In der DDR war eine eigene Kochkultur entstanden, weil Zeit und Zutaten knapp waren. Viele Ostdeutsche sehnen sich nach den vermeintlich untergegangenen Gerichten wie „Affenfett“, Eierragout oder Ketwurst.

Stuttgart - Mit der Nostalgie ist es eine komische Sache. Das Sentiment widersetzt sich stur jeder Gegenwehr. Man schwelgt im Gefühl des Vermissens, egal, wie verzichtbar sein mag, was einem da abgeht. Selbst wenn es allein deshalb verschwand, weil kaum einer es noch haben wollte. Und umgekehrt verhält es sich genauso: wer keinen nostalgischen Zugang zu einer Sache hat, fragt sich nicht selten, was dieser Irrsinn soll.

 

Warum zum Beispiel sollte man etwas essen, das offiziell Krusta Grandiosa heißt und inoffiziell aussieht und schmeckt wie eine schwerfällige Pizza aus Roggenmehl und Hefe, belegt mit einer kulinarischen Beleidigung aus einem Pfund Sauerkraut (abgetropft) und einem Berg gemischtem Hack? Vielleicht vermisst man Krusta am Gaumen, weil man in der DDR aufwuchs, und irgendwann Anfang der 80er Jahre in eine der begehrten Krusta-Stuben einkehrte – sofern der Kellner einem einen Platz zuwies. Dort gab es solches Backwerk, das nach offizieller Weisung der staatlichen Handelsorganisation HO auf gar keinen Fall Pizza heißen durfte. Aber getroffen hat man sich trotzdem in der Stube, und bestimmt gibt es Menschen, die sich beim ersten Rendezvous eine Grandiosa geteilt haben, weshalb Liebe und überbackenes Kraut jetzt im Geschmacksgedächtnis auf immer miteinander verknüpft sind.

Krusta hieß der Pizza-Ersatz

Jedenfalls gehört die Krusta zu den Lebensmitteln, welche die DDR-Küche unverwechselbar machten. Der Pizza-Ersatz war gleichzeitig eine Art kulinarischer Kapitulation, weil er bewies, dass weder Mauer noch Staatsmacht es vermochten, die Geschmäcker und Konsumwünsche völlig von Entwicklungen im imperialistischen Westen abzuschotten. Also gab es drüben, was es hüben auch gab – irgendwie jedenfalls. Nur hieß es eben anders. Fast Food trugt auf Funktionärsdeutsch die Bezeichnung „Versorgungslösung“. Als solche wurde zum Beispiel Ende der 70er Jahre die sogenannte „Ketwurst“ ausgezeichnet – eine in Ketten ausgelieferte Brühwurst, die in einer gelochten und erwärmten Schrippe mit Tomatenwürzsoße serviert wurde. Man könnte auch sagen: ein Hot Dog. Konnte man aber damals nicht. Die Kettwurst wurde von staatlichen Mitarbeitern des Rationalisierungs- und Forschungszentrums Gaststätten in Berlin „erfunden“. Von Nachfrage und Angebot zu sprechen, verbietet sich in diesem Fall eigentlich, aber schnelles Essen brauchte man, weil nach dem Bau des Fernsehturms die Besucher den Alex stürmten. Wenig später gab es dann auch die „Grilletta“, die ostdeutsche Variante des Burgers – aus Schweinefleisch in der Schrippe mit einer Soße, die eher süß-sauer schmeckte. Nicht nur neue Speisen mussten so genannt werden, dass kein Westverdacht erregt werden konnte, auch deutsche Traditionsgerichte hießen auf einmal anders. So gab es in den Kantinen und Kitas des Ostens zwar oft Königsberger Klopse, küchenpolitisch korrekt war aber allein die Bezeichnung Kochklopse.

Kurt Drummer war der offizielle Fernsehkoch

Was es im HO zu kaufen gab, das bereitete seit 1958 auch ganz offiziell der Fernsehkoch Kurt Drummer in seiner Sendung zu. 25 Jahre lang erklärte Drummer mit Kochmütze auf dem Haupt, was man in dieser Woche kochen könnte – natürlich nicht ohne Rücksprache mit den staatlichen Stellen, die klärten, was in den Regalen lag.

Wer sich nach der untergegangenen Kochkultur sehnt oder sie wagemutig probieren möchte, der findet eine wachsende Zahl von Kochbüchern und Rezeptsammlungen im Internet, eine besonders liebevoll gemachte www.erichserbe.de.

Das Jägerschnitzel bestand aus Jagdwurst

Zu den Speisen, die ohne nostalgische Annäherung eher eine Herausforderung darstellen, gehören Tote Oma, Jägerschnitzel oder Eierragout – und alle drei erzählen etwas darüber, wie sich eine neue Kochkultur entwickelte, weil in der Planwirtschaft Konsumgüter knapp waren, es mit dem Kochen schnell gehen musste und viel mehr Menschen als heute in Großküchen bekocht wurden. Fleisch, Gemüse, Südfrüchte – meistens war irgendwas knapp oder nicht zu kriegen. Unter Jägerschnitzel verstand man eine Scheibe Jagdwurst, die paniert und frittiert wurde, häufig serviert mit Spiralnudeln und sogenannter „roter Soße“. Von Toter Oma schwärmen heute noch ehemalige NVA-Soldaten in Internetforen, sie nennen das Gericht, bei dem es sich um eine Blutwurst mit Grütze oder Rosinen handelt, auch gerne mal „Verkehrsunfall“. Im Eierragout drückte sich der Mangel durch die Eier aus: sie wurden hart gekocht und statt Fleisch in Scheiben in einer Mehlschwitze mit Dosengemüse verwendet. Ähnlich reduziert sind zum Beispiel Affenfett – eine schnell gebratene Mischung aus Zwiebeln, Fett, Mehl und Ei, die als Brotaufstrich populär war, und die von der Roten Armee übrig gebliebene Buchweizenkascha, ein sättigender Brei mit Pilzen und Zwiebeln.

