J unge Berufstätige wollen weniger arbeiten, Eltern die Kindererziehung gerecht aufteilen. Wir brauchen neue Arbeitszeitmodelle wie die 32-Stunden-Woche. Wir brauchen eine neue Dramaturgie der Biografie.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - Gebt den Leuten mehr Schlaf, und sie werden wacher sein, wenn sie wach sind“, schrieb Kurt Tucholsky. Als ob das so einfach wäre in unserer auf Effizienz getrimmten Gegenwart, in der nichts wichtiger scheint, als die ständige Selbstoptimierung: wir sollen noch mehr noch schneller und besser machen. Das hat Folgen: Vier von fünf Berufstätigen schlafen sehr schlecht, ergab eine aktuelle Befragung der Deutschen Angestellten Krankenkasse bei 3500 ihrer berufstätigen Versicherten. Als Grund nannten die Befragten Termin- und Leistungsdruck im Beruf sowie ständige Erreichbarkeit. Die Arbeit raubt vielen die Lebensqualität. Immer mehr Menschen leiden unter Krankheiten wie Burn-out und anderen psychosomatischen Störungen.

 

Im Auftrag der Körber-Stiftung hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa vergangenes Jahr im Oktober 1701 zufällig ausgewählte Bundesbürger zwischen 18 und 65 Jahren zu ihren Vorstellungen von Arbeit und Rente befragt. 56 Prozent sagten, sie seien häufig gestresst, besonders Frauen in der Lebensmitte. Alle wünschten sich mehr Zeit. Im Schnitt wollten alle Teilnehmer etwa sechs Stunden pro Woche weniger arbeiten. Das klassische Modell, bei dem der Mann Vollzeit arbeitet und die Frau sich um die Kinder kümmert, wollten nur noch vier Prozent der Befragten.

Stress in der Rush Hour des Lebens

Ähnliche Ergebnisse haben andere Studien und Befragungen der vergangenen Jahre hervor gebracht. Besonders Berufseinsteiger geben an, weniger und nicht in herkömmlicher Vollzeit arbeiten zu wollen. Obwohl die meisten von ihnen noch keine Kinder oder pflegebedürftigen Eltern haben, wünschen sich diese nach 1980 Geborenen – die Generation Y und Generation Z – mehr Zeit für Freunde und ihre Hobbys, eine bessere Work-Life-Balance.

Gerade in der oft genannten Rush Hour des Lebens bewältigen die Menschen Kindererziehung und Karriere gleichzeitig, bauen ein Haus, kümmern sich um pflegebedürftige Angehörige. Bei jungen Eltern haben Forscher in den vergangenen Jahren eine Retraditionalisierung der Beziehungen beobachtet. Sobald Kinder da sind, arbeitet der Mann Vollzeit, die Frau kümmert sich hauptsächlich um den Nachwuchs. Die partnerschaftliche Teilung aller Aufgaben wird laut der Forsa-Umfrage zurzeit nur von vier aus 100 Familien gelebt. In 59 Prozent arbeitet die Frau weniger und kümmert sich mehr um Kinder und Haushalt. In 13 Prozent der Familien steigt sie sogar ganz aus ihrem Job aus.

Grund dafür ist auch der deutsche Sozialstaat mit dem Ehegattensplitting oder der beitragsfreien Mitversicherung in der Krankenkasse für die nicht berufstätige Ehefrau. Er macht es verheirateten Eltern schwer, andere Wege als die der traditionellen Rollenverteilung zu gehen. Zumal die Frau oft schon vor einer Schwangerschaft diejenige ist, die weniger verdient. Der geschlechtsspezifische Entgeltunterschied beträgt laut Statistischem Bundesamt in Deutschland aktuell 21 Prozent. Da liegt es nahe, dass die Frau, wenn ein Kind da ist, länger in Elternzeit geht, weniger arbeitet, um finanzielle Verluste für die Familie zu vermeiden.

Die Idee der 32-Stunden-Woche

In diesem Frühjahr hat auch der zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung wieder gezeigt: Frauen haben in Deutschland noch lange nicht die gleichen beruflichen Chancen wie Männer. Täglich leisteten sie laut dem Bericht 52 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer, für Haushalt, Kinder, Pflege – und hätten dadurch beruflich und finanziell Nachteile. Wenn Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen möchten, sei das nur schwer umzusetzen. Viele Betriebe würden ihre Angebote von Teilzeit oder flexibler Arbeitszeit oft so gestalten, dass sie sich in erster Linie an Mütter richten.

