Bis 1963 war die Stadt ein Zentrum der Automobilindustrie. Hergestellt wurde eine zukunftsweisende Technologie, und zwar Elektrolastwagen, die in Berlin im innerstädtischen Verkehr eingesetzt wurden. Die Post nutzte sie sogar bundesweit.

Esslingen - Dass in Untertürkeim die Wiege des benzingetriebenen Automobils steht, das weiß jeder. Dass aber wenige Kilometer neckaraufwärts einer der größten Produzenten von Elektromobilen existierte, ist heute vergessen. Die Maschinenfabrik Esslingen baute Kleinlastwagen, die bis in die siebziger Jahre für die Post eingesetzt wurden.

 

Schon im Brockhaus-Lexikon aus den 1930er Jahren kann man beim Eintrag Elektroauto die Nachteile lesen: „Geringe Reichweite, großes Gewicht.“ Deswegen haben sich auch die benzingetriebenen Automobile aus Untertürkheim durchgesetzt. Bei der Post jedoch spielte die Reichweite keine so große Rolle. In den Annalen der Stadt Esslingen ist die Maschinenfabrik bekannt als ein Unternehmen zur Herstellung von Lokomotiven, Straßenbahnen, Flugzeugschleppern, Standseilbahnen, Eisenbahnwagen, und Dampfmaschinen. Dass sie ein Pionier bei Elektroautos war, ist in Vergessenheit geraten.

Doch in den Jahren 1926 bis 1963 wurden als ein Geschäftszweig des Unternehmens elektrisch getriebene Nutzfahrzeuge hergestellt. Das Nachkriegsprogramm bestand von 1948 an aus dem EL 3001, der 1936 erstmals vorgestellt worden war. 1949 erhielten die Vier- und Fünftonner EL 4001 und EL 5001 die Fahrerkabine des Daimler-Benz-3,5-Tonners mit einer stark abfallenden Haube. Der 23-Kilowatt-Motor verlieh den Fahrzeugen über ein Vierganggetriebe eine Höchstgeschwindigkeit von 25 Stundenkilometern, Sie waren also genauso schnell wie ein Pedelec oder ein Mofa.

Ihren größten Umsatzerfolg erzielte die Maschinenfabrik mit dem Paketpostwagen EL 2500, der in großer Serie an die Bundespost ausgeliefert wurde. Die Fahrzeuge entstanden nach Konstruktionsplänen der Post nicht nur in Esslingen, sondern auch bei Lloyd in Bremen und bei Gaubschat in Berlin. Die Aufbauten stammten vom Nordwestdeutschen Fahrzeugbau (NWF) in Wilhelmshaven. Motorisiert war das Fahrzeug mit einem 10,3-Kilowatt-Hauptschlussmotor mit einer Pedalschaltung. Als Heizung diente ein Kohleofen.

Statt eines Gaspedals gab es eine Handkurbel, im Fußraum war eine klobige Batterie. Zum Lenken benötigte man einen besonderen Führerschein, und die Lehrlinge, so wird berichtet, hätten sich dabei bewusst ungeschickt angestellt, weil keiner Lust hatte, mit einem derartigen Gefährt durch die Gegend zu schleichen. Der letzte Paketpostwagen der Maschinenfabrik war immerhin bis 1975 in Freiburg im Breisgau im Einsatz und erlebte 1986 einen Fernsehauftritt in der ZDF-Show „Die Zukunft hat Geburtstag – 100 Jahre Automobil“. Inzwischen befindet sich der gelbe Esslinger im Bestand des Museums für Kommunikation in Frankfurt.

Die größere Reichweite von Dieselfahrzeugen, billiges Öl und die rasche Verbreitung von Tankstellen drängten die Elektromobile schon gegen Ende der 1950er Jahre von der Straße. Umso erstaunlicher ist es, dass zwei weitere Esslinger überlebt haben: Ein Fahrzeug befindet sich im Besitz des Europäischen Brotmuseums in Ebergötzen bei Göttingen, ein anderes gehört dem Deutschen Technikmuseum in Berlin. Bei beiden Fahrzeugen handelt es sich um ehemalige Auslieferungsfahrzeuge der Berliner Brotfabrik Wittler.

„Wittler-Brot . . . regelmäßig essen!“ Der Werbeschriftzug auf den Fahrzeugen der Firma „Wittler“ prägte über Jahrzehnte das Stadtbild Berlins. Ähnlich wie der Milchgroßhändler „Bolle“ versorgte die in Berlin-Wedding ansässige Bäckerei die schnell wachsende Großstadt seit Ende des 19. Jahrhunderts mit Backwaren und wurde so selbst zur Großbäckerei mit eigener Produktionsstätte. Bei der Mobilmachung zum Zweiten Weltkrieg zog die Armee die bis dahin gebräuchlichen Pferdefuhrwerke der Brotfabrik ein und stellte dafür sieben kriegsuntaugliche Elektro-Lastwagen auf den Hof. Darunter auch einen EL 3001 der Esslinger Maschinenfabrik, der heute im europäischen Brotmuseum in Ebergötzen zu besichtigen ist.

Um das Jahr 1956 stellte die Maschinenfabrik Esslingen den Bau von Elektromobilen ein. Zwar wurde auf der Hannover-Messe 1963 noch ein 3,5-Tonner mit einem 34-PS-Motor vorgestellt, aber das Fahrzeug war nur für den innerbetrieblichen Werksverkehr gedacht.

1965 beendete das Unternehmen seine gesamte Tätigkeit und wurde von der Daimler-Benz AG übernommen, die in den Werksteilen Mettingen, Hedelfingen und Brühl ein Großersatzteillager und eine Gießerei einrichtete. Der Unternehmensteil Flurfördermittel – also Gabelstapler, Elektrokarren und Hubwagen – ging an die in Hamburg ansässige Hans Still GmbH. Die Maschinenfabrik Esslingen AG blieb bis 2003 eine reine Grundstücks- und Verpachtungsgesellschaft und hatte ihren Sitz in Schönefeld. Ironie des Schicksal ist es, dass die Marke mit dem Stern, die einst den ihren Esslinger Elektro-Konkurrenten plattgemacht hatte, nun selbst wieder stark in E-Mobil-Geschäft einsteigt.