Viele Eintöpfe – variabel in den Zutaten und ideal zur Verwertung von Resten – galten als typisch für die DDR-Küche, und viele von ihnen kamen aus Osteuropa. Zu den Gerichten, die sich auch ganz ohne Nostalgie auf Speisekarten halten oder sich ihren Platz zurückerobern, gehört Soljanka, ein Eintopf aus Wurst, Fleisch, Paprika, Gewürzgurken – und Kapern. Die waren allerdings in der DDR meistens gerade aus.

Affenfett – Rührei auf Roggenbrot

Ein ungeklärtes Rätsel der DDR-Küche ist die Vorliebe für abstoßende Namen für Gerichte. Affenfett ist ein Brotaufstrich, eine Art verlängertes Rührei, das warm gegessen wird. Dazu würfelt man 50 Gramm Bauchspeck und schneidet eine mittelgroße Zwiebel in kleine Stücke. Beides wird in einer breiten Pfanne glasig gedünstet. Dann eine Tasse Milch, ein Ei, einen Teelöffel Mehl, Majoran, Salz und Pfeffer gründlich verquirlen. Diese Mischung in die Pfanne gießen und unterrühren. Die Masse lässt man kurz stocken, rührt sie dann aber noch wie ein Rührei durch. Das Affenfett lauwarm aufs Brot streichen.

Soljanka – Klassiker unter den Eintöpfen

300 Gramm Rindfleisch mit Salz und Lorbeerblatt und eventuell Suppengemüse in 1,5 Liter Wasser kochen. Fleisch in Scheiben schneiden. Zwei Zwiebeln würfeln, Knoblauchzehe fein schneiden, eine rote Paprika würfeln, mit 100 Gramm Speck , 75 Gramm Salami, 100 Gramm Kochschinken in Würfeln anrösten. Ein Esslöffel Tomatenmark und „Pritamin“ (Paprikapaste) oder Aivar dazugeben. Mit 1,5 Litern Brühe ablöschen, eine gewürfelte Gewürzgurke, das Fleisch und nach Belieben Kapern hinzugeben. Mit Salz, Pfeffer, Majoran würzen, 30 Minuten kochen. Mit Zitronenscheibe und Saurer Sahne dekorieren.

Eierragout – mit ordentlich Dosengemüse

Acht Eier hart kochen, pellen und in dicke Scheiben schneiden. 750 Gramm Kartoffeln kochen. Zwiebel würfeln und in 30 g Butter andünsten, mit 30 g Mehl anschwitzen. Mit 350 ml Gemüsebrühe ablöschen und ein Viertelliter Milch dazu gießen. Alles zehn Minuten köcheln. Zwei Esslöffel Senf hineinrühren. Eine große Dose Erbsen und Möhrengemüse dazugeben, nach Belieben noch Dosenchampignons hinzufügen. Eier dazugeben. Mit Salz, Pfeffer, Zucker und etwas Essig würzen. Eierragout gibt es in vielen Varianten, zum Beispiel kann man ein Nest aus Kartoffelstampf formen und das Ragout hineingeben.

Würzfleisch – vom Schwein oder Kalb

500 Gramm mageres Schweinefleisch (wahlweise Kalb) in 1 Liter Instantbrühe mit Zwiebel, Lorbeer, Piment, Salz, Pfeffer gar ziehen. In Würfel schneiden. Aus 2 Esslöffeln Butter und 4 Esslöffeln Mehl eine Mehlschwitze herstellen, mit 100 ml Weißwein ablöschen, mit Brühe zu heller Soße verlängern. Zitronensaft, einen Spritzer Worcestersoße und Fleischwürfel in die Soße geben. Die Mischung in vier bis sechs kleine, feuerfeste Förmchen geben, mit 200 Gramm geriebenem Edamer bestreuen. Bei Oberhitze im Ofen überbacken. Die Förmchen mit Zitronenscheiben garnieren und mit Toastbrot servieren.

Einkaufen in der DDR

Der Handel war in der DDR eine Staatsaffäre, nur ganz wenige Läden wurden privat betrieben und waren an staatliche Vorgaben gebunden. Verantwortlich für die großen Zentrum-Warenhäuser in den Bezirksstädten, für alle Gaststätten, Hotels oder Modeläden war die Handelsorganisation HO.

Kaufhallen für den täglichen Bedarf gab es von der HO und der Konsumgenossenschaft. Für den dickeren Geldbeutel und den besonderen Anlass existierten die Exquisitläden für Bekleidung und die Delikatläden für Feinkost. Im Delikat fand man zum Beispiel Dosen mit begehrtem Obst, Pfirsich oder Ananas waren sehr beliebt als Nachtisch an Festtagen. Im Intershop konnte man ausschließlich mit westlichen Devisen einkaufen – dort gab es begehrte Waren aus dem Westen.