Die langfristigen Konsequenzen aus all diesen Problemen lassen sich schon jetzt absehen: Frauen droht häufiger Armut im Alter, immer mehr Berufstätige fallen aufgrund von Überlastungssyndromen gerade in der Lebensmitte länger aus und für Jobs mit Führungsverantwortung finden sich immer noch zu wenige Frauen.

Wie kann, wie soll es also weitergehen? In der Arbeitswelt junger Eltern hat sich in den vergangenen Jahren einiges verändert. Mittlerweile profitieren immerhin ordentlich verdienende Eltern vom Elterngeld, auch wenn dieses selbst seit einiger Zeit heftig umstritten ist. Die Maßnahme bezuschusst schließlich vor allem jene Eltern, die ohnehin finanziell besser gestellt sind. Und die limitierten Betreuungsangebote für den Nachwuchs ermöglichen es längst nicht allen jungen Eltern, die Arbeits- und Familienzeit gerecht aufzuteilen.

Viele Unternehmen erkennen zwar zunehmend die Vorteile von mobilem Arbeiten und mehr Flexibilität. Sie merken, die Präsenzkultur hemmt die Kreativität und die Motivation eher. Doch diese langsamen Veränderungen in der Arbeitskultur reichen noch lange nicht, um allen gleichberechtigt eine Balance zwischen Arbeiten und Freizeit, Familie, Ehrenamt und Weiterbildung zu ermöglichen.

Wir arbeiten uns kaputt

Die von der Familienministerin Manuela Schwesig vorgestellte Idee einer „Familienarbeitszeit“ sähe vor, dass der Staat junge Familien bis zu drei Jahre finanziell unterstützt, wenn beide Elternteile wegen der Betreuung kleiner Kinder auf 80 Prozent reduzieren. Genau jene 80 Prozent, also in etwa 32 Stunden pro Woche, propagiert Jutta Allmendinger schon seit einigen Jahren – und zwar nicht nur für Eltern. Die Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums in Berlin glaubt, unserer Gesellschaft würde es besser gehen, wenn wir alle über die Lebensarbeitszeit gesehen im Schnitt nur 32 Stunden pro Woche arbeiteten. „Unsere Lebenserwartung ist gestiegen, auch die Zeitspanne, in der wir fit und gesund leben und arbeiten können, hat sich verlängert“, sagt Allmendinger. „Unser bisheriger Arbeitsverlauf stammt noch weit aus dem vergangenen Jahrhundert.“ Heute hetzen wir uns in der Lebensmitte ab, arbeiten uns kaputt, ehe uns dann noch Jahrzehnte im Ruhestand erwarten.

In manchen Lebensphasen kommt viel zusammen, etwa die Erziehung der Kinder und die Pflege der Eltern. Jutta Allmendinger glaubt, es wäre gut, wenn wir dann die Möglichkeit hätten, beruflich kürzer zu treten. Einige Jahre später könnten wir das wieder ausgleichen und dafür mehr arbeiten, eventuell auch noch im Alter. Den Vorstoß der Arbeitsministerin Andrea Nahles, ein Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit gesetzlich zu verankern, hält Jutta Allmendinger für unbedingt notwendig. Auch natürlich, um Männern deutlich zu machen, einmal Teilzeit bedeutet nicht immer Teilzeit und vor allem nicht das Ende der eigenen beruflichen Weiterentwicklung.

Die Teilzeit-Falle

Mehrere Studien zeigen, dass Teilzeitkräfte häufig sogar effektiver arbeiten als Vollzeitbeschäftigte – sie haben weniger Stunden am Arbeitsplatz und nutzen diese größtenteils sinnvoller, sind ambitionierter, machen weniger Pausen, sind dankbarer für die freie Zeit, die ihnen bleibt und fühlen sich ausgeglichener. Trotzdem haben sie innerhalb der Unternehmen einen schlechten Stand. Sie sind weniger angesehen und weniger ernst genommen, wie eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung vom August 2016 zeigt. Doch viel schlimmer noch: Wer in Teilzeit arbeitet, hat langfristig ein Problem. Die Wissenschaft spricht dabei von sogenannten Vernarbungseffekten. Wer nicht in Vollzeit arbeitet, kommt über eine bestimmte Hierarchiestufe bisher nicht hinaus, das Einkommen bleibt dauerhaft niedriger. Auch das ist damit eine indirekte und doppelte Diskriminierung von Frauen, die in vielen Fällen zum einen weniger verdienen und zum anderen weniger Aufstiegsmöglichkeiten haben.

