Das alte, denkmalgeschützte Haus in der Berliner Straße 17 in Esslingen ist aus dem Dornröschenschlaf geweckt worden. 26 Künstlerinnen und Künstler zeigen dort zwei Wochen lang ihre Installationen, Gemälde, Videos, Zeichnungen und Fotografien.

Esslingen - Seit einem halben Jahr begleitet der Kunstverein Artgerechte Haltung die Veränderungen in der Esslinger Weststadt. Er hat einen Container am Stadtstrand bespielt, mit Flüchtlingen gearbeitet, eine Ausstellung am Bauzaun organisiert und noch viel mehr. Nun gibt es in der Villa in der Berliner Straße 17, wo im ersten Stock zuvor die Historische Bürgergarde beheimatet war, eine Ausstellung zum Thema „Das Fremde“. Das 1897 erbaute Gebäude steht seit mehreren Jahren leer. Es gehört der Stadt. Doch diese weiß nicht mehr damit anzufangen, als nach einem Käufer zu suchen. Sie verlangt von den Künstlern Miete, daher ist die Ausstellung nur zwei Wochen lang aufgebaut.

 

26 Künstlerinnen und Künstler beteiligen sich an dem Projekt. Nicht alle nehmen das Thema so wörtlich wie Anna Beurer, die das Wort „fremd“ einmal auf ein einfarbiges Feld schreibt, einmal ausschneidet und das dritte Mal mit einem Spiegel hinterlegt. Auf den Fotos von Bertl Zagst wird die schwarze Folie, die rund um die Containersiedlung in der Weststadt ausliegt, um Eidechsen zu vertreiben, zum Meer, in dem die Flüchtlinge immer noch hilflos dahin treiben. Am Bahnhofsvorplatz hat er Figuren aus Nato-Draht aufgestellt – und eingezäunt: ein doppeltes Bild unserer Ängste und Abwehrmechanismen.

Eigene Erfahrungen in der Fremde

Auf die Mittelmeer-Flüchtlinge, aber auch auf ein Zitat der Schriftstellerin Rahel Varnhagen, das ihn seit langer Zeit beschäftigt, bezieht sich auch Wolfgang Scherieble, der in einem Video selbst voll bekleidet aus den Wogen an Land schreitet. Andere verarbeiten ihre eigenen Erfahrungen in der Fremde: Karina Stängle malt orientalische Straßenszenen. Horst Wöhrle stellt ironisierend vier alte Folianten über die „Sitten der Völker“ eigenen Zeichnungen und Fotos unter anderem aus Italien gegenüber. Darauf antworten kontrastierend Dagmar Roos‘ bunte Bilder vom Niger.

In einem Raum liegen Schlafsäcke am Boden. Fotos von Schlafsäcken, die Margit Schranner und Gaby Burckhardt im öffentlichen Raum vorgefunden haben, hängen an den Wänden. Die Künstlerinnen wollen auch in der Weststadt nach Spuren der Schlafstätten von Wohnsitzlosen suchen. Micha Hartmann wiederum hat sich in der Weststadt auf die Spur von Nahrungsmitteln begeben und Schilder der Firma Hengstenberg, des Dogus Supermarkt und des Goldenen Ochsen aquarelliert.

Der Bau selbst ist beeindruckend

Viele der Künstler konnten freilich der Versuchung nicht widerstehen, sich mit dem beeindruckenden, wenn auch etwas heruntergekommenen Bau selbst zu beschäftigen. Angela Hildebrandts Gemälde treten in einen Dialog mit der unscheinbaren Tapete. Judith Wenzelmann lässt weiße Baumpilze aus der Wand wachsen. Zerstörung und Bau wirken in Marc Dittrichs gebrochenen Holzplatten mit Fotos von Hochhausfassaden auf der Kante zusammen.

Neben einem Apparat mit Knöpfen und Kontrolllampen hängen 16 reduzierte Schilder von Gideon Knabben. Zwischen hellen Rechtecken, die anzeigen, wo einmal Bilder an der Wand hingen, zeigen nun, versetzt, Fotos von Anna Beurer einen Spiegel vor einem heruntergelassenen Rollladen. Andrea Eitel malt realistisch Rohre im Keller, deren Funktion sich nicht erschließt. Ein großer Tisch von Clara Joof und Claus Staudt aus Glasplatten mit Kristallgläsern und Scherben verweist auf die Künstler Théodore Géricault und Martin Kippenberger, spiegelt aber auch den allseits verglasten Wintergarten wider. Schon allein um den denkmalgeschützten Bau zu besichtigen lohnt sich ein Blick in die Ausstellung.