTTIQ* heißt es in ihrem Koalitionsvertrag immer dann, wenn beabsichtigt ist, auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt zu verweisen. Die Lettern stehen für lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, intersexuell und queer. PC-Kritiker sehen in dieser Nomenklatur ein Beleg dafür, wie Randprobleme überzeichnet, wirkliche Missstände aber verschwiegen oder zumindest verschleiert würden: Der Hauptstadtflughafen ist weiterhin nicht zu benutzen, Transgendertoiletten sind es freilich schon.

Das gut Gemeinte kann schnell in sein Gegenteil umschlagen. Wer in diesem Zusammenhang von politischer Korrektheit spricht, will das vermeintlich Korrekte als das wahrhaft Falsche entlarven. Die Sprachkritik, zunächst ein liberales, antiautoritäres Anliegen, wanderte von links nach rechts. Nicht zufällig gilt der neue US-Präsident Donald Trump vielen als Schutzpatron gegen die Zumutungen einer übersteigerten „Political Correctness“. Wenn er pöbelt, Frauen verhöhnt, Minderheiten verspottet oder von seinen „alternativen Fakten“ erzählt, so feiern seine Anhänger das als Revolte gegen die Deutungshoheit der verhassten liberalen Eliten.

In der Missachtung von Korrektheit offenbart sich eine eigentümliche Verlogenheit. Trump schimpft über „Fake News“, produziert aber in einem fort selbst welche. Bei ihrer Kritik liberaler Sprachkolonisation bedienen sich die neuen Rechten linker Argumentationsmuster, worauf ausgerechnet die „taz“ verweist: Sie zitiert den Revoluzzer Rudi Dutschke mit Phrasen von einem „System“, was die Wahrheit verschweige, von Medien, die sich mit „Pseudofragen“ aufhielten und eine „Manipulationsshow“ betrieben. „Wer beim Zuhören die Augen schließt, erkennt viele Parolen wieder, die heute die rechten Provokateure im Munde führen“, schreibt auch der „Spiegel“-Kolumnist Jan Fleischhauer. Und die „taz“ bekennt: „So wie Dutschke damals redete, reden heute Pegida-Prediger.“

Totschlagargumente für rechte Kritiker

Korrekt sein zu wollen, bedeutet nicht automatisch, richtig zu liegen – zumindest, wenn es am Ende immer noch um Verständigung und nicht um Verunklarung gehen soll. Eine Sprache, die den PC-Prinzipien genügt, dient nicht unbedingt den Grundsätzen der Kommunikation. LSBTTIQ* ist nur ein besonders augenfälliges Beispiel einer durch politische Korrektur erreichten Verschwurbelung. Es geht auch eine Nummer kleiner. So ist ein „Geflüchteter“ eben tatsächlich etwas anderes als ein Flüchtling, und ein Säugling nicht dasselbe wie ein „Gesäugter“ ist. Sprachkosmetik wird da zur schlichten Sprachmanipulation. Ob es der Emanzipation dient, wenn Radfahrer in der Straßenverkehrsordnung jetzt „Radfahrende“ heißen und Gehwege gendergerecht „Bürger*innensteige“ genannt werden sollten, darf bezweifelt werden. Auf diese Weise wird der vermeintliche Fortschritt zur Farce.

Wortverdreher im Geiste einer übertriebenen „Political Correctness“ liefern rechten Kritikern Totschlagargumente gegen einen sensiblen Sprachgebrauch. Wo die Liberalisierung selbst illiberale Züge annimmt, kann sich die Gegenaufklärung das Kostüm der Aufklärung überstülpen und im Namen der Meinungsfreiheit Propaganda betreiben. Wer erfahren will, was das bedeutet, muss einen Ausflug in die virtuelle Welt unternehmen, die als „politically incorrect“ ausgeschildert ist. Dort ist die französische Nationalistin Marine Le Pen regelmäßig zu Gast. Die Identitäre Bewegung mit ihren kulturrassistischen Konzepten hat Platz für Reklame. Man beklagt, unter dem „subtilen Diktat der politischen Korrektheit“ würden die Bürger „nur völlig unzureichend oder sogar verfälschend“ informiert. Da führen sich die Fürsprecher der Intoleranz auf wie Wegbereiter der Toleranz.