Die österreichische Autorin Kathrin Röggla sucht im Kutschersaal der Bücherei analytisch das Absurde.

Böblingen : Ulrich Stolte (uls)

Esslingen - Nein, der Moderator Thomas Rothschild wollte in der Stadtbücherei Esslingen am Freitagabend nicht vorlesen, was über Kathrin Röggla in Wikipedia steht: Dass die Autorin 1971 in Salzburg geboren wurde, dass sie in Berlin lebt und stellvertretende Chefin der preußischen Akademie der Künste ist. Rothschild hatte sich an diesem Lesart-Abend im Gespräch auf die Suche nach dem Österreichischen machen wollen, arbeitete aber statt dessen die Berliner-Wiener Wahlverwandtschaften heraus, wo das Analytische auf das Romantische trifft.

 

Kathrin Röggla las aus ihrem jüngsten Buch „Nachtsendung – unheimliche Geschichten“ vor. Kurze Stücke über Menschen, die fest verankert in der Business-Welt sind und auf einmal diese Welt als Matrix erleben, als Imagination, als Selbstbetrug, hinter der ein unheimliches und düsteres Leben steckt. Da gibt es die Frau, die sich auf einmal nicht mehr an die Donnerstage erinnern kann, und von ihren Business-Kollegen erfährt, dass sie dort so aufgetreten sei, wie eine taffe Managerin das offensichtlich sollte, unmenschlich und gnadenlos. Und je mehr Donnerstage sie verliert, desto mehr kommt die Firma voran, bis sie bemerkt, dass auch ihre Mitarbeiter sich nicht mehr an bestimmte Tage erinnern können. Schließlich führt die ganze Firma ein dämonisches Doppelleben. Oder die Frau, die von einem Taxifahrer durch den Albtraum einer Nacht nicht zum Flughafen von Bombay, sondern nach Gottweißwohin gefahren wird.

Wenn Sprache eine Realität erschaffen soll, dann muss es eine reale Sprache sein. Kathrin Röggla arbeitet hier vorbildlich, zieht mit dem Tonband los und interviewt Manager und Abteilungsleiter und arbeitet aus deren Phrasen ihr Denken heraus, das sie dann konsequent ins Absurde führt. Den schmalen Grat zwischen literarischer Reportage und Fiktion überschreitet sie jedes Mal mit voller Wucht.

Da ist beispielsweise die Frau, die mit drei kleinen Kindern eine Autofahrt unternimmt, und die sich auf einmal mitten in einem automobilen Kampf jeder gegen jeden findet. Eine Fahrt, die schließlich in einem apokalyptischen Unfall endet.

Das sind ihre Geschichten. Ihre literarische Geschichte beginnt 1990 mit Publikationen in Literaturzeitschriften und Anthologien, 1995 veröffentlichte sie ihre erste Monografie „Niemand lacht rückwärts“. Seit 1998 verfasst und produziert sie Radioarbeiten, Hörspiele, akustische Installationen, für den Bayerischen Rundfunk und für ein Berliner Netzradiokollektiv. Seit 2002 schreibt sie auch fürs Theater. Neben dem Job für die preußische Akademie der Künste arbeitet sie auch als Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. 2014 erhielt Röggla die von der Universität des Saarlandes eingerichtete Saarbrücker Poetikdozentur für Dramatik. Kathrin Röggla lebt seit 1996 in Berlin-Neukölln – und erlebt hautnah mit, wie das Viertel nach und nach gentrifiziert wird, vielleicht auch so eine Art Business-Albtraum.