Die Weinlage „Esslinger Burg“ ist vor 700 Jahren zum ersten Mal urkundlich erwähnt worden. Das Jubiläum ist den Esslinger Wengertern, die den Weinberg unter der Burg bewirtschaften, eine Feier wert.

Esslingen - Die Bewirtschaftung eines Weinbergs gehört nicht unbedingt zur Kernaufgabe einer Jugendvollzugsanstalt. So gesehen, ist es ein Segen, dass die Stadt Esslingen ihren Burgweinberg, den Schönenberg, irgendwann im Laufe der Geschichte wieder zurückbekommen hat. Immerhin aber ist der Verkauf der Esslinger Spitzenlage an das Zisterzienserkloster Kaisheim am 29. November des Jahres 1314 schriftlich niedergelegt worden. Damit hat es die Stadt mit Brief und Siegel: Unterhalb der Burg ist schon vor 700 Jahren ein guter Tropfen herangereift. Der Notverkauf von damals beschert den Esslinger Weingärtnern, die den Burgweinberg hegen und pflegen, jetzt ein werbeträchtiges 700-Jahr-Jubiläum.

 

Die Weinlage zu Füßen der Burg liefert immer noch Jahr für Jahr Spitzenqualität, in den Mauern des 1802 aufgelösten Klosters Kaisheim dagegen tun nicht mehr fromme Gottesdiener Buße, sondern auf die schiefe Bahn geratene Jugendliche. Die Klosteranlage dient dem Freistaat Bayern inzwischen als Jugendvollzugsanstalt.

Für die Stadt war es ein Notverkauf

Dass sich die Stadt vor 700 Jahren von ihrem Weinberg trennen musste, war „großer Not“ geschuldet. So steht es in der damaligen Verkaufsurkunde. Die Scharmützel der Reichsstadt mit den Grafen von Württemberg waren ordentlich ins Geld gegangen. Den bayerischen Mönchen, die schon im ausgehenden 13. Jahrhundert ihren Besitz am Neckar beständig erweitert hatten, war es ein Gottesgeschenk. Fünfeinhalb Morgen und 26 Messruten Weingärten, „die gelegen sint an dem Schoenenberge genant in der Burg“ wechselten für 340 Pfunde Heller und sechs Schillinge den Besitzer. Wie stark die Verhandlungsposition der frommen Männer gewesen sein mochte, zeigt eine Zusatzvereinbarung, wonach dem Kloster die Befreiung von jeglicher Steuerlast zugesichert wurde – und zwar nicht nur für den soeben getätigten Kauf, sondern für alle bisher in und um Esslingen herum erworbenen Besitzungen.

Die trockenen Fakten hat die Historikerin Birgitt Maier im Band 42 der Esslinger Studien in ihrem Beitrag über „Die Beziehung des Klosters Kaisheim zur Reichsstadt Esslingen im Mittelalter“ zusammengetragen, für die önologische Beurteilung ist der Vorstandschef der Esslinger Weingärtner, Albrecht Sohn, zuständig. „Körperreich, kräftig, tiefgründig, reife Beerenaromen mit feinem Tannin“, so charakterisiert der Wengerter-Chef den Burgwein, den die Genossenschaft unter dem Namen „Dicker Turm“ im Eichenfass ausbaut. Zudem gibt es noch einen Riesling Esslinger Burg, der mit einer angenehmen Fruchtsäure punktet.

Reben profitieren von der Standortgunst

Beide Weine profitieren nach Einschätzung Sohns von der Standortgunst zwischen den Mauerschenkeln und dem Sailergang. „Die 1,6 Hektar Rebfläche unter der Burg sind besonders windgeschützt und sonnenbeschienen“, sagt er. Nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Arbeit im Burgweinberg an sich ist für Sohn ein Erlebnis. „Mitten in der Stadt, den Marktplatz zu Füßen und auf Augenhöhe mit der Stadtkirche, das hat was“, sagt er.

Der Jubiläumswein bringt den Genießer in einen gewaltigen Gewissenskonflikt. Trinkt er ihn jetzt, stilecht zum Jubiläum, dann nimmt er dem guten Tropfen womöglich die Zeit, die er bis zur optimalen Reife noch benötigt. „Manche lieben ihn jung. Aber nach unserer Einschätzung kann er noch gut sechs bis acht Jahre im Keller liegen“, sagt Sohn. Dann aber, das muss auch der Wengerter-Chef zugeben, ist das Jubiläum schon lange Schnee von gestern.

Am ehesten lässt sich der Konflikt am 29. November lösen. Exakt 700 Jahre nach dem Tag, an dem im Jahr 1314 die Verkaufsurkunde unterzeichnet worden war, laden die Wengerter zu einer Weinprobe in den Burgsaal der Volksbank Esslingen ein. Bei der Veranstaltung, die von der amtierenden württembergischen Weinkönigin Theresa Olkus moderiert wird, kommt auch ein „Dicker Turm“ ins Glas. Karten im Vorverkauf gibt es unter 07 11/91 89 62.