In seiner Neujahrsrede warnt der Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger vor der Gefahr neuer Diktatoren. Die Menschheit stehe an einer Zeitenwende.

Entscheider/Institutionen : Kai Holoch (hol)

Esslingen - Wir stehen vor einer Zeitenwende.“ Eigentlich ist der Neujahrsempfang der Stadt Esslingen ein Ereignis, das der Esslinger Oberbürgermeister Jürgen Zieger vor allem dazu nutzt, um sich bei den ehrenamtlich Engagierten zu bedanken und die Bürger auf die kommenden kommunalen Aufgaben einzuschwören. Doch am Montagabend hat Zieger im gut besuchten Neckar Forum rund die Hälfte seiner Rede der Weltpolitik gewidmet. Denn die bereitet ihm Sorge.

 

„Der Wohlstand ist grotesk ungleich verteilt.“

Das Verhältnis zwischen den USA und Europa stehe bestenfalls vor einer Eiszeit. Es entwickle sich zudem eine „Magie der starken Führer“. Widerspruch, so Zieger, sei ihnen lästig: „Gegner werden Terroristen genannt, und Verfassungsrichter sind überflüssig.“ In einem Zeitalter der Angst und subjektiv gefühlter Unsicherheit sei der Übergang vom demokratischen Rechtsstaat zur Diktatur fließend. Es gebe Gründe dafür, dass „die Putins, Orbans, Trumps und Erdogans, diese vom Cäsarenwahn umflorten National-Autoritäten“, so attraktiv für viele Menschen seien. Die Schrecken der Weltkriege verblassten, der zügellose Global-Kapitalismus sorge dafür, dass der Wohlstand „grotesk ungleich verteilt“ werde. Das schaffe Unsicherheit und Verbitterung, die von den neuen Diktatoren genutzt werde. Ihr Versprechen: Wer seine Freiheit aufgebe, bekomme dafür Sicherheit. Zieger: „Das ist verführerisch, nicht nur für Russen oder Türken, sondern auch für Amerikaner, Franzosen, Briten und Ungarn und – aller Vergangenheit zum Trotz – Deutsche.“

Umso wichtiger sei es im kommunalen Umfeld, den Menschen einen Platz in der sich immer schneller ändernden Welt zu geben: „Familie, Nachbarschaft, Stadt, Region und Nation sind die wichtigsten Stützen im Leben der meisten Menschen.“ Die Bereitschaft vieler Esslinger, sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren, sieht Zieger als Beweis dafür, dass sich in Menschen in Esslingen gut aufgehoben fühlten.

Wohnraumversorgung als vermintes Gelände

Ein wichtiges Projekt bleibe die Wohnraumversorgung in der Stadt. Das sei, so räumte Zieger ein, ein vermintes Gelände: „Hier teilt sich auch in Esslingen die Welt in Menschen, die eine Wohnung besitzen und jene, die eine solche nicht nur suchen, sondern brauchen.“ Die Integration von Flüchtlingen komme hier zwar nicht ursächlich, aber erschwerend hinzu. Zieger: „Dieser Herausforderung können wir uns nicht entziehen, jedenfalls nicht, wenn wir es mit unseren ethisch moralischen und religiösen Werten ernst meinen.“