In der Küferstraße haben Guerilla-Häklerinnen Laternen und Brunnen in bunte, wollene Gewänder gesteckt. Die Stadt sieht solche Verstrickungen jedoch nicht gern. Die Wolle soll weg.

Esslingen - Bettina Kallen hat die Masche raus. Sie zauberte mit ihrem Team – rund 20 Frauen und ein Mann – in den vergangenen Wochen wollene Umhüllungen für Straßenlaternen, Säulen und einen Brunnen in der Küferstraße. Nicht nur Touristen bleiben stehen und zücken ihre Kameras. Auch die Bürger freuen sich über die farbenfrohe Stadtverschönerung.

 

Doch nun macht die Stadt den fleißigen Häklerinnen einen Strich durch die Rechnung. Die Brunnenbekleidung musste Kallen bereits abnehmen. Gebhard Recke vom Esslinger Grünflächenamt sagt auf Anfrage: „Der Brunnen ist ein Denkmal und deshalb gelten strenge Auflagen.“ Bei Veränderungen im öffentliche Raum bedürfe es zudem generell einer Abstimmung mit diversen Ämtern.

Die Inspiration kommt aus Berlin

„Die Aktion ist aus einer Schnapsidee heraus entstanden“, erzählt Bettina Kallen, die in der Esslinger Küferstraße einen Laden betreibt. In Berlin habe sie zum ersten Mal umhäkelte Brückengeländer gesehen. Ihr habe die Idee so gut gefallen, dass sie ihrer Mitarbeiterin davon erzählt habe. „Dann haben wir einfach mit der Säule vor unserem Geschäft angefangen“, erzählt sie.

Der Überraschungseffekt bei den Passanten sei jedoch so hoch gewesen, dass sie mit einer daneben stehenden Laterne weitergemacht hätten. Da das Projekt zu zweit schon bald kaum mehr zu bewältigen war, suchten sie auf einer vor dem Laden aufgestellten Tafel „Mithäklerinnen“. Rund 20 Handarbeiterinnen und ein Handarbeiter aus Esslingen und der Umgebung meldeten sich daraufhin und griffen von da an zur Nadel.

Ein Brunnen bekommt ein Kleid mit Knöpfen

Kallen übernahm die Koordination, gab die Maßangaben an und lieferte die Wolle. Rund 50 Meter Gehäkeltes sind mittlerweile fabriziert worden. Selbst ein Brunnen hat eine bunte Verzierung bekommen. „Selbstverständlich mit Knöpfen“, fügt Kallen hinzu, „denn zur Brunnenreinigung muss das neue Wollkleid natürlich abgenommen werden können.“

Ein Hingucker ist außerdem das Kinderfahrrad in Kallens Schaufenster. Das Gefährt wurde von einer Kundin liebevoll mit regenbogenfarbener Wolle umhäkelt. Jede einzelne Speiche, die Pedale, sogar die Klingel wurden mit Wolle umhüllt. Der Sattel ist eine grüne Wiese, in der Blümchen eingearbeitet worden sind.

Kallen will sich nicht geschlagen geben

Die Idee, die Guerilla-Häklerei umzusetzen, sei ein enormer Zeitaufwand gewesen, meint die Geschäftsführerin. Doch es habe sich gelohnt. Ihr Ansinnen und ihr Wunsch zur Quartierverschönerung beizutragen, hätten sich auf jeden Fall erfüllt.

„Noch geben wir uns nicht geschlagen.“ Man werde nun versuchen, dass Laterne und Co. ihre Strickkleidchen noch bis zum verkaufsoffenen Sonntag im November anbehalten dürften. „Schließlich wird es da ja erst richtig kalt“, sagt Kallen und lächelt.

Wolle legt sich um Metall

Kunst:
Guerilla-Stricken oder Guerilla-Häkeln ist eine Form der Straßenkunst, bei der Gegenstände im öffentlichen Raum durch Handarbeitstechniken mit Wolle verziert werden. Die erste Vereinigung von Guerilla-Strickern nahm ihren Anfang 2005 in Houston (Texas). Damals begannen Frauen, Türklinken mit gestrickten Accessoires zu verschönern.

Entwicklung:
In Stuttgart tauchten im Sommer 2010 am Bauzaun des Hauptbahnhofs nach dem Abriss des Nordflügels für das Projekt Stuttgart 21 diverse Strickarbeiten auf.