In der Forsa-Umfrage vom vergangenen Oktober gab nur jeder dritte befragte Arbeitnehmer an, beobachtet zu haben, dass Teilzeitkräfte in seiner Firma auch Führungsaufgaben übernehmen. Die Arbeitszeit zu reduzieren, kommt oft einer beruflichen Sackgasse gleich. Und so lange kaum jemand ein gutes Modell dazu vorleben kann, um wiederum anderen ein Vorbild zu sein, bleibt die Hürde weiterhin groß. Die Mehrheit der Befragten bedauert das und findet, Teilzeitkräfte sollten in Unternehmen auch die Aufgaben eines Chefs übernehmen können. Nur die männlichen Erwerbstätigen sehen das mehrheitlich skeptisch.

Die Soziologin Jutta Allmendinger betont, dass sich aus der Reduzierung auf 32 Stunden pro Woche im Schnitt kein geringeres Arbeitsvolumen ergäbe, da die meisten Frauen dann mehr arbeiten würden, als sie es derzeit tun. „Die Produktivität von Frauen wird bisher nicht ausreichend ausgeschöpft, sie arbeiten zu wenig oder in den falschen Tätigkeiten“, sagt Allmendinger. Den Schlüssel für die Lösung dieser Probleme sieht sie auch darin, Frauen in Teilzeit Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten. Außerdem müssten wir, so Allmendinger, über eine bessere Bezahlung für klassische Frauenberufe sprechen sowie über die Geringverdienenden. Hier gibt es gegenläufige Entwicklungen: Kassiererinnen bei Discountermärkten etwa würden sich zum Teil wünschen, mehr zu arbeiten, um überhaupt über die Runden zu kommen. Damit es keine Probleme mit krankheitsbedingten Engpässen im Service gibt, werden in diesem Sektor die meisten Angestellten aber offenbar bewusst nur in Teilzeit beschäftigt. Frei entscheiden können dadurch auch sie nicht. Daher glaubt Jutta Allmendinger: „Wie das Recht auf Mindestlohn, sollten wir ein Recht auf eine Mindestarbeitszeit haben.“

Junge Arbeitnehmer stellen Forderungen

Erfahrungen mit fortschrittlichen Arbeitszeitmodellen gibt es mittlerweile viele: in modern orientierten Betrieben, die mit dem 32-Stunden-Ansatz experimentieren, oder durch verschiedene Kurzzeitmodelle sowie im Ausland. „Schweden hat die Vier-Tage-Woche eingeführt, auch Sabbaticals sind dort gängiger“, sagt Jutta Allmendinger. Alternative Lebensläufe sind in anderen Ländern schon viel stärker in der breiteren Bevölkerung angekommen. Auch Unternehmen in Baden-Württemberg, wie etwa der Maschinenbauer Trumpf, versuchen sich an alternativen Arbeitszeitregelungen. Bei Trumpf können die Mitarbeiter über die Länge ihrer wöchentlichen Arbeitszeit individuell entscheiden und diese für einen überschaubaren Zeitraum selbst festlegen. Auch Zeiten der Freistellung von der Arbeit sind möglich.

Gerade die jungen Arbeitnehmer und Berufsanfänger fordern solche alternativen Modelle vehement ein. Sie könnten wirklich etwas zum Wandel beitragen, sind in vielen Branchen gefragt und gesucht. Die Angehörigen der Generation Y und Z sind in einer viel besseren Verhandlungsposition, als ihre Väter und Mütter es waren. Und für sie spielen das Betriebsklima, die gute Zusammenarbeit der Kollegen, das soziale Engagement, die persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten, die Gerechtigkeit am Arbeitsplatz und der Ausgleich zwischen Beruf und Freizeit eine viel größere Rolle als für alle Generationen vor ihnen. Es bleibt zu hoffen, dass sie etwas daraus machen, sie haben die Möglichkeit, die Strukturen innerhalb der Unternehmen nachhaltig mit zu prägen.

Und die Arbeitgeber selbst müssen überlegen, wie sie weiterhin attraktiv bleiben können. Denn auch sie sollten darum bemüht sein, nicht nur für sich, sondern für die Generationen ihrer Kinder und Enkel eine gerechtere und moderne Arbeitswelt zu schaffen. Eines Tages muss vielleicht der Vater im Rentenalter zu seinem erwachsenen Sohn nicht mehr sagen: „Schau, dass du die Zeit mit deinen Kindern bewusst erlebst – ich habe so viel verpasst.“