Der Impresario Michael Russ erzählt Lesern der Stuttgarter Zeitung, dass Tina Turner strickt, Rod Stewart kickt und Frank Zappa edlen Bordeaux unedel genießt. Der Veranstalter blickt auf manches „Schweißperlenerlebnis“ zurück.

Esslingen - Eigentlich wollte Michael Russ Gartenarchitekt werden. Doch sein Vater Erwin hat ihn letztlich davon überzeugt, in seine Fußstapfen zu treten und den Lebensunterhalt ebenfalls als Konzertveranstalter zu verdienen. Dafür sind die Besucher der Reihe „StZ im Gespräch“ dem Senior noch im Nachhinein dankbar. Denn fast alle von ihnen schwelgen in Erinnerungen an herausragende Musikerlebnisse, die ihnen der Konzertveranstalter Michael Russ mit seiner Südwestdeutschen Konzertdirektion in den vergangenen 50 Jahren beschert hat. Am Donnerstagabend hat der 69-Jährige im Gespräch mit Kai Holoch, dem Leiter der Esslinger StZ-Redaktion, auf humorvolle Weise Blicke hinter die Kulissen des Showgeschäfts und in sein Privatleben gewährt.

 

Ob Klassik, Jazz, Pop oder Rock – Michael Russ hat nahezu alle Größen sämtlicher Musikgenres in die Region geholt. Seit er die SKS leitet, „werden so um die 13 000 Konzerte zusammengekommen sein“, schätzt Russ. Dahinter stehen ebenso viele Begegnungen mit Künstlern und ihren Macken. Im Umgang mit diesen sei manches Mal Menschenkenntnis von Vorteil, oft aber eine gehörige Portion „Nervenstärke gefragt“ gewesen. Etwa als beim Konzert der Geigerin Iona Brown – für Zuhörer und Orchestermusiker gut sichtbar – eine Maus über die Bühne der Liederhalle wuselte und ausgerechnet den wallenden Rock der Künstlerin als Unterschlupf wählte. Sicherheitshalber informierte Russ die Virtuosin erst nach dem Konzert über das tierische Solo. Eine gute Entscheidung, denn Iona Brown war noch nachträglich „der Ohnmacht nahe“.

„Schweißperlenerlebnis“ wegen überfüllter Halle

Im Laufe seiner langen Karriere hat auch der Impresario eigenem Bekunden nach so manches „Schweißperlenerlebnis“ überstehen müssen. Beispielsweise bei einem Konzert von Carlos Santana. Plötzlich sei er vor der ausverkauften Halle in Böblingen von 15 Hünen umstellt worden, die partout Einlass forderten, obwohl sie keine Karten besaßen. Angesichts von 20 000 Mark, die er in bar bei sich hatte, scheute Michael Russ eine Konfrontation und besänftigte die Jungs, indem er sie spontan als Türsteher am Halleineingang einteilte. Doch die nutzten das spontane Arbeitsverhältnis weidlich aus und ließen jeden passieren, der ihnen fünf Mark in die Hand drückte. Am Ende war die Halle mit rund 6000 Menschen hoffnungslos überfüllt: „Das war eine prekäre Situation“, erinnert sich Russ.

Von denen gab es einige. Meist hat er sie mit seiner Improvisationskunst gemeistert. Der italienische Starpianist Arturo Benedetti Michelangeli habe ihm kurz vor einem Konzert vor 2000 Zuhörern verkündet: „Ich spiele heute Abend nicht.“ Daraufhin habe er dem als Autonarr bekannten Künstler für den folgenden Tag eine Ausfahrt mit einem Mercedes C 111 in Aussicht gestellt. Ob sich der Bestechungsversuch mit dem Sportwagen würde realisieren lassen, „wusste ich nicht“. Tatsächlich war bei dem just an diesem Tag der Wankelmotor ausgebaut worden. Doch der Maestro begnügte sich mit einem 300 SL und hat „nie wieder ein Konzert abgesagt oder in Frage gestellt“.

Der Popmusiker mit den schönen Brillen

Ein bekannter Popmusiker, „der immer so schöne Brillen trägt“, stellte indes unmoralische Forderungen. Nach drei Titeln habe der aufgehört zu spielen. Das Konzert setze er nur fort, wenn der hübsche junge Mann in der dritten Reihe danach in seinem Künstlerzimmer erscheine. Michael Russ sprach unter Beobachtung von Elton John – der Name rutscht ihm doch heraus – den vom Sänger begehrten Herrn an. Er könne verstehen, dass er ihn ob des Anliegens für verrückt halte, „aber bitte nicken Sie. Was Sie danach machen, ist mir egal“ – Elton John sah’s und spielte weiter.

Frank Sinatra war dafür bekannt, sich nicht nur vor Auftritten Mut anzutrinken, „wir haben ihn aber auf die Bühne gebracht“, erzählt Russ. Doch bei der anschließenden Fahrt nach Mannheim habe der ansonsten vor sich hin dösende Entertainer kurz aus dem Fenster geblickt und just in diesem Augenblick ein Asiarestaurant entdeckt. Empört habe er gelallt: „Ich wollte doch nie mehr in China singen.“

Frank Zappa trinnkt edlen Bordeaux aus der Flasche

Frank Zappa war wählerischer. Er verlangte nach einem äußerst kostbaren Bordeaux. „Der war in Stuttgart nicht zu haben und musste aus Paris gebracht werden“, sagt Russ. Andächtig habe er Zappa den exquisiten Roten überreicht. Der habe den edlen Stoff wenig respektvoll entkorkt und „aus der Flasche getrunken“.

Stundenlang könnte der Impresario von seinen Erlebnissen berichten: von der hinter der Bühne strickenden Tina Turner beispielsweise oder vom Fußball spielenden Rod Stewart. In all den Jahren seien auch tiefe Freundschaften mit Größen des Musikbusiness’ entstanden. Etwa mit der Stargeigerin Anne-Sophie Mutter, mit der Russ eine Stiftung gegründet hat.

Michael Russ kämpft für neue Konzerthalle

Um in der Landeshauptstadt weiterhin hochkarätige Musikveranstaltungen anbieten zu können, fordert Michael Russ den Bau einer neuen Konzerthalle, um die völlig überlastete Liederhalle zu entlasten. „Das ist absolut notwendig, sonst werden wir in Stuttgart abgehängt.“ Für einen solchen Veranstaltungsort will er kämpfen. Mit dem Begriff Ruhestand kann der Mann, der am Freitag, 15. Mai, seinen 70. Geburtstag feiert, ohnehin nicht viel anfangen. Ob er sich ein Leben als Pensionär jemals vorstellen könne, fragt Kai Holoch. „Ein paar Stündchen im Büro können nicht schaden“ – Michael Russ hat noch lange nicht